Salzburgsünde. Manfred Baumann

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Salzburgsünde - Manfred Baumann


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ist am Ring etwas eingraviert. Aber das werden eure Techniker herausfinden. Hast du noch Fragen, Herr Abteilungsinspektor?«

      »Danke, Eleonore. Noch einen schönen Ostersonntag.« Er legte auf. Dann fuhr er sich mit der Hand über das schlecht rasierte Kinn. Was war auf dem Kapuzinerberg geschehen? Er rechnete kurz nach. 90 bis 120 Jahre, sagte die Gerichtsmedizinerin. Dann war die Frau ungefähr zwischen 1900 und 1930 geboren.

      Sie war zu Tode gekommen, noch als junge Frau. Vielleicht 25 Jahre alt. Vielleicht auch schon Ende 30. Wo? Das ließ sich derzeit nicht sagen. Ihre Skelettteile waren jetzt gefunden worden. Vor wenigen Tagen. Nicht auf einem Friedhof, sondern auf dem Kapuzinerberg. Eines war gewiss. Irgendjemand musste sie dort verscharrt haben. Warum begrub man jemanden in abgelegenem Gelände? Um die Spuren eines Gewaltverbrechens zu vertuschen? Warum waren die spärlichen Skelettteile erst jetzt ans Tageslicht gekommen? Fragen über Fragen. Und derzeit nicht der Funken einer Antwort.

      Er lehnte sich zurück, griff in die unterste Schublade, genehmigte sich noch eine Schokoladenkugel. Sollten sie in diesem Fall überhaupt ermitteln? Für Mord gab es keine Verjährung. Das war ihm klar. Aber war hier tatsächlich ein Mord passiert? Und selbst wenn, was brachte es, jetzt, nach Jahrzehnten, darin herumzustochern? Lebten überhaupt noch Personen aus dieser Zeit? Das konnte man wohl erst halbwegs seriös beantworten, wenn man einzuschätzen vermochte, was »diese Zeit« bedeutet. In jedem Fall etwas weit Vergangenes. Er blickte auf den Bildschirm. Sie hatten reichlich ungeklärte Fälle aus der Gegenwart. Da gab es genügend Arbeit. Er angelte sich eine zweite Mozartkugel. Dann tastete er nach der Maus. Er schloss die Datei mit der Mailnachricht. Zumindest würde er einen eigenen Ordner anlegen. Bezeichnung: »Kapuzinerberg-Leiche«. Das konnte nicht schaden. Dann hatte er immerhin eine ordnungsgemäße Ablage dafür.

      4

      »Herr Merana?«

      Er vernahm die Stimme hinter seinem Rücken. Sie kam ihm bekannt vor. Er wandte sich um.

      »Frau Präsidentin!«

      Nach dem ersten Akt hatte es nur eine kurze Unterbrechung gegeben. Viele Besucher, auch er, waren im Saal sitzen geblieben. Aber nun, nach dem zweiten Aufzug, sollte die Pause eine knappe halbe Stunde dauern. Zeit genug, um sich die Beine zu vertreten, ein Glas Sekt zu ordern, sich am Buffet mit einem kleinen Happen zu versorgen, einen Kaffee zu genießen. Er deutete eine Verbeugung an. Die Festspielpräsidentin reichte ihm die Hand.

      »Ich habe Sie schon lange nicht mehr in unserem Haus angetroffen. Schön, dass Sie es einrichten konnten. Für den Parsifal muss man sich erheblich Zeit gönnen. Wie gefällt Ihnen die Aufführung bisher?«

      Er zögerte kurz, überlegte, wie er es am besten ausdrücken konnte. »Von Gurnemanz und Kundry bin ich sehr angetan. Beeindruckende Bühnenpräsenz, tolle Stimmen, bei beiden. Für Parsifal gäbe es da meiner sehr laienhaften Einschätzung nach noch Reserven. Nicht so sehr stimmlich, da war durchaus schon Großartiges zu hören, aber in der Darstellung. Das kann ja im dritten Akt noch geschehen. Immerhin hat er gleich einen bedeutsamen Auftritt.«

      In ihren klugen Augen blitzte es schelmisch auf. »Sehr diplomatisch ausgedrückt, Herr Kommissar. Ein dieser Aufführung wohlmeinender Feuilletonkritiker hätte es nicht besser beschreiben können.« Sie standen im Freien, mitten auf der Hofstallgasse, direkt an den weit geöffneten Eingangstüren des Großen Festspielhauses. Gegenüber lag das ehrwürdige Gebäude der Universitätsbibliothek, schräg dahinter der Furtwänglerpark. Wenn er den Kopf nach links drehte, konnte er den Karajan-Platz sehen und einen Teil der barocken Pferdeschwemme. Es war angenehm warm. Die Vorstellung hatte um 12 Uhr begonnen. Die Sonne war inzwischen ein gutes Stück nach Südwesten gerückt, aber auf dem Platz, an dem sie sich befanden, war sie noch gut spürbar. Die weiterhin freundlich lächelnden Augen der Präsidentin wurden plötzlich ernst. Offenbar hatte sie hinter seinem Rücken etwas entdeckt. »Ich würde mich gerne mit Ihnen länger über unseren Parsifal unterhalten, Herr Merana. Aber ich entdecke eben einen Vertreter eines unserer Sponsoren, zusammen mit seiner Gattin. Da muss Frau Präsidentin schnell ihre Aufwartung machen.«

      Er nickte, zögerte. Wenn er schon der Präsidentin der Salzburger Festspiele gegenüberstand, sollte er nicht einfach die Gelegenheit beim Schopf packen?

