Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo

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Briefe über den Yoga - Sri Aurobindo


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wenn die Umstände ungünstig sind oder man nur kleine und gewöhnliche Dinge tun kann, ist dieses vitale Mental gegenwärtig. Es wirkt dann in nur kleinen Umfang in einem, und wenn es ein Gefühl von Größe braucht, plant es sehr häufig ins Leere, wohl wissend, dass seine Pläne nicht verwirklicht werden können; oder aber es stellt sich große Dinge vor, große Taten, Abenteuer, in denen man selbst der Held oder die auslösende Kraft ist. Das, was in dir vorgeht, ist der Ansturm des vitalen Mentals oder der vitalen Phantasie, die ihre Formen schafft: sein Wirken ist nicht allein für dich kennzeichnend, es wirkt vielmehr auf ähnliche Weise in den meisten Menschen – doch in jedem so wie es seinen Neigungen und Interessen, seinen bevorzugten Ideen oder Wünschen entspricht. Du musst seiner Tätigkeit Herr werden und darfst ihm nicht erlauben, dein Mental zu ergreifen und mit sich fortzureißen, wann und wohin es will. Sobald die ersten Erfahrungen in der Sadhana stattgefunden haben, wird es außerordentlich wichtig, nicht mehr zu dulden, dass diese Macht mit dir tut, was sie will; denn sonst schafft sie falsche Erfahrungen, wie es ihrer Natur entspricht, und weiß den Sadhak zu überzeugen, dass es sich um echte handelt, oder sie formt unwirkliche Gebilde und überredet ihn, dass er diesen folgen soll. Einige wurden von dieser irreführenden Kraft fortgerissen, die, von den Mächten der Falschheit benutzt, diese glauben machte, sie hätten ein großes spirituelles, politisches oder soziales Werk in der Welt zu verrichten, was dann zu Enttäuschung und Versagen führte. Sie erhebt sich deshalb in dir, damit du verstehen lernst, was sie ist, und sie zurückweist. Denn es gibt Verschiedenes, was du aus der vitalen Ebene eliminieren musst, bevor die tieferen oder größeren spirituellen Erfahrungen sicher eintreten oder gefahrlos sich fortsetzen können.

      Die Herabkunft des Friedens ist häufig eine der ersten großen positiven Erfahrungen der Sadhana. In diesem Stadium des Friedens wird das normale denkende Mental (buddhi) still oder vermindert den größten Teil seiner Aktivität; sobald dies jedoch der Fall ist, bricht sehr häufig, sofern man nicht auf der Hut ist. das vitale Mental ein, oder aber eine Art von mechanisch-physischem oder ziellosem, unterbewusstem Mental beginnt aufzusteigen und zu wirken; dies stört die Stille am meisten. Oder aber das niedere Vital versucht zu stören; das lässt dann das Ego aufkommen und die Leidenschaften mit ihrem Spiel. All dies sind Anzeichen von Elementen, die man loswerden muss; denn wenn sie fortbestehen, und andere, höhere Mächte herabzukommen beginnen – die [göttliche] Macht und Kraft, das Wissen, die Liebe oder der Ananda –, dann stoßen sie auf diese niederen Dinge, mit dem Ergebnis, dass entweder das höhere Bewusstsein sich zurückzieht oder sein Herabkommen verdeckt und der Impuls, der von ihm ausgeht, für die Zwecke der niederen Natur missbraucht wird. Das ist der Grund, warum viele Sadhaks, nachdem sie große Erfahrungen hatten, in den Griff eines vergrößerten Egos geraten und Opfer von Umwälzungen und Ehrgeiz, übertriebenem Sex-Verlangen oder anderen vitalen Leidenschaften oder Verzerrungen werden. Es ist daher immer gut, wenn der positiven Erfahrung eine vollständige Läuterung des Vitals entweder vorausgeht oder mit ihr Schritt hält, zumindest in Naturen, die ein starkes Vital besitzen.

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      Das vitale Mental ist das Mental eines dynamischen (und nicht eines rationalisierenden) Willens und Tuns und Begehrens – es hat etwas mit Kraft zu tun, mit Leistung und Befriedigung, mit Besitzergreifung, mit Freude und Leiden, Geben und Nehmen, mit Wachstum und Ausbreitung, Erfolg und Misserfolg, Glück und Unglück usw. usw.

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      Das vitale Denken drückt vitale Regungen aus, das Spiel vitaler Kräfte, es beschäftigt sich mit ihnen, aber nicht frei und unabhängig, wie es das denkende Mental tun kann. Das wahre denkende Mental vermag über den vitalen Regungen zu stehen, sie frei wahrzunehmen, zu beobachten und zu beurteilen, so wie es äußere Dinge beobachten und beurteilen würde. In den meisten Menschen jedoch ist das denkende Mental (die Vernunft) vom vitalen Mental überflutet und nicht frei.

