Der Penis-Komplex. Gerhard Staguhn

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Der Penis-Komplex - Gerhard Staguhn


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Sexus, der die Penetration, also das Eindringen und Durchdringen, zum Ziel hat. Penetration ist ja überhaupt nur nötig, sobald der zu penetrierende Körper, genauer: dessen Öffnung, der Aufnahme des Fremdkörpers einen gewissen Widerstand entgegensetzt, den es penetrierend zu überwinden gilt. Denkbar wäre ja auch eine Begattung, bei der ein weiches männliches Geschlechtsorgan in eine weite weibliche Öffnung gehängt wird, ähnlich wie man einen Teebeutel in eine Tasse hängt. Denkbar wäre auch ein ohne Penetration auskommender Kloakensex, wie bei den Vögeln. Doch wenn es ums Penetrieren geht, dann stellt der an seiner Spitze gerundete Zylinder zweifellos die Idealform eines penetrierenden Sexualorgans dar. Die Evolution hat für die Säugetiere den zylindrischen Penis und die ebenfalls zylindrische Vagina gewiss nicht umsonst als bestes aller möglichen Genitalmodelle kreiert.

      Begattung bedeutet bei den Säugetieren das Versenken eines mehr oder weniger harten Rohrs in einen elastischen Schlauch. Der Vorgang verspricht eine optimale, nämlich reibungsintensive Verbindung. Tiefgründige Penetration verlangt mit geradezu physikalischer Notwendigkeit nach dem Zylinder: dem vollen männlichen, der sich in den hohlen weiblichen zwängt und sich darin mehr oder weniger schnell vor- und zurückbewegt. Natürlich lässt sich der Penetrationsvorgang auch umgekehrt formulieren: Der hohle weibliche Zylinder stülpt sich über den vollen männlichen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Frau im Geschlechtsakt den aktiven Part übernimmt.

      Das Aggressiv-Penetrierende der zylindrischen Form findet sich auch in archaischen, Körper durchdringenden Waffen wieder: Dolch, Schwert, Lanze, Speer, Spieß oder Pfeil. Ihnen fühlt sich der Penis insgeheim anverwandt. Entsprechend wurde die männliche Potenz im misogynen antiken Griechenland als ›Waffenkraft‹ verstanden und gegenüber der Frau auch so eingesetzt. Das Wort ›Kraft‹ ist hier im Sinne von Beherrschung gemeint. Doch jeder Wille zum Beherrschen hat seinen Ursprung in der Schwäche. Denn insgeheim weiß der Mann, dass er der weiblichen sexuellen Potenz unterlegen ist. Das Patriarchat verschafft ihm die Möglichkeit, seine Schwäche in Herrschaft umzumünzen – auf Kosten der Frau.

      Seit der griechischen Antike, jener Gründer- und Hochzeit des Vaterrechts, hat man den heterosexuellen Koitus mit dem Zufügen einer klaffenden Wunde verglichen. Als solche wurde das weibliche Geschlecht ohnehin assoziiert. Nach antikem Verständnis fügt der penetrierende Penis der Frau auf paradoxe Weise eine Wunde zu, die sie schon hat und die, passend zum Bild, auch einmal im Monat blutet. Der Koitus mit einer Frau erscheint so als kriegerischer Kampf, bei dem die Frau unterworfen und besiegt werden muss, indem sie aufgespießt wird. Der Penis ist die Stich- und Stoßwaffe, die bei diesem Kampf zum Einsatz kommt. Am Ende, wenn der Mann ›abschießt‹, verwandelt sich sein Penis sogar in eine Schusswaffe, die freilich nur die Qualität einer harmlosen Spritzpistole hat.

       Der soldatische Penis

      Die Begriffspaare Mann/Penis und Soldat/Waffe stehen zueinander in einer auffallend starken Wechselbeziehung. Der strammstehende Soldat hat etwas von einem erigierten Penis, der ja auch nichts anderes tut, als stramm zu stehen – auf Befehl des Gehirns. Wenn der Soldat sein Gewehr ›präsentiert‹, verkörpert er gewissermaßen eine Doppelerektion: Der versteifende und sich dabei aufrichtende Soldat zeigt auf exhibitionistische Weise seine steil nach oben gerichtete Schusswaffe – stellvertretend für seinen erigierten Penis. Beim soldatischen Parade-Stechschritt, der besonders im NS seine groteske Übertreibung fand, wird das Gehen mit den nach oben geworfenen steifen Beinen in gewichsten Schaftstiefeln zu einer Art voranschreitender Dauererektion. Mehr noch: Im Wort ›Stechschritt‹ schwingt ein gewaltsames Penetrieren mit, insofern der obszöne Wortschatz mit ›Stechen‹ das Koitieren meint. In diesem Zusammenhang bringt sich auch der so genannte Hitlergruß als symbolische Erektion ins Spiel. Die Kommunisten ›erigieren‹ symbolisch auf ähnliche Weise, wobei der hochgereckte und dabei abgewinkelte Arm wegen der geballten Faust erst recht einem erigierten Penis gleicht.