      »Frau Präsidentin …«

      Sie war im Abdrehen, hielt jedoch inne.

      »Darf ich Sie rasch mit einer Bitte behelligen? Es geht um etwas Dienstliches … äh … Halbdienstliches. Vielleicht hätten Sie in den nächsten Tagen Zeit für ein kurzes Gespräch …also, wenn es bei Ihren vielen Verpflichtungen sich eventuell einrichten …« Er wusste nicht recht, wie er es in der Eile ausdrücken sollte. Sie legte ihm die Hand an den Arm. Eine vertrauensvolle Geste.

      »Für Sie immer. Rufen Sie bitte morgen meine Sekretärin an. Ich gebe Frau Hertel gleich in der Früh Bescheid. Sie wird für unseren geschätzten Kommissar Merana etwas freiräumen. Das wird sich machen lassen. Versprochen.« Sie ließ nochmals ein charmantes Lächeln um ihre Mundwinkel spielen, dann schritt sie davon. Er schaute ihr nach. Sie steuerte auf ein Paar zu, das ihm bekannt war. Einerseits aus den Medien, andererseits aus den Unterlagen der Polizei, betreffend die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz prominenter Persönlichkeiten rund um das Festspielgeschehen. Der Mann gehörte zum Aufsichtsrat eines bedeutenden Automobilherstellers. Jetzt verspürte er Lust, sich doch noch ein Glas Sekt zu genehmigen. Dazu ein Lachsbrötchen. Einen Espresso hatte er vorhin schon getrunken.

      Zur Festspielpräsidentin hatte er seit längerer Zeit ein gutes, angenehmes Verhältnis. Er hatte im Lauf der letzten Jahre bei einigen Fällen im Umkreis der Salzburger Festspiele ermitteln müssen. Da war es zu mancher Begegnung mit der Festspielleitung gekommen. Dass er sie eben angetroffen hatte, verwunderte ihn allerdings. Wie ihm bekannt war, waren die Osterfestspiele ein völlig eigenständiges Unternehmen. 1961 gegründet von Herbert von Karajan. Sowohl organisatorisch als auch finanziell abgekoppelt von den eigentlichen Salzburger Festspielen. Mit einer völlig eigenen Leitung. Selbstverständlich gab es enge Verbindungen zwischen dem Osterfestival und den Sommerspielen. Und die Präsidentin des großen Sommerfestivals musste vermutlich auch zu Ostern präsent sein, schon alleine, um sich bei tatsächlichen oder möglichen Sponsoren zu zeigen, wie er eben erlebt hatte. Er würde also morgen im Direktionsbüro bei Frau Hertel anrufen.

      »Ich hätte gerne ein Glas …« Er hielt kurz inne. Nur Sekt oder doch den um einiges teureren Champagner?

      »Geben Sie mir bitte den Dom Pérignon und zwei von den Lachsbrötchen.«

      Er griff nach der Brieftasche, entnahm ihr einen Geldschein.

      »Danke, stimmt schon.«

      Er kostete. Richtig entschieden! Das zahlt sich in jedem Fall aus, fand er. Der Champagner hatte zwar einen stattlichen Preis. Aber die Qualität überzeugte ihn vollends. Und er passte trefflich zur wunderbaren Atmosphäre, in der er sich ringsum eingebettet fühlte. Bei einer glanzvollen Festspielaufführung. Am Ostermontag. Umgeben von bestens gelaunten Menschen. Die zeigten sich nicht nur festlich gekleidet, manche prunkvoll übertrieben, wie er fand. Sie gaben sich auch sehr angetan von der bislang erlebten Opernaufführung. Das konnte er gut nachvollziehen. Vor allem die bisher dargebotene faszinierende musikalische Leistung hatte die meisten sehr berührt. Zumindest entnahm er das den Gesprächen rings um sich. Die besondere Stimmung und nicht zuletzt die Begegnung mit der Präsidentin machten es ihm auch einfacher, den leichten Groll hinunterzuschlucken, den er seinem Chef gegenüber verspürte. Hofrat Günther Kerner, dem Polizeipräsidenten.

      »Du machst das schon, Martin. Die Kollegen werden angetan sein. Bei deinen Beziehungen ist das sicher leicht einzufädeln. Da verlasse ich mich ganz auf dich.« So hatte Günther Kerner es tönen lassen. Drei Wochen war das inzwischen her. Es ging um ein besonderes Meeting. Zwölf Polizeikollegen. Allesamt Führungskräfte, neun davon aus Deutschland und Italien. Dazu kamen drei Spitzenbeamte aus dem Innenministerium. Das erst vor Kurzem vereinbarte Treffen sollte in Salzburg stattfinden. Unter der Leitung des Salzburger Polizeipräsidenten, Hofrat Günther Kerner. Und der hatte


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