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      Die gewöhnliche Aktivität des vitalen Mentals besteht darin, sich immer etwas vorzustellen, zu denken und zu planen, was mit diesem zu tun ist und wie jenes geordnet werden kann. Es hat in der menschlichen Natur, im menschlichen Handeln offenbar seinen Wert, doch handelt es auf eine zufällige und übertriebene Weise, ohne Disziplin, ohne seine Macht einzuteilen, ohne Konzentration auf die Dinge, die wirklich geschehen müssen.

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      Was auf diese Weise im Wachen oder Schlafen zu dir kommt, ist charakteristisch für die Vorstellungen des vitalen Mentals, die es über die Dinge, die Arbeit und alles, das sich dem Mental darbietet hat, sowie für seine Art tätig zu sein. Die vitale Phantasie im Menschen ergreift alle diese sich dem Mental darbietenden Dinge und macht sich Vorstellungen, sinnt darüber nach, formt Ideen oder Pläne für die Zukunft usw. usw. Sie hat ihren Nutzen für das Bewusstsein im gewöhnlichen Leben, doch muss sie beruhigt und durch das höhere Wirken im Yoga ersetzt werden. Im Schlaf ist es ebenfalls die vitale Ebene, in die du eintrittst. Die Erfahrungen auf der vitalen Ebene sind, wenn sie richtig gesehen und koordiniert werden, von Wert und vermitteln sowohl ein nützliches Wissen als auch die Kontrolle über das vitale Selbst und die vitale Ebene. Doch die Ursache der Störung ist das, was in unzusammenhängender Weise über das Unterbewusste in dich eindringt. All das muss beruhigt werden, und wir werden versuchen, dass es geschehe. Als ich davon sprach, dass du dich öffnen solltest, meinte ich lediglich, du solltest dir einprägen, dass die Hilfe kommt, und den Willen haben, diese anzunehmen – nicht dass du dich unbedingt um das Sich-Öffnen abmühen solltest.

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      Der Ursprung, aus dem diese Phantasien stammen, hat mit Vernunft nichts zu tun und kümmert sich um keine rationalen Einwände. Diese kommen entweder aus dem vitalen Mental, nämlich jener Quelle, aus der all die schönen Phantasien und langen Geschichten stammen, welche die Menschen sich selbst erzählen, in denen sie Helden sind und große Dinge tun; oder aber sie stammen von kleinen Wesenheiten, die mit dem physischen Mental verbunden sind und zufällige Eingebungen irgendwo auflesen und sie dem Mental darbieten, nur um zu sehen, ob sie angenommen werden. Wenn man sich genau beobachtet, kann man erkennen, dass die seltsamsten, außergewöhnlichsten und unsinnigsten Dinge das Mental durchkreuzen, oder auf diese Weise zum Vorschein kommen. Meist lacht man darüber oder bemerkt sie kaum, und diese Dinge fallen in die Welt des unzusammenhängenden Denkens zurück, aus der sie kamen.

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      Es ist wiederum das vitale Mental. Es hat kein Gefühl für Proportion oder Maß und will auf einmal etwas Großes erreichen oder sein.

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      [Tagträume] All das ist das vitale Mental; die Gewohnheit solcher Vorstellungen ist in jedermann. Es ist nicht sehr wichtig, doch muss man sich davon befreien, da sie das Ego zur Grundlage hat.

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      Das vitale Mental kann in einer gewöhnlichen Natur ohne diese Vorstellungen nicht auskommen, und daher besteht die Gewohnheit lange Zeit fort. Sich davon abzulösen und gleichgültig zu werden ist das beste, dann kann es nach einer gewissen Zeit all dem überdrüssig werden und die Gewohnheit fallenlassen.

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      Diese Art, geistig zu einer anderen Person zu sprechen, ist durchaus charakteristisch für das vitale Mental. Es ist seine Eigenart, auf der feinstofflichen Ebene auf die Dinge, an denen es interessiert ist, einzuwirken, besonders dann, wenn man die körperliche Tätigkeit eingestellt oder eingeschränkt hat.

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      Die Frage des emotionalen und höheren Vitals ist ziemlich schwierig. In einer Einteilung, in welcher das Mental mehr ist als die denkende, wahrnehmende und wollende Vernunft, kann das Emotional als ein Teil des Mentals angesehen werden, nämlich als das Vital im Mental. In einer anderen Einteilung würde man es eher als den Teil der vitalen Natur betrachten, der am meisten mentalisiert ist. Im ersten Fall wird der Ausdruck „Höheres Vital“ auf jene größere Regung der bewussten Lebenskraft angewendet, deren Wirkungsfeld das Erschaffen ist, die Macht, die Kraft, die Besitzergreifung, das Geben und Selbstgeben, das Empfangen aus der Welt zu weiterem Wirken und Verausgaben der Macht, das Sich-Hinauswerfen in die umfassenderen Lebensregungen, die Empfänglichkeit für die größeren Ziele der Natur. In der zweiten Art der Einteilung steht das emotionale Wesen an der Spitze der vitalen Natur, und beide zusammen bilden das höhere Vital. Ihnen steht das niedere Vital gegenüber, das die kleineren


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