Dantes Inferno I. Akron Frey

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Dantes Inferno I - Akron Frey


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die Mangel gedreht wurde, wurde mir auf einmal bewußt, daß ich nicht mehr in meinem Körper war, der sich durch den Raum bewegte, sondern daß ich in den verschiedenen kleinen Scheibchen war, die aus dem Fleischwolf fielen. Sie entsprachen den multidimensionalen Perspektiven des Ich, von dem aus ich mich verlierend durch Selbstbetrachtung wieder zurückgewinnen konnte, denn durch die verschiedenen Teile der Aufsplitterung konnte ich mich in allen anderen Teilen betrachten und wurde mir so meiner tausend Gesichter bewußt. Dann begannen sich die verschiedenen Teilchen untereinander unabhängig vom Ganzen zu immer neuen Mustern zu vernetzen, sich dabei in Denkvorstellungen ergießend, die ständig neue Perspektiven aus sich hervorzauberten. Gleichzeitig empfand ich ein Gefühl von Wachstum, und plötzlich baute sich aus den multidimensionalen Sichtweisen vor meinem inneren Auge das Bild eines mächtigen Widdergottes auf, der eine Widdermaske mit Widderhörnern trug, auf dem toten Leib eines Opferwidders tanzte und mir mit wütendem Blick den Vorwurf ins Gesicht schmetterte: «Wolltest du mich nicht erlösen?»

      «Nein, nicht dich …»

      «Wen denn dann?»

      «Den unerlösten Schatten deines aggressiven Selbst!» gab ich zurück. Er wirkte auf mich sehr anziehend. Sein Tanz war erfüllt von trotzigem Widerstand und brachte die Schönheit der männlichen Aggression zur Entfaltung, ohne die sich im Bereich der Schöpfung kaum etwas bewegen würde. Über ihm sah ich den Trichter, der von unten aussah wie ein Ventilator, der meine zuckenden Glieder scheibchenweise ausspuckte, und mir wurde klar, daß ich nicht nur ich und er, sondern daß ich alles war, was ich erlebte, als ich aus den Fluten der Seele plötzlich den winzigen Schädel eines Kindes auftauchen sah. Aber als ich richtig hinschaute, erkannte ich, daß es der tanzende Widder-Gott war, angetan mit einem Gurt aus Menschenköpfen, der mir seinen mit Blut gefüllten Kelch entgegenhielt, in dem das abgeschlagene Köpfchen des Kindes schwamm. Mit seinen traurigen Augen sah es rührend aus, während es mit dünner Stimme zu mir sprach: «Geh zurück durchs Tor, solange du kannst, denn es sind immer dieselben aus Kain gezeugten Bedürfnisse nach Krieg und Streit, und sie nur anzuschauen wäre schon ein alter Anfang eines immer wieder neu entstehenden Verderbens: das einer perversen und sich selbst zerstörenden Welt …»

      Bleib da!» hörte ich plötzlich Akrons Stimme hinter mir, als ich schon durch die Tür zurückgehen wollte, durch die ich eben hereingekommen war, um dieser Hölle zu entkommen: «Du würdest nur erschrecken, wenn du sähest, wer da draußen vor der Türe auf dich wartet!» Und er fügte in etwas milderem Tonfall hinzu, als er sah, daß ich am Rande einer Ohnmacht stand: «Du fühlst dich im Moment noch etwas schwach, weil deine persönliche Energie am Ansturm dieser aggressiven Urenergie zusammengebrochen ist. So etwas genügt, um jeden zu lähmen. Aber du brauchst keine Angst zu haben, ich bin ja bei dir.»

      «Und wer war das Kind im Unbewußten, das mich vor den Aggressionen dieser Hölle warnte?» fragte ich, als mich ein nervöses Flimmern in der Magengrube überfiel: «War es eine innere Person von mir?»

      «Der gehörnte Widder zeigte den dramaturgischen Höhepunkt in dieser kritischen Situation», entgegnete Akron und fummelte in seiner Manteltasche, «er ist die Verkörperung deiner destruktiