Der Penis-Komplex. Gerhard Staguhn
Читать онлайн книгу.dadurch zu imponieren versucht, dass er die soeben ausgezogenen Kleidungsstücke an seinen Ständer hängte – und dieser spielend der Last widerstand. Besonders gut machte sich ein Hut, vielleicht auch deshalb, weil der Hut in der Traumsymbolik selbst für den Penis steht. Doch am komischsten wirkt ein nackter Mann mit Erektion, sobald er damit den Raum durchquert: Dann trägt er seinen Phallus wie eine Pflugschar vor sich her.
Im Gegensatz zum abstehenden steifen Penis ist der schlaff hängende überhaupt nicht komisch. Er ist nicht mal obszön. Ihm fehlt die Komik des Obszönen, die Obszönität des Komischen. Das gilt zumindest für den privaten Raum. Ja es gilt selbst für den halbprivaten Raum, etwa dem einer öffentlichen Sauna oder eines Nacktbadestrands. Dort tummeln sich schlaffe Penisse zuhauf, ohne dass sie das öffentliche Ärgernis oder gar einen Menschen erregen würden; sie wirken auf geradezu biedere Weise natürlich, also nicht obszön, und – wie alles Natürliche – unkomisch. Aber wehe, es ließe sich ein schlaffer Penis unter lauter bekleideten Menschen sehen, indem er aus dem offenen Hosenschlitz ragte! Mann und Penis wären der Lächerlichkeit preisgegeben.
Es ist schon bemerkenswert, dass sich ein und derselbe Körperteil von dem Moment an nicht mehr öffentlich zeigen darf, da er ein paar Zentimeter größer wird und sich dabei aufrichtet. Ab einem bestimmten Aufrichtungsgrad gilt er als pornografisch und darf zum Beispiel in jugendfreien Filmen nicht gezeigt werden. Auch in einer öffentlichen Sauna oder am Nacktbadestrand sind Erektionen tabu, wenngleich diese an sich harmlose Erscheinung am männlichen Körper für niemanden eine Gefahr darstellt. Auch ein erigierender nackter Mann bleibt ein nackter Mann. Tatsächlich aber wird so getan, als mutiere er zu einem Schrecken erregenden – oder schrecklich erregenden – Monster. Eigentlich ist nicht die Erektion das Problem, sondern das männliche, insgeheim mit Gewalttätigkeit in Verbindung gebrachte Begehren, das sie überdeutlich und irgendwie bedrohlich zum Ausdruck bringt. Die Frauen sind in dieser Hinsicht fein raus: Falls ihnen danach ist, können sie sich in der Sauna oder am Nacktbadestrand ganz entspannt ihren sexuellen Fantasien hingeben, ohne dass ihr Körper sie auf obszöne Weise verraten würde. Die Frau kann ihre Geilheit – und ebenso ihre Frigidität – sehr gut verheimlichen.
Nun wurde schon mehrmals das Wort ›obszön‹ gebraucht, aber was ist eigentlich mit diesem Begriff gemeint? Verbirgt sich in ihm womöglich das lateinische Wort scena (= Szene), und zwar in dem Sinn, dass etwas, das im privaten Raum ganz natürlich scheint, in dem Moment Anstoß erregt, da es sich öffentlich präsentiert, also in Szene setzt? So wurden zum Beispiel jene Szenerien im antiken römischen Theater als ›obszön‹ bezeichnet, bei denen sich die Schauspieler, etwa zum Fest der Flora, Riesenphalli aus Leder umbanden und ›auf offener Szene‹ allerlei derb-sexuellen Schabernack trieben. Doch das Wort ›Szene‹ führt uns auf eine falsche Fährte. Tatsächlich leitet sich das Wort obszön nicht von scena, sondern von caenum ab, was Schmutz, Schlamm, Kot und Unflat bedeutet. Obszön ist, was uns abstößt, wobei stets eine dreifache Abneigung gemeint ist: eine körperliche, ästhetische und moralische. Obszön ist, was allgemein als hässlich, unsittlich und eklig empfunden wird. Und das ist meistens dann der Fall, wenn das Sexuelle den privat-intimen Raum verlässt; dieser ist die einzige Bühne, auf der Obszönität inszeniert werden kann, ohne obszön zu sein. Darin zeigt sich die Ambivalenz des Obszönen: In allem Abstoßenden schlummert eben auch eine anziehende Kraft, die nur einer entsprechenden Intimsphäre bedarf, um wirksam zu werden. Das Obszöne ist das Anziehend-Abstoßende.
Wegen seiner gewitzten Biomechanik zählt der Penis zweifellos zu den originellsten Organen, die die Natur hervorgebracht hat. Seine Verwandlungsmacht hat etwas von Zauberei oder zumindest von der Illusionskunst des Varietés. Der Vorgang verblüfft, ohne dass man ihn für einen Bluff halten müsste. Der Penis führt eine Doppelexistenz; er ist ein Zwitterwesen und gleicht darin weniger einem halbseidenen, mit Tricks arbeitenden Varieté-Künstler als einem Schauspieler, dessen Kunst ja ebenfalls darin besteht, zwei Geschöpfe in einem zu sein. Der Penis, so könnte man sagen, hat eine starke Neigung für die Schaubühne. Dieser zwittrige Mime beherrscht die Fähigkeit, je nach Bedarf seine Gestalt und damit seinen Charakter zu ändern, sich abwechselnd zu entpuppen und zu verpuppen, zwischen Sein und Schein zu wechseln in der Art des Gauklers und Maskenspielers.