      Aus aggressiv-patriarchalischer Sicht verkörpern Krieger und Soldat den phallischen Mann schlechthin. Seine Selbstreduzierung auf die stets abschussbereite Phallus-Waffe geht, wie Klaus Theweleit in seinem Buch Männerphantasien (1977) überzeugend nachgewiesen hat, mit der Reduzierung der Frau auf die Vulva einher. Alle soldatischen Rohre, mit denen abgeschossen, also stellvertretend ejakuliert wird, zielen auf die als erdhaft vorgestellte ›Weib-Natur‹, wie sie sich für den Frontsoldaten in den feuchten, nassen, verschlammten und zuletzt verschlingenden Erd-Löchern des Grabenkriegs manifestiert. Der Aufmarsch einer Armee ist eine Art von kollektiver Dauererektion aller ihrer ›Glieder‹. Laut Theweleit berichtete der Psychoanalytiker Wilhelm Reich (1897 – 1957) aus seiner klinischen Praxis, »dass soldatische Männer tatsächlich oft unter Dauererektionen litten«. In logischer Konsequenz stirbt ein Soldat auch nicht, sondern er fällt. Doch fallen kann nur, was steht. Entspannung, also Erschlaffung, ist für den soldatischen Penis-Mann gleichbedeutend mit Kapitulation: jenes Sich-Ergeben, das im patriarchalisch geprägten Koitus keinesfalls vom Mann, aber dafür umso mehr von der Frau erwartet wird.

      Der traditionelle Kanon der ›Männlichkeit‹, der bei uns bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts gültig war, speiste sich dementsprechend aus dem Militärischen. Der ideale Mann (auch für die Frau) war der soldatische, freilich nicht in Gestalt von ›Schütze Arsch im letzten Glied‹– gemeint ist eigentlich: Schütze Arsch mit kleinstem Glied –, sondern in der des Offiziers. Der junge, fesche, immer etwas steife Leutnant in seiner stramm sitzenden, die Körperformen mitsamt den Geschlechtsteilen stark betonenden Uniform, erfreute sich bei Frauen jeden Alters und aller Gesellschaftsschichten besonderer Beliebtheit. Der soldatische Mann verkörperte Härte, Standhaftigkeit, Stehvermögen, Geradlinigkeit, Unbeugsamkeit und Durchsetzungsvermögen – alles Attribute, die auch den Phallus auszeichnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg machten die deutschen Verlierer-Frauen keinen Hehl daraus, dass sie die amerikanischen Soldaten in ihren ›schneidigen‹, perfekt sitzenden Uniformen ungemein attraktiv fanden. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass die Amerikaner mit der phallischen Potenz des Siegers auftreten konnten, während den eigenen Männern nichts anderes übrig blieb, als ihre böse versengten Verlierer-Schwänze einzuziehen. Sie hatten den Kürzeren gezogen. Mit dem ›Kürzeren‹ ist nichts anderes als der kürzere Penis gemeint.

      Der phallische Degen, die phallische Pistole, das phallische Gewehr und nicht zuletzt die zu Hochglanz gewichsten phallischen Schaftstiefel trugen zu allen Zeiten das Ihrige dazu bei, die Figur des Soldaten sexuell aufzuladen, gerade auch, was die latent-homosexuellen Aspekte der Kameradschaft in den Mannschaften betrifft. So verwundert es nicht, dass der Begriff ›Wichsen‹ (für Onanieren) in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs geprägt worden ist.

      Die Penisbezogenheit des Mannes korrespondiert auf fast schon tragikomische Weise mit der Allgegenwart des Phallischen in der Welt. Der Penis, so meinte Sigmund Freud, »findet symbolischen Ersatz erstens durch Dinge, die ihm in der Form ähnlich, also lang und hochragend sind, wie: Stöcke, Schirme, Stangen, Bäume, und dgl. Ferner durch Gegenstände, die die Eigenschaft des In-den-Körper-Eindringens und Verletzens mit dem Bezeichneten gemein haben, also spitzige Waffen jeder Art, Messer, Dolche, Lanzen, Säbel, aber ebenso durch Schießwaffen: Gewehre, Pistolen und den durch seine Form so sehr dazu tauglichen Revolver. In den ängstlichen Träumen der Mädchen spielt die Verfolgung durch einen Mann mit einem Messer oder einer Schußwaffe eine große Rolle«. (Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Lizenzausgabe 1933, S. 165) Diskret umgeht Freud ein Faktum, das ihm als Sexualforscher zweifellos vertraut war: dass der Penis nicht nur einen »symbolischen Ersatz« in phallischen Gegenständen findet, sondern manche dieser Gegenstände sich für die Frau als praktische Masturbations-Instrumente geradezu aufdrängen. Freuds Diskretion mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass er zwar »Stöcke, Schirme, Stangen« nennt, aber die dem Penis wesentlich ähnlicheren Gemüse- und Obstsorten geflissentlich übergeht, von der Vielfalt phallischer Wurstsorten ganz zu schweigen.

       Stolz und Komik der Erektion

      Woher kommt es eigentlich, dass ein nackter Mann, der stehenden Glieds im Raum steht, bei allem erektilen Begattungsernst einer gewissen Komik nicht entbehrt? Vielleicht, weil der nackte Mann, wenn er mit seinem Phallus posiert, nicht merkt, dass dieser, mehr als es dem Manne recht sein kann, mit ihm posiert. Da wedelt symbolisch der Schwanz mit dem Mann. Und hat, diese Urkomik verstärkend,


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