Salzburgsünde. Manfred Baumann
Читать онлайн книгу.uns auch noch die anderen Beiträge anschauen, Martin.« Er hatte nichts dagegen. Es folgte ein Kulturbericht, ein Porträt der Mezzosopranistin Mati Tamm. Sie sang bei den diesjährigen Salzburger Osterfestspielen die Kundry. Merana würde sie bald live erleben. Denn er hatte eine Karte für den Ostermontag ergattert. Er freute sich schon lange auf diese Aufführung. Er kannte zwar Richard Wagners Parsifal von einer CD-Gesamtaufnahme, aber er hatte die Oper noch nie live auf der Bühne gesehen. Nach dem Porträt folgte ein längeres Interview mit dem Landeshauptmann-Stellvertreter. Es ging um mögliche Unterstützungen des Landes für bestimmte Wirtschaftsprojekte. Dann wurde ein Bericht vom Salzburger Kapuzinerberg präsentiert. Es ging dabei um ein verendetes Stück Gamswild. Dabei kam mehrmals der Salzburger Stadtförster ins Bild. Es sei noch zu früh, erklärte der Förster, die näheren Umstände zu kennen, die zum Ableben der Gämse geführt hätten. Dazu brauche es weitere Untersuchungen. Aber man werde die Öffentlichkeit selbstverständlich auf dem Laufenden halten. »Und natürlich auch die Zuseherinnen und Zuseher von Salzburg heute«, wie die Moderatorin kurz vor ihrer Verabschiedung anmerkte. Der Meteorologe versprach, dass das heute schon deutlich spürbare Hoch, das sich vom Atlantik in Richtung Mitteleuropa schob, auch in den kommenden Tagen die Wetterlage bestimmen würde. Das freute Merana. Dann konnte er mit der Großmutter einiges unternehmen. Und das bei angenehmen Temperaturen, wie es aussah.
»Ach, Jacky, das tut mir aber sehr leid! Da sind wir wohl zu früh aufgebrochen!«
Der Terrier hob kurz den Kopf. Er lag auf dem rosafarbenen Teppich neben der Standuhr und widmete sich genüsslich seinem Bio-Geflügelchip. Normalerweise ließ er sich beim Verzehr seines Lieblingsleckerlis nicht so leicht stören, aber die Stimme seines Frauchens klang bedauernswert kläglich. »Und kein Wort haben die darüber gesagt, dass du die tote Gämse gefunden hast. Weil du so ein aufmerksamer Hund bist.« Sie nahm die Fernbedienung und schaltete missmutig den Fernseher aus. Der Hund äugte nochmals kurz in ihre Richtung. Er hatte jetzt keine Zeit für ihr Gejammere. Schließlich musste das Leckerli verspeist werden. Und gleich darauf das nächste.
»Wenn wir länger geblieben wären, wärst du sicher ins Fernsehen gekommen, mein Liebling. Und ich auch.« Davon hatte sie schon öfter geträumt. Immer wurden alle möglichen Leute auf der Straße angehalten, um ihre Meinung direkt in die Kamera zu sagen. Aber niemals sie. So gern hätte sie einmal ihr Gesicht im Fernsehen gesehen. Einmal wäre es fast dazu gekommen. Da drehte man tatsächlich eine Reportage. Bei einem Kegelabend. Das war fast 15 Jahre her.
Damals hatte Olaf noch gelebt, ihr Ehemann. Er hatte sie jede Woche zum Kegeln geschleppt. Sie hatte ihn dafür gehasst. Es hatte sie nie interessiert. Sie hatte nie verstanden, wie man Spaß daran finden konnte, eine dämliche Kugel über eine Bahn kullern zu lassen, nur damit am Ende der Strecke ein paar Holzfiguren polternd umfielen. Aber die anderen aus dem Bekanntenkreis ihres Mannes hatten das sehr genossen. Es wurde gejubelt und gekreischt. Und viel Alkohol gesoffen. Und dann, eines Abends, tauchte tatsächlich ein Kamerateam auf. Die wollten eine Reportage über die neu eröffneten Bahnen in diesem Kegellokal drehen. Sie machten Interviews. Auch mit ihr. Sie wusste heute nicht mehr, was sie gesagt hatte. Aber an ihre Freude damals konnte sie sich noch gut erinnern. Und was war dann? Am Abend? Keine Spur von ihr. Als sei sie gar nicht da gewesen! Jedes läppische Detail aus dem Lokal wurde gezeigt. Und viele der Gäste. Wie sie Kugeln schoben, Kegel trafen und jubelten. Aber sie nicht! Sie war kein einziges Mal im Bild.
Aber heute hätte sie wieder die Chance bekommen, vor die Kamera zu treten. Immerhin war es ihr Hund, der die tote Gämse gefunden hatte. Sie hatte ja nicht wissen können, dass tatsächlich ein Fernsehteam auf dem Kapuzinerberg auftauchen würde. Sie war natürlich früher abgehauen, weil sie dem Stadtförster nicht begegnen wollte. Schließlich hatte sie ihren Jacky ja ohne Leine herumlaufen lassen. Das war im gesamten Stadtgebiet verboten. Und auch auf dem Kapuzinerberg war es nicht erlaubt. Vom Besudeln des Mozartmonuments durch den Urin ihres Hundes einmal ganz abgesehen.
