Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo
Читать онлайн книгу.werden – und wer wäre nicht gespalten? Doch das beste ist, Vertrauen in die Seele zu haben, jenen Funken des Göttlichen zuinnerst, und diesen zu hegen, bis er sich zu einer ausreichenden Flamme erhebt.
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Es ist sinnlos, derartige Gefühl zu hegen. Man muss die Welt erkennen, ohne bitter zu werden; Bitterkeit hat ihren Ursprung im eigenen Ego und seinen enttäuschten Erwartungen. Wenn man den Sieg des Göttlichen will, muss man ihn zuerst in sich selbst erlangen.
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Das erste Erfordernis für den Sadhak ist, sich vor allem auf das eigene spirituelle Wachsen, die eigene spirituelle Erfahrung zu konzentrieren – der Eifer, anderen zu helfen, lenkt von der inneren Arbeit ab. Spirituell zu wachsen, ist die größte Hilfe, die man anderen geben kann, denn dann geht etwas Hilfreiches in natürlicher Weise auf sie über.
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Sich derart an das Tun zu klammern ist absurd, solange man nicht das Licht erlangt hat, durch das man handeln muss. Der Satz „Yoga muss das Leben mit einbeziehen und nicht ausschließen“ bedeutet nicht, dass wir das Leben, so wie es ist, in all seiner strauchelnden Unwissenheit anzunehmen haben, in seinem Elend und dem dunklen Gemisch aus menschlichem Willen, Verstand, Impuls und Instinkt, deren Ausdruck es ist. Diejenigen, die das Tun verfechten, glauben, dass durch den menschlichen Verstand und die menschliche Energie, die immer von neuem losstürmen, schon alles ins rechte Lot kommen werde; der gegenwärtige Zustand der Welt nach der Entfaltung des Intellektes und einer gewaltigen Energie-Produktion, für die es keine historische Parallele gibt, ist ein deutlicher Beweis für die Nichtigkeit dieser Illusion, die ihr Tun überschattet. Yoga geht davon aus, dass allein durch eine Veränderung des Bewusstseins die wahre Basis des Lebens entdeckt werden kann; von innen nach außen ist hier die Regel. Doch bedeutet innen nicht ein Viertelzentimeter hinter der Oberfläche. Man muss tief nach innen gehen, man muss die Seele finden, das Selbst, die Göttliche Wirklichkeit zuinnerst; nur dann kann das Leben der wahre Ausdruck dessen werden, was wir zu sein vermögen, und es besteht nicht länger aus der blinden, immer wiederkehrenden wirren Trübheit jener unzureichenden und unvollkommenen Dinge, die wir waren. Wir haben zu wählen, ob wir in dem alten Durcheinander bleiben wollen, umhertastend und auf irgendeine Entdeckung hoffend, oder ob wir uns loslösen und das innere Licht suchen wollen, bis wir die Gottheit in uns und um uns entdecken und errichten können.
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Ich habe Xs Hinwendung zum Yoga, die die bessere Seite seines Aktivismus hätte ergreifen sollen, niemals allzu sehr getraut; zwei starke Fesseln in ihm verhindern diese, und zwar Ehrgeiz und das Bedürfnis zu handeln im Vital und geistiger Idealismus im Mental; diese beiden Dinge sind eine Brutstätte der Illusion. Der spirituelle Pfad erfordert eine gewisses Maß an Idealismus, man hat den wahren Wert der bestehenden Dinge zu erkennen, der – außer als Stufen in der Evolution – ein sehr geringer ist. Man kann daher entweder dem spirituell-statischen Pfad der Ruhe und Loslösung folgen oder dem spirituell-dynamischen Pfad einer größeren Wahrheit, die in das Leben herabgebracht werden muss.
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Natürlich, Tagore gehörte einem Zeitalter an, das an seine Ideen glaubte und dem seine Fehlschläge schöpferische Bestätigungen waren. Das ergibt einen gewaltigen Unterschied. Deine Kritik bezüglich seiner späteren Entwicklung mag richtig sein oder nicht, doch war gerade diese Mischung der Ton des Tages und drückte die fühlbare Hoffnung einer Verschmelzung mit etwas Neuem und Wahrem aus – daher war sie schöpferisch. Doch durch das gewaltige feindliche Geschehen ist jeglicher Idealismus in Stücke zerschlagen worden; nun versucht jeder, dessen Schwäche aufzuzeigen, doch weiß niemand, womit er ersetzt werden soll. Sicher nicht weiterhelfen wird uns diese Mischung aus Skeptizismus und Phrasen, wie „Heil Hitler“, dem faschistischen Gruß, dem Fünf-Jahres-Plan und dem Versuch, jedermann in eine amorphe Form zu hämmern – eine enttäuschte Leugnung aller Ideale einerseits und andererseits ein blindes Eintauchen in den Morast in der Hoffnung, dort eine feste Grundlage zu finden. Und was gibt es sonst noch? Solange keine neuen, spirituellen Werte entdeckt werden, ist keine große, dauernde Schöpfung möglich.
