Marktsozialismus. Ernest Mandel

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Marktsozialismus - Ernest  Mandel


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diesem Hintergrund mehrten sich im Wettkampf der Systeme die Zweifel an der „Überlegenheit“ der zentralistischen Planwirtschaft in Osteuropa. In der UdSSR strebte der Parteiführer Nikita Chruschtschow 1962 im Zuge der sogenannten Liberman-Debatte eine stärkere Gewinnorientierung und Autonomie von Staatsbetrieben an, um die wirtschaftliche Effizienz zu steigern. 1965 beschloss die Parteiführung der KPdSU die sogenannten Kossygin-Reformen, benannt nach dem damaligen Premierminister. Die Entwicklung in der UdSSR eröffnete auch den „Bruderstaaten“ neue Freiräume. Besonders ambitioniert kamen in der DDR ab 1963 das „Neue Ökonomische System der Planung und Lenkung“ (NÖSPL, ab 1967 „Ökonomisches System des Sozialismus“ genannt) in Gang und der neue „Ökonomische Mechanismus“ in Ungarn (1968−1973). In der Tschechoslowakei verband die Parteiführung unter Alexander Dubček im sogenannten „Prager Frühling“ 1968 ökonomische Reformen mit politischer Liberalisierung. Die jugoslawische Regierung unter Tito stärkte die Autonomie der Betriebe und den Wettbewerb im Rahmen der „Arbeiterselbstverwaltung“. In China ließ die Führung um Liu Shaoqi und Deng Xiaoping 1961−62 private Familienwirtschaft in der Landwirtschaft in einigen Provinzen zu. Zwischen 1960 und 1963 reduzierte die Regierung die Zahl der städtischen ArbeiterInnen, die Anrecht auf Rundumversorgung hatten, um 26 Millionen und schickte die meisten von ihnen auf das Land zurück.19 Und die Parteiführung ließ die Macht der BetriebsleiterInnen gegenüber der Belegschaft durch die Abschaffung der kollektiven Führung stärken.

      Die zweite Reformwelle nahm in den meisten Ländern Osteuropas im Zuge des sowjetischen Einmarsches in der Tschechoslowakei 1968 jedoch ein jähes Ende. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings und aus Angst vor einer „Konterrevolution“ ließ Moskau den Verbündeten deutlich weniger Spielraum. Ungarn konnte die Preisreform zwar noch weiterführen, musste der sowjetischen Führung jedoch glaubhaft versichern, im Unterschied zu Prag keine politische Liberalisierung anzustreben. In der DDR wurde 1971 Walter Ulbricht von dem Parteiflügel um Erich Honecker mit Unterstützung der sowjetischen Regierung entmachtet und die Reformversuche im Sinne des NÖSPL endgültig gestoppt. In China beendete schon der Beginn der „Großen Proletarischen Kulturrevolution“ unter Führung von Mao Zedong im Sommer 1966 die Bestrebungen zur neuen Ausrichtung der Wirtschaft. Die AnhängerInnen der Politik von Liu und Deng in der Partei wurden verfolgt und einige führende Kader und Intellektuelle von den Roten Garden sogar in den Selbstmord getrieben.

      Von Krisen zu den Regimewechseln in Osteuropa

      Einige staatssozialistische Länder versuchten in den 1970er-Jahren Wachstum und Technologietransfer durch die Aufnahme von ausländischem Kapital zu fördern. Nach Jugoslawien ließen auch Rumänien (1971), Ungarn (1972), Polen (1976) und Bulgarien (1980) Joint-Venture-Betriebe mit ausländischer Kapitalbeteiligung zu. Einige Staaten verschuldeten sich mit hohen Beträgen bei westlichen Kreditgebern. Die Produktionssteigerungen durch Technologieimport blieben jedoch hinter den Erwartungen zurück. Selbst das Konsumniveau konnte in einigen Ländern nur durch Importe und Westkredite gehalten werden, Außenhandelsdefizite und Schuldenkrisen waren die Folgen. Ende der 1980er-Jahre trat deutlich zutage, dass weder Marktreformen im Stil Jugoslawiens und Ungarns, noch ein Festhalten am Modell der zentralistischen Planwirtschaft wie in der DDR wirtschaftliche Stagnation und Niedergang verhindern konnten. Am Ende glaubten selbst große Teile der Parteieliten nicht mehr an die Überlegenheit des eigenen politischen Systems und seiner Legitimation in der Bevölkerung. In Polen, Ungarn und in der DDR handelten die Regierungen am runden Tisch mit Delegierten der Oppositionsbewegungen einen friedlichen Regimewechsel aus. Es folgte die Einführung des Kapitalismus und eine Welle von Privatisierungen. Sozialismen aller Varianten schienen diskreditiert.


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