»Aber wenn ich gewusst hätte, dass wir ins Fernsehen kommen, Jacky, dann hätte ich gerne eine Strafe in Kauf genommen. Die paar Euro hätte ich locker hingestreckt. Alle hätten uns zugeschaut.«
Sicher auch die Kroninger Lore. Mit der pensionierten Lehrerin traf sie sich manchmal im Café. Beim nächsten Treffen wäre sie garantiert wohl vor Neid geplatzt, die Lore. Sie vernahm ein Winseln. Jacky hockte auf dem Boden neben ihr und blickte sie treuherzig an. Sie wusste genau, was er jetzt dachte. Bring mir bitte noch einen Bio-Chip. Sie erhob sich, machte sich auf den Weg in die Küche, um das Leckerli zu holen. Das Leben war manchmal schon verdammt hart. Besonders zu ihr.
Er spürte etwas Feuchtes. Direkt auf seinem Knie. Verdammt. Er hielt immer noch die geöffnete Dose in der Hand. Schnell riss er den Arm herum. Was dazu führte, dass die Dose erneut überschäumte und weitere Flüssigkeit ihn befleckte.
»Idiot!«, schalt er sich selbst und schaffte es schließlich, die Dose auf dem Tisch zu platzieren. Er musste den Energydrink wohl eine Weile geöffnet in der Hand gehalten haben. Seine Gedanken waren abgeschweift. Sie hingen bei dem, was er eben im Salzburg heute-Bericht gesehen hatte. Sie hatten vieles gezeigt. Die tote Gämse, den Stadtförster. Sogar Archivaufnahmen über die Fütterung der Population war eingebaut worden. Alles kam im Beitrag vor. Nur eines nicht. Kein Wort über den seltsamen Fund, den er und der Stadtförster unter dem Gamskörper gemacht hatten.
Warum sagen die darüber nichts?, fragte er sich.
Kein Bild vom Totenschädel. Keine einzige Andeutung. Warum?
Was ist mit diesem Totenkopf?
3
Der Klang kam gleich von mehreren Seiten. Aus unterschiedlichen Richtungen drangen die hallenden Schläge an sein Ohr. Die Glocken riefen die Gläubigen zum Gottesdienst. Otmar Braunberger war kein Kirchgeher, noch nie gewesen. Außer gelegentlich in seiner Kindheit. Aber er mochte den Klang. In der Stadt Salzburg gab es an die 50 Kirchen. Und das auf einer Fläche von gerade einmal 65 Quadratkilometern. Da stieß man nahezu an jeder Ecke auf ein Gotteshaus.
Natürlich wurde man vor allem an Sonntagen der Glockenklänge gewahr.
Und am Ostersonntag ganz besonders. Jetzt mischte sich der Klang weiterer Glocken dazu.
»Das werden wohl die Glocken der Franziskanerkirche sein«, murmelte der Abteilungsinspektor und griff nach der Kaffeetasse, die vor ihm auf dem Tisch stand. Normalerweise bevorzugte er ja Tee oder teeähnliche Getränke. Besonders hatte es ihm der Geschmack von Rooibos-Tee angetan. Doch ab und zu genehmigte er sich auch einen Kaffee, besonders zu den Feiertagen. Da trank er am liebsten Espresso mit viel Milchschaum. Aber da das Café Tomaselli bewusst auf klassische österreichische Kaffeekultur setzte, bot man hier keinen italienischen Cappuccino an, sondern reichte allenfalls einen Mokka mit Milch und Schlagobers. Einen solchen hatte er sich bestellt, eine »Tomaselli Melange«. Er beugte sich kurz vor, blickte über die Brüstung nach unten. Eine Familie mit zwei Kindern im Trachtengewand eilte über den Platz. Es war 10 Uhr. Die Glocken riefen zum österlichen Hochamt. Im Dom zelebrierte das niemand Geringerer als der Salzburger Erzbischof selbst. Da schien es Braunberger mehr als angebracht, dass alle Glocken des Doms in den Ruf einstimmten, von der kleinsten, der Barbara-Glocke, bis zur wuchtigsten. Die trug den Namen Salvator und wog mehr als 14 Tonnen. Das immerhin war dem Abteilungsinspektor Otmar Braunberger bekannt. Heute war der erste Tag in diesem Frühjahr, wo man getrost im Freien sitzen und sich einen Kaffee servieren lassen konnte. Herrlich. Er hatte noch genug Zeit. Sein Dienst würde erst um 13 Uhr beginnen. An Feiertagen Dienst zu schieben, machte ihm nichts aus. So konnte seine Kollegin Carola Salman sich bequem zusammen mit ihrer Tochter Hedwig ein paar schöne Tage in Wien machen. Und für seinen Freund Martin war es gewiss auch erfreulich, für ein paar Tage in seiner Pinzgauer Heimat zu verweilen, zusammen mit der Großmutter. Helles Geschnatter drang an Braunbergers Ohr. Er blickte wieder nach unten. Eine Gruppe junger Leute flanierte über den Alten Markt, dem Platz zwischen dem Café Tomaselli und dem gegenüberliegenden Café Fürst. Dort würde er hernach auch noch kurz einkehren und sich mit einigen Packungen Mozartkugeln versorgen. Den Original Salzburger Mozartkugeln, die dort handgeschöpft wurden. Getreu nach dem Rezept von Paul Fürst. Der hatte 1805 für seine Spezialität sogar eine Pariser Goldmedaille erhalten. Auch das wusste der Abteilungsinspektor. Immerhin