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Es ist seltsam, diese Intellektuellen sprechen immerzu vom Erschaffen, während sie lediglich dazu in der Lage sind, sich in das Nichts zu stürzen, ohne auch nur einen Finger dagegen rühren zu können. Was wollen sie erschaffen und aus welchem Stoff? Und außerdem, was nützt es, wenn jeden Augenblick ein Hitler mit seinem Knüppel oder ein Mussolini mit seinem Rizinusöl kommen kann, um es auszuwischen oder in Stücke zu schlagen.
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Ja, der menschliche Verstand ist ein sehr angenehmes und gefälliges Instrument und arbeitet hauptsächlich in den Bahnen, die von Interesse, Vorliebe und Vorurteil festgelegt wurden. Die Politiker argumentieren falsch oder unaufrichtig und besitzen die Macht, die Resultate ihrer Argumentationen zu erzwingen, und verpfuschen so die Belange der Welt. Die Intellektuellen argumentieren und beweisen, was ihr Mental ihnen aufzeigt und was weit davon entfernt ist, immer die Wahrheit zu sein; denn meist erfolgt die Entscheidung durch intellektuelle Neigung und jenen Blickwinkel, der dem Mental während der Erziehung aufgeprägt wurde; doch selbst wenn sie Erkenntnis besitzen, haben sie nicht die Macht, diese durchzusetzen. Auf diese Weise bewegt sich die Welt zwischen blinder Macht und erkennender Unfähigkeit und formt sich ihr Schicksal mit Hilfe eines mentalen Wirrwarrs.
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Du schreibst, als wäre das, was in Europa vor sich geht, ein Krieg zwischen den Mächten des Lichts und den Mächten der Finsternis – doch ist das nicht mehr so wie während des Großen Krieges. Es ist der Kampf zwischen zwei Arten von Unwissenheit. Unser Ziel ist,eine höhere Wahrheit herabzubringen, doch muss diese Wahrheit durch ihre eigene Kraft leben können und darf nicht vom Sieg der einen oder anderen Kraft der Unwissenheit abhängig sein. Das ist der Grund, warum wir uns nicht in politische oder soziale Auseinandersetzungen und Kämpfe mischen dürfen; dies würde einfach unsere Bemühungen auf eine niedere Ebene bringen und die Herabkunft der Wahrheit verhindern, die keines dieser Dinge ist, sondern einem ganz anderen Gesetz folgt und eine ganz andere Grundlage hat. Du sprichst davon, dass brahmatej [die Macht und Herrlichkeit Brahmas] von ksatratej [die Macht des Kshatriyas] überwältigt wird; doch wo ist das geschehen? Keine der sich bekämpfenden Parteien inkarniert es.
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1 Dieser Brief bezieht sich auf die folgende Bemerkung Mahatma Gandhis: „Religion aber gleicht nicht einem Haus oder einem Mantel, den man beliebig wechseln kann. Sie ist mehr ein integraler Teil des eigenen Selbstes als des eigenen Körpers. Religion ist das Band, das einen an seinen Schöpfer bindet, und wenn der Körper zwangsläufig verfällt, besteht die Religion auch hernach noch fort.“
2 „Ich habe jeden Wunsch nach meiner Erlösung verloren, möge ich wieder und wieder geboren werden und tausend Leiden leiden, so dass ich den einen Gott, den es gibt, verehren kann, den einen Gott, an den ich glaube, die Gesamtheit aller Seelen – und vor allem mein Gott der Elende, mein Gott der Böse, mein Gott der Arme aller Menschen, aller Arten, er vor allem anderen ist das einzige Ziel meiner Anbetung. Er, der hoch und niedrig ist, der Heilige und der Sünder, der Gott und der Wurm, Ihn bete an, den Sichtbaren, den Erkennbaren, den Wirklichen, den Allgegenwärtigen; zerbrich alle anderen Idole. In Ihm gibt es weder vergangene§ Leben noch künftige Geburt, weder Tod noch Gehen und Kommen, in dem wir immer eins gewesen sind und immer eins sein werden, Ihn bete an; zerbrich alle anderen Idole.“ (Aus einem Brief Swami Vivekanandas. Von Sri Aurobindo zitiert in der „Synthesis of Yoga“, Centenary Edition, 1972, S. 257.)
4. Kapitel
Vernunft, Wissenschaft und Yoga
I. Abschnitt
Europäisches metaphysisches Denken überschreitet selbst in jenen Denkern, die das Dasein Gottes oder des Absoluten zu erklären suchen, weder in seiner Methode noch in seinem Ergebnis den Intellekt. Doch der Intellekt ist nicht imstande, die‚ höchste Wahrheit zu erkennen; er vermag lediglich tastend nach der Wahrheit zu suchen oder teilweise