Der Penis-Komplex. Gerhard Staguhn

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Der Penis-Komplex - Gerhard Staguhn


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der Eier verwendet. Die Biologen sprechen in so einem Fall von ›kryptischer Weibchenwahl‹. Allerdings setzt die weibliche Spinnen-Anatomie der Polygamie Grenzen: Die Weibchen haben ›nur‹ zwei Geschlechtsöffnungen und können sich deshalb nur von zwei verschiedenen Partnern pro Paarungszeit begatten lassen. Anders als die Weibchen, sind die Männchen jedoch auf Monogamie geprägt, wenngleich auch sie im Besitz zweier Begattungsorgane sind. »In ihrem Interesse liegt es«, so meint die Verhaltensforscherin Jutta Schneider, »ein jungfräuliches Weibchen zu finden, mit ihm zu kopulieren und es dann zu monopolisieren.« Zu diesem Zweck verstopft das Männchen nach der Begattung die Geschlechtsöffnung des Weibchens mit der Spitze seines ›Taster-Penis‹– eine seltene Form der sexuellen Selbstverstümmelung. Jutta Schneider spricht von »Ein-Schuss-Genitalien«. Der Verlust der Penisspitze als Genitalpfropf lohnt sich für das Männchen insofern, als es dadurch sicherstellt, dass nach ihm kein Nebenbuhler in die von ihm besamte Geschlechtsöffnung des Weibchens eindringt und ebenfalls seinen Samen dort ablegt. Schließlich hat das Männchen ja noch einen zweiten Penis und kann damit ein weiteres Weibchen begatten und verpfropfen – vorausgesetzt, er kommt bei der ersten Kopulation mit dem Leben davon. Die flinksten Männchen haben so die Chance, zweimal im Leben zum ›Schuss‹ zu kommen, was ja ganz im Sinne der Evolution ist.

      Auch bei den Walzenspinnen verläuft die Kopulation auf bemerkenswerte Weise: Das Männchen, das bei dieser Ordnung der Spinnentiere ausnahmsweise nur wenig kleiner ist als das Weibchen, fällt seine Geschlechtspartnerin regelrecht an und umklammert sie, wobei das Weibchen wie hypnotisiert in Bewegungslosigkeit verharrt. Danach wird es vom Männchen an einen sicheren Ort geschleppt und dort auf den Rücken gedreht. Mit Hilfe seiner Mundwerkzeuge weitet das Männchen die Geschlechtsöffnung des ›ohnmächtigen‹ Weibchens, setzt einen Samentropfen auf ihm ab und stopft ihn mit den Mundwerkzeugen hinein. Danach verschließt es die Ränder der weiblichen Geschlechtsöffnung, indem es diese zusammenkneift, und macht sich flink aus dem Staub, bevor das Weibchen aus seiner Sexualstarre erwacht. Auch beim Menschen gibt es Männchen, die am liebsten mit schlafenden oder sich schlafend stellenden Frauen koitieren – eine narzisstische Vorliebe, die dem Fetischismus zuzuordnen ist, genauer: dem Antifetischismus der Kinephobie (= Bewegungsangst).

      Milben, die ebenfalls zu den Spinnentieren zählen, sind fast noch erfindungsreicher in ihrem Sexualverhalten als die Echten Spinnen. Bei einigen Wassermilben wird das Weibchen bei der Begattung vom Männchen nicht nur umklammert, sondern mit einer klebrigen Masse regelrecht festgekittet. Auch die Milbenmännchen haben sich darauf spezialisiert, ihren Samen mit den Mundwerkzeugen in die Geschlechtsöffnung des Weibchens zu stopfen. Bei manchen Arten legen sie allerdings keinen Wert mehr auf Körperkontakt beim Sex. Sie setzen ihre Samenpakete in der Nähe eines Weibchens ab und machen sich aus dem Staub. Die Weibchen stopfen sich diese Samen-Wurfpost, sobald sie sie entdecken, selber in ihre Geschlechtsöffnung – eine Art von masturbatorischer Kopulation. Freilich können die Männchen nie sicher sein, ob ihre abgelegten Samenpakete auch ans Ziel kommen oder womöglich nur in der Sonne vertrocknen.

      Bei den Zecken – auch sie zählen zu den Spinnentieren – kriecht das penislose Männchen unter das an einem Warmblütler festgebissene Weibchen und steckt seinen Rüssel in die weibliche Geschlechtsöffnung, um diese zu weiten. Danach dreht das Männchen sich um, setzt ein Samenpaket ab und schiebt dieses mit Rüssel und Tastern in die geweitete Geschlechtsöffnung des Weibchens.