Vielleicht darf man sogar die Behauptung wagen, dass der Penis in seiner zwittrigen Lust zum Masken- und Schauspiel das Zwitterwesen der männlichen Homosexualität verkörpert. Der weiche, schlaff hängende Penis erscheint in seinem ganzen Habitus eher weiblich als männlich, zumindest im Gegensatz zu seiner steifen, aufgerichteten Gestalt, die männlicher nicht sein könnte. Und so korrespondiert das Zwitterwesen des Penis mit dem Zwitterwesen der Schauspielkunst, die wiederum mit dem Zwitterwesen der Homosexualität korrespondiert. Auch Homosexuelle wechseln gern von weiblicher zu männlicher Rolle, wie ja überhaupt bei vielen eine starke Neigung zum Schauspiel, zu Maskerade und Kostümierung zu beobachten ist. Aus all dem wäre der (freilich nicht ganz ernstzunehmende) Schluss zu ziehen, dass der Penis, seinem komödiantischen Doppelwesen gemäß, ein Homosexueller ist. Damit stünde er in schönstem Einklang mit der in jedem heterosexuellen Mann schlummernden Liebe zum eigenen Geschlecht.
Mit etwas Übertreibung könnte man beim Anblick einer zügig sich entfaltenden Erektion nicht nur von einem Schauspiel, sondern von einem Mysterium sprechen – wenn man nicht wüsste, wie eine Erektion rein biomechanisch funktioniert, nämlich ziemlich einfach. Die Biologie spricht von einer reflektorischen Anschwellung, Aufrichtung, Vergrößerung und Versteifung des männlichen Glieds durch Blutzufuhr in dessen Schwellkörper bei gleichzeitig vermindertem Abfluss des Bluts. Man kennt diesen Effekt von am Boden liegenden Gartenschläuchen: Diese richten sich auf und wedeln schwanzartig in der Gegend herum, sobald mehr Wasser in sie einschießt, als an der Öffnung entweichen kann. Wie der unter Überdruck stehende Gartenschlauch, so scheint auch der sich in Erektion befindliche Penis ein Eigenleben zu führen. Und in gewisser Weise stimmt das auch. Er versteift sich ja nicht durch den Willen seines Eigentümers, und ist durch diesen auch nicht zu kontrollieren. Gegenüber dem Mann hat der Penis auf dem Gebiet des Sexus immer das letzte Wort – und eigentlich auch das erste. Wohl deshalb sind die Männer geneigt, in Sexualdingen jede Verantwortung für dieses eigenwillige und eigenständige Lebewesen zwischen ihren Beinen abzulehnen.
Wegen seiner Fähigkeit zur Eigenbewegung hat der Penis in der Tat etwas von einem primitiv gebauten Weichtier. Es kann anschwellen und sich dabei langsam aufrichten, wobei es sich pulsierend und nach oben schraubend um seine Basis dreht. Es kann auf verzückende Weise in Zuckungen verfallen, kann einfache Schlenkerbewegungen ausführen oder wie zustimmend nicken. Es kann sich erschöpft niederlegen und in sich zurückziehen, ›einen auf introvertiert oder beleidigt machen‹, um sich kurz danach erneut aufzurichten und in freudiger Erwartung dazustehen – gewissermaßen ein mit sich selbst wedelnder Schwanz. Auch das Skrotum zeigt diese Lebendigkeit, allerdings weniger augenscheinlich. Man muss schon genauer hinsehen, um zu bemerken, wie sich die Hoden in sanftem Fließen gegeneinander bewegen wie kleine, in ein Täschchen eingeschlossene Tiere.
Manchmal steht der Penis völlig unmotiviert einfach so in der Gegend herum, zumeist morgens beim Aufwachen, ohne dass der dazugehörige Mann eine sexuelle Erregung verspürte. Das nennt man salopp eine Morgenlatte. Hierfür reicht der mechanische Druck der vollen Harnblase gegen die Prostata. Nicht selten führt das dazu, dass, spätestens unter der Morgendusche, die Erregtheit des Penis auf den Mann überspringt. Dann, so könnte man sagen, wird der Mann von seinem eigenen Penis verführt.
Dies alles bedenkend, erscheint der Penis als jenes Körperglied des Mannes, dem man fast schon eine Art von Charisma zusprechen möchte. Dieses fließt ihm freilich erst im Anschwellen, Versteifen und Aufrichten zu. ›Charisma‹ meint ja ursprünglich nichts anderes als eine Gnadengabe, wie sie etwa einem religiösen Propheten oder weltlichen Herrscher von Gott als eine Art göttliche Berufung zuteil werden kann. Die Erektion ist das Charisma des Penis, sie ist seine auf Hingabe zielende Begabung, seine Berufung. Umso schwerer wiegt sein Versagen. Es vernichtet schlichtweg das Männlichste am Mann.
Viertes Kapitel
Der berühmteste Penis der Kunstgeschichte
Der Penis hat, in der Art des