Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo

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Briefe über den Yoga - Sri Aurobindo


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gibt ein sattvisches vairagya – doch haben viele Menschen die rajasische oder tamasische Art. Die rajasische Art wird von einem Aufbegehren gegen die Bedingungen des eigenen Lebens gekennzeichnet, die tamasische entsteht aus Unzufriedenheit, Enttäuschung, aus dem Gefühl, der Unfähigkeit, im Leben erfolgreich zu sein oder ihm begegnen zu können, aus dem Gefühl, von der Gewalt und dem Leid des Lebens zermalmt zu werden. Daraus geht die Empfindung der Nichtigkeit des Daseins hervor, das Verlangen, etwas weniger Elendes zu suchen, etwas Gewisseres und Glücklicheres oder auch die Befreiung vom Erdendasein überhaupt; die unmittelbare Folge davon ist jedoch nicht gleich ein lichthaftes Streben oder ein reines, friedvolles und freudvolles Streben nach spiritueller Verwirklichung.

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      Den sattva-Bereich zu durchqueren, ist die übliche Idee des Yoga; es ist jene Vorbereitung und Läuterung durch yamaniyama, die moralische Selbstkontrolle von Patanjali, oder aber durch andere Methoden in anderen Yogasystemen, wie zum Beispiel Heiligkeit in den bhakti-Schulen, der achtfache Pfad im Buddhismus usw. In unserem Yoga tritt an die Stelle der sattvischen Entfaltung des Wesens das Erlangen des Gleichmuts, samata, und die seelische Umwandlung.

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      Ganz offensichtlich schaffen die rajasischen Bewegungen größere Schwierigkeiten in der Sadhana als die sattvischen. Die größte Schwierigkeit des sattvischen Menschen ist die Falle der Tugend und Rechtschaffenheit, die Fessel der Philanthropie, der mentalen Idealisierungen, der Bindungen an die Familie usw.; diese Dinge sind aber mit Ausnahme der ersteren zwar schwer, doch nicht übermäßig schwer zu überwinden oder umzuwandeln. Manchmal jedoch sind sie so hartnäckig wie die rajasischen Schwierigkeiten.

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      Die Zurückweisung des Lebens der Tat, sannyasa, beseitigt nicht das Verhaftetsein – es läuft lediglich auf ein Davonrennen vom Gegenstand des Verhaftetseins hinaus, was zwar helfen mag, doch in sich allein nicht die radikale Heilung bringen kann.

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      Dieses Gefühl (die Unwichtigkeit der Dinge in der Zeit) wird von der asketischen Disziplin manchmal dazu benutzt, um den Menschen vom Verhaftetsein mit der Welt zu befreien – doch taugt es nicht für einen positiven oder dynamischen spirituellen Zweck.

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      Das Lebensprinzip, das ich zu errichten suche, ist spirituell. Moral gehört in den Bereich des menschlichen Vitals und Mentals, sie gehört einer niedrigeren Ebene des Bewusstseins an. Ein spirituelles Leben kann daher nicht auf einer moralischen Grundlage basieren, es muss eine spirituelle Grundlage haben. Das bedeutet nicht, dass der spirituelle Mensch unmoralisch zu sein hat- als gäbe es kein anderes Gesetz des Verhaltens als das der Moral. Das spirituelle Bewusstsein handelt gemäß einem höheren und nicht einem niedrigeren Gesetz als das des moralischen Bewusstseins, es gründet auf der Einung mit dem Göttlichen, es lebt im Göttlichen Bewusstsein, und sein Handeln gründet auf dem Gehorsam gegenüber dem Göttlichen Willen.

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      Die von dir geäußerten Ansichten hinsichtlich richtig und falsch, Schönheit und Hässlichkeit, sind für den Menschen und die Führung seines Lebens notwendig. Er kann ohne die Unterscheidungen, die damit verbunden sind, nicht auskommen. Doch in einem höheren Bewusstsein, sobald er in das Licht eintritt oder dessen Berührung empfängt, schwinden diese Unterscheidungen, denn er nähert sich dann dem ewigen, unendlichen Guten und Rechten, die er in ihrer Vollständigkeit erreicht, sobald er in das Wahrheits-Bewusstsein oder das Supramental einzutreten vermag. Auch der Glaube an die Führung Gottes wird durch die spirituelle Erfahrung gerechtfertigt und ist für die Sadhana ausgesprochen notwendig; dies bewahrheitet sich zuhöchst und in seiner ganzen Fülle, sobald man in das Licht eintritt.

      Was du über das Gebet sagst, ist richtig. Das ist die höchste Art von Gebet, doch auch die andere, mehr personelle Art ist zulässig und sogar erwünscht. Jedes richtig dargebrachte Gebet bringt uns dem Göttlichen näher und festigt die rechte Beziehung zu Ihm.

      Die Hemmnisse, von denen du sprichst, sind die üblichen der Sadhana, und werden durch die verschiedenen Teile des Wesens verursacht – besonders durch vitale Störung und physische Trägheit, Bewegungen, die das Bewusstsein allmählich verarbeiten muss.

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      Ich vermute, jeder Mensch gestaltet seine eigene Lebensordnung – oder versucht sie zu gestalten – aus der Unzahl von Möglichkeiten, welche die Kräfte ihm anbieten. Die meisten setzen sich das Ich und die Familie als Ziel – zu verdienen, eine Familie zu gründen und zu erhalten, für eine Stellung in den gewählten Lebensumständen zu arbeiten, sei es im Geschäftsleben, in einem Beruf usw. usw. – Vaterland und Menschheit werden meist nur von einer Minderheit diesen Zielen hinzugefügt. Einige haben ein Ideal und folgen diesem als ihrem hauptsächlichen Lebensinhalt. Nur die sehr Religiösen versuchen, Gott zum Mittelpunkt ihres Lebens zu machen, was ihnen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur ziemlich unvollständig gelingt. Keines dieser Dinge ist gesichert oder gewiss, und selbst letzteres enthält nur dann eine Gewissheit, wenn man sich ihm mit einer Ausschließlichkeit zuwendet, wie sie nur wenige aufzubringen bereit sind. Das Leben der Unwissenheit ist ein Spiel von Kräften, durch die der Mensch seinen Weg sucht, und alles hängt davon ab, inwieweit er durch die Erfahrung bis zu jenem Punkt wächst, an dem er dieser [Unwissenheit] entwachsen ist und in etwas anderes eintritt. Dieses andere ist tatsächlich ein neues Bewusstsein – sei es ein neues Bewusstsein jenseits des Erdenlebens oder ein neues Bewusstsein im Erdenleben.

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      Familie, Gesellschaft, Vaterland sind ein größeres Ego – sie sind nicht das Göttliche. Man kann nur dann für sie arbeiten und sagen, es sei für das Göttliche, wenn man sich des Göttlichen Befehls, adesa, oder der Göttlichen Kraft, die in einem wirkt, bewusst ist. Andernfalls ist es nur eine Idee des Mentals, die das Vaterland usw. mit dem Göttlichen identifiziert.

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      Alles hängt von dem Ziel ab, das du dir setzt. Wenn es für die Verwirklichung des spirituellen Zieles notwendig ist, das gewöhnliche Leben in der Unwissenheit (samsara) aufzugeben, dann hat es zu geschehen; die Forderung des gewöhnlichen Lebens kann der des Spirits nicht standhalten.

      Wenn man ausschließlich den Yoga der Arbeit als Pfad wählt, kann man im samsara verbleiben, doch frei – man betrachtet es als Feld des Wirkens und nicht mit einem Gefühl der Verpflichtung; denn der Yogi muss innerlich von allen Bindungen und Verhaftungen frei sein. Andererseits besteht keine Notwendigkeit, innerhalb der Familie zu leben – man kann das Familienleben aufgeben und jede Arbeit als Tätigkeit aufnehmen.

      Unser Yoga hat das Ziel, sich zu einem höheren Bewusstsein zu erheben und allein in diesem höheren Bewusstsein und nicht aus gewöhnlichen Beweggründen zu leben. Dies bedeutet sowohl eine Veränderung des Lebens als auch eine Veränderung des Bewusstseins. Doch nicht für alle liegen die Umstände derart, dass sie das gewöhnliche Leben zurücklassen können; sie nehmen es daher in den frühen Stadien der Sadhana als einen Bereich der Erfahrung und Selbstschulung an. Sie müssen jedoch darauf achten, es allein so zu betrachten und sich von den üblichen Wünschen, Verhaftungen und Ideen, die meist damit verbunden sind, zu befreien; andernfalls wird es zu einem Hemmschuh und Hindernis der Sadhana. Falls man durch die gegebenen Umstände nicht dazu gezwungen wird, besteht kein Erfordernis, das gewöhnliche Leben fortzusetzen.

      Wenn man das gewöhnliche Tun und Treiben aufgibt, wird man nur dann tamasisch, wenn das Vital daran gewöhnt war, seine Tatmotive aus dem normalen Bewusstsein mit seinen Wünschen und Tätigkeiten zu beziehen; sobald es diese dann verliert, fällt alle Freude, aller Reiz, alle Energie des Lebens von ihm ab. Doch wenn man ein spirituelles Ziel, ein inneres Leben hat und das Vital akzeptiert diese, dann erhält es seine Energien von innen, und es besteht keine Gefahr mehr, tamasisch zu werden.

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      Es ist nicht absolut notwendig, sich vom gewöhnlichen Leben abzuwenden, wenn man das Licht suchen oder den Yoga ausüben will. Dies wird meist von jenen getan, die einen tiefen Trennungsschnitt vollziehen wollen, um ein rein religiöses oder ausschließlich inneres und spirituelles Leben zu leben – also jene, die der Welt gänzlich entsagen und sich durch die Erlangung eines höheren [Bewusstseins-] Zustandes oder der transzendenten Realität vom kosmischen Dasein abwenden wollen, um derart ihr Geborenwerden


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