      Die vielfältigen Sexualpraktiken bei den Spinnentieren, die postkoitale Tötung und Verspeisung des Männchens inbegriffen, bringt einem als Menschenmann zu Bewusstsein, dass auch die menschliche Fortpflanzung sehr gut ohne Penis auskommen könnte. Der Samen des Mannes muss halt irgendwie in die Vagina der Frau gelangen, um den biologischen Sinn des Lebens, der Fortpflanzung heißt, zu erfüllen. Der Natur ist es letztlich egal, auf welche Weise das geschieht. Wo immer bei den Spinnentieren so etwas wie Begattung stattfindet, sind es die aktiven Männchen, die sich an den passiven Weibchen sexuell abarbeiten, nicht selten mit tödlichem Ausgang. Im Grunde kann man als männlicher Vertreter der Säugetierklasse froh sein, hin und wieder mit Frauen kopulieren zu dürfen, ohne bei ihnen während des Geschlechtsakts einen weiblichen Beutetrieb zu wecken, der aus mehr als nur Kratzen und Beißen besteht. Umgekehrt können freilich auch die Frauen froh sein, dass wir ihnen nach dem Geschlechtsverkehr nicht die Vagina mit unserer abgetrennten Peniseichel zustöpseln, um Nebenbuhlern den Zugang zu versperren. Die sexuelle Aktivität des Mannes gänzlich auf die Masturbation zu beschränken und die dabei anfallende Samenmasse gut sichtbar im öffentlichen Raum, etwa auf Parkbänken, in Bushäuschen, unter Straßenlaternen oder gleich in öffentlichen Damentoiletten zu deponieren, damit sich Frauen mit Kinderwunsch frei bedienen können, wäre zwar praktisch, aber auf Dauer sehr langweilig. Dann doch lieber penetrierend in den Klauen der Frauen lustvoll verenden.

       Die hohe Liebeskunst des Maikäfers

      Bei den Insekten geht es, im Vergleich zu den Spinnentieren, eher gesittet zu, mit einer Ausnahme: der zur Ordnung der Fangschrecken zählenden Gottesanbeterin. Bei dieser Art ähnelt das kannibalische Sexualverhalten des Weibchens dem der Spinnen. Hierzu liest man in Grzimeks Tierleben: »Selbst während der Paarung beginnt die Gottesanbeterin oft, den Mann vom Kopfe her zu verzehren, während dessen Hinterende die Begattung unentwegt fortsetzt« – eine kopflose Kopulation, so könnte man sagen.

      Bei Käfern und Schmetterlingen wird man solche Sexualpraktiken vergeblich suchen; sie koitieren im Prinzip nicht anders als der Mensch, begnügen sich also mit Penetration ohne kannibalische Anwandlung. Zu diesem Zweck haben männliche Insekten Penis und Hoden, die durchaus mit denen des Menschen zu vergleichen sind. Der Penis sitzt auf der Unterseite des neunten Hinterleibsegments an dessen Hinterrand. Er ist, je nach Insektenart, einfacher oder komplizierter gestaltet. Die paarigen Hoden bestehen aus einfachen Schläuchen, die sich in den Samenleiter fortsetzen. Der Samen wird entweder in flüssiger Form oder eingeschlossen in einer Samenkapsel übertragen. Bei den meisten Käferarten, aber zum Beispiel auch bei vielen Fliegenarten, lässt sich die Paarung mit dem Coitus a tergo (= von hinten) beim Menschen vergleichen: Das Käfermännchen reitet beim Weibchen von hinten auf, beziehungsweise sitzt auf dessen Rücken und hält sich mit den Beinen an ihm fest. Manche Männchen suchen zusätzlich Halt, indem sie sich auch noch mit den Mundwerkzeugen am Weibchen festbeißen – ein Koitusreflex, der auch bei manchen von hinten koitierenden Menschenmännchen zu beobachten ist, ebenso beim Gockel, der seine Henne, oder beim Kater, der die Kätzin besteigt.

      Bei den meisten Käferarten dauert der eigentliche Koitus, nicht anders als bei so manchem Menschenpaar, nur wenige Sekunden. Hingegen kann er sich, etwa beim Maikäfer, auch über mehrere Stunden hinziehen, was, auf den Menschen übertragen, zu dem geflügelten Wort ›Sie vögeln wie die Maikäfer‹ geführt hat. Der Maikäfer erweist sich überhaupt als ein versierter Liebeskünstler im Stil eines Casanova, vor allem, was das Nachspiel betrifft, das sonst im Tierreich kaum vorkommt und auch beim Menschen eine eher weibliche Vorliebe ist, während der Mann nach vollzogenem Akt meist den unbändigen Drang verspürt, entweder den Ort des Geschehens fluchtartig zu verlassen oder ebenso fluchtartig einzuschlafen. Das Maikäfer-Männchen hingegen lässt sich nach vollbrachtem Liebesopfer wie ohnmächtig auf den Rücken fallen und vom Weibchen in dieser Position vollkommen nutz- und ziellos in der Gegend herumtragen, bis sie sich endlich voneinander lösen.

      Bei den Fliegen, etwa der Taufliege, ist vor allem das weibliche Paarungsverhalten interessant: Sie allein entscheidet, wann er darf. Dem Werben des Männchens wird nicht sofort nachgegeben, sondern das Weibchen inszeniert ein regelrechtes Programm der Zurückweisung. Es lockt, indem es sich ziert. Es gibt sich nur einem Freier hin, der sich werbend so richtig ins Zeug legt. Anders wäre es gar nicht begattungsbereit, das heißt, überhaupt nicht in der Lage, minutenlang stillzuhalten, was den rastlosen Fliegen naturgemäß schwer fällt. Denn das Männchen braucht ziemlich lange, bis es auf seine Partnerin geklettert ist und seinen Penis in die richtige Abschussposition gebracht hat. Aber auch das Weibchen benötigt diese Zeit, bis sich endlich seine Vaginalplatten öffnen. Mit den Spermien wird dem Weibchen auch ein Arsenal von Eiweißstoffen verabreicht, darunter ein so genanntes Sexpeptid. Dieses bewirkt, dass das Weibchen weitere Verehrer zurückweist; gleichzeitig regt es die Eierproduktion an. Das Weibchen wird also bei der Begattung vom Männchen chemisch auf Monogamie programmiert. Sexualität ist nun mal in hohem Maße Chemie, eben die Chemie


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