Stolz und Vorurteil. Jane Austen
Читать онлайн книгу.Der andere dachte nur ans Frühstück.
Auf die Fragen nach ihrer Schwester erhielt sie keine sehr zufriedenstellende Antwort. Miss Bennet war zwar aufgestanden, hatte aber schlecht geschlafen und noch Fieber. Sie konnte ihr Zimmer, in das Elizabeth zu ihrer Freude gleich geführt wurde, noch nicht verlassen. Jane war sehr froh, sie zu sehen, denn aus Furcht, die Familie zu beunruhigen oder in Unannehmlichkeiten zu stürzen, hatte sie in dem Brief nicht gesagt, wie sehr sie sich nach Elizabeth sehnte. Viel sprechen konnte sie noch nicht, und deshalb erzählte sie Elizabeth nach Miss Bingleys Weggang nur, wie nett man sich um sie gekümmert hatte. Elizabeth saß schweigend bei ihr.
Nach dem Frühstück kamen auch die Schwestern herauf, und es versöhnte Elizabeth mit ihnen, als sie sah, mit wie viel Liebe und Fürsorglichkeit sie sich um Jane bemühten. Der Apotheker kam und sagte nach der Untersuchung, sie habe, wie zu erwarten, eine starke Erkältung, der man zu Leibe rücken müsse. Er gab ihr den Rat, im Bett zu bleiben, und verschrieb ihr ein Medikament. Sie folgte seinen Anordnungen gleich, denn das Fieber war wieder gestiegen, und sie hatte heftige Kopfschmerzen. Elizabeth blieb die ganze Zeit über bei ihr, und die beiden Schwestern hielten sich meist auch in dem Zimmer auf. Da die Herren unterwegs waren, hatten sie ohnehin nichts zu tun.
Als es drei Uhr schlug, wurde es Zeit für Elizabeth, und ungern sagte sie, sie müsse jetzt nach Hause. Miss Bingley bot ihr die Kutsche an, und bei etwas mehr Nachdruck hätte Elizabeth das Angebot auch angenommen, aber Jane zeigte sich so besorgt über ihren Aufbruch, dass Miss Bingley sich verpflichtet fühlte, das Angebot der Kutsche in eine Einladung umzuwandeln, vorläufig in Netherfield zu bleiben. Elizabeth nahm dankbar an, und so wurde ein Bote nach Longbourn geschickt, der der Familie Nachricht geben und ein paar Kleidungsstücke mitbringen sollte.
Kapitel 8
Um fünf Uhr zogen sich die beiden Damen zum Umziehen zurück, und um halb sieben wurde Elizabeth zu Tisch gebeten. Auf die höflichen, unvermittelt an sie gerichteten Fragen nach Janes Zustand, unter denen sich zu ihrer Freude Mr. Bingley durch den besonders fürsorglichen Ton auszeichnete, konnte sie keine sehr zufriedenstellende Antwort geben. Es ging Jane keineswegs besser. Als die Schwestern das hörten, wiederholten sie drei- oder viermal, wie leid es ihnen tue, wie schrecklich sie Erkältungen fänden und wie entsetzlich ungern sie selber krank seien, und damit war für sie das Thema erledigt. Diese Teilnahmslosigkeit, kaum dass Jane abwesend war, bereitete Elizabeth wenigstens das Vergnügen, ihre ursprüngliche Abneigung bestätigt zu sehen.
Tatsächlich war Mr. Bingley in der Gesellschaft der Einzige, den sie mit einem gewissen Wohlwollen betrachtete. Er war offensichtlich um Jane sehr besorgt und ihr selbst gegenüber höchst aufmerksam, und sie fühlte sich dadurch weniger als Eindringling, als den die anderen sie offenbar ansahen. Nur er nahm Notiz von ihr. Miss Bingley hatte nur Augen für Mr. Darcy und ihre Schwester kaum weniger. Mr. Hurst an ihrer Seite war ein träger Mensch, dessen Lebenszweck in Essen, Trinken und Kartenspielen bestand und der nichts mehr zu ihr zu sagen wusste, als er festgestellt hatte, dass sie einen Eintopf einem Ragout vorzog.
Gleich nach dem Essen ging Elizabeth wieder zu Jane hinauf, und kaum hatte sie den Raum verlassen, da begann Miss Bingley über sie herzuziehen. Sie fand ihr Benehmen unerträglich, eine Mischung aus Stolz und Impertinenz; sie wusste sich angeblich nicht zu unterhalten, war stillos, geschmacklos und ohne jeden Charme. Mrs. Hurst stimmte ihr zu und ergänzte:
»Mit anderen Worten, sie hat überhaupt nichts Empfehlenswertes, außer dass sie eine stramme Spaziergängerin ist. Ihren Aufzug heute Morgen werde ich nie vergessen. Sie sah fast aus wie eine Wilde.«
»Das stimmt, Louisa. Ich konnte mich kaum beherrschen. Wie sinnlos, überhaupt herzukommen. Wozu muss sie durch die Landschaft jagen, wenn ihre Schwester eine Erkältung hat. Und erst ihr Haar! So unordentlich und zerzaust.«
»Und erst ihr Petticoat! Hast du ihren Petticoat gesehen? Zehn Zentimeter im Dreck, wenn nicht noch mehr. Und dann das Kleid runterziehen, damit man es nicht sieht.7 Aber genützt hat es gar nichts.«
»Vielleicht trifft deine Beschreibung ja zu, Louisa«, sagte Bingley, »aber ich habe nichts davon bemerkt. Ich fand, Miss Elizabeth Bennet sah bemerkenswert gut aus, als sie heute Morgen ins Zimmer trat. Ihr schmutziger Petticoat ist mir völlig entgangen.«
»Aber Sie haben ihn doch gesehen, nicht wahr, Mr. Darcy«, sagte Miss Bingley, »und ich nehme fast an, es wäre Ihnen nicht sehr lieb, wenn Ihre Schwester so herumliefe.«
»Natürlich nicht.«
»Drei Meilen laufen, oder vier oder fünf oder wie viel auch immer, bis zu den Knöcheln im Schmutz und allein, völlig allein. Was will sie damit wohl sagen? Darin steckt doch nichts als ein unausstehlicher Drang nach Extravaganz und Unabhängigkeit, eine höchst bäurische Gleichgültigkeit gegen die guten Sitten.«
»Darin steckt schwesterliche Zuneigung, die ich sehr schätzenswert finde«, sagte Bingley.
»Ich fürchte, Mr. Darcy«, bemerkte Miss Bingley halblaut, »dieses Abenteuer hat Ihre Bewunderung für ihre schönen Augen einigermaßen abgekühlt.«
»Keineswegs«, antwortete er, »ihre Augen hatten nach dem Spaziergang etwas ausgesprochen Strahlendes.« Dieser Bemerkung folgte eine kurze Pause, nach der Mrs. Hurst fortfuhr:
»Jane Bennet finde ich ungeheuer sympathisch, sie ist wirklich ein ganz reizendes Mädchen, und ich wünsche von ganzem Herzen, dass sie sich bald vorteilhaft verheiratet. Aber bei den Eltern und den ordinären Verwandten hat sie, fürchte ich, wenig Chancen.«
»Sagtest du nicht, ihr Onkel sei Rechtsanwalt in Meryton?«
»Ja, und sie haben noch einen, er lebt irgendwo bei Billigdorf8.«
»Das ist ja köstlich«, fügte ihre Schwester hinzu, und beide lachten aus vollem Herzen.
»Und wenn sie genug Onkel hätten, um ganz Billigdorf zu bevölkern«, rief Bingley, »das machte sie keinen Deut weniger liebenswürdig.«
»Aber es beeinträchtigt ihre Chancen erheblich, Männer von Einfluss und Distinktion zu heiraten«, erwiderte Darcy.
Darauf gab Bingley keine Antwort; aber seine Schwestern stimmten Darcy lautstark zu und machten sich ein Weilchen auf Kosten der vulgären Verwandten ihrer lieben Freundin lustig.
Mit neuerwachter Zärtlichkeit allerdings verließen sie das Zimmer, begaben sich zu Jane und saßen bei ihr, bis man sie zum Kaffee bat. Es ging Jane immer noch kläglich, und Elizabeth wagte bis zum späten Abend nicht, sie allein zu lassen. Dann schlief Jane zu ihrer Beruhigung ein, und sie hielt es für angebracht, wenn auch nicht angenehm, nach unten zu gehen. Im Wohnzimmer fand sie die ganze Gesellschaft bei einer Partie Lu versammelt und wurde unverzüglich aufgefordert, mitzuspielen; aber da sie Angst hatte, man könne um hohe Beträge spielen, lehnte sie ab und schob ihre Schwester als Entschuldigung vor. Für die kurze Zeit, die sie bleiben könne, wolle sie sich mit einem Buch beschäftigen. Mr. Hurst sah sie entgeistert an.
»Lesen Sie lieber, als Karten zu spielen?«, fragte er. »Das habe ich ja noch nie gehört!«
»Miss Eliza Bennet verabscheut Karten. Sie ist eine leidenschaftliche Leserin, und nichts sonst macht ihr Spaß.«
»Ich verdiene weder das Lob noch den Tadel«, rief Elizabeth. »Ich bin keine leidenschaftliche Leserin, und viele Dinge machen mir Spaß.«
»Ihre Schwester zu pflegen, macht Ihnen gewiss Spaß«, sagte Bingley, »und ich hoffe, Sie werden durch ihre baldige Gesundung belohnt.«
Elizabeth dankte ihm von Herzen und ging dann zu einem Tisch hinüber, auf dem ein paar Bücher lagen. Bingley erbot sich sofort, ihr noch mehr zu holen – alle Schätze seiner Bibliothek.
»Wenn meine Bibliothek zu Ihrem Vergnügen und meiner Ehre nur größer wäre. Aber ich bin ein Faulenzer. Obwohl ich gar nicht viele Bücher habe, sind es immer noch mehr, als ich lese.«
Elizabeth beruhigte ihn, sie habe an denen auf dem Tisch vollkommen genug.
»Ich bin erstaunt«, sagte Miss Bingley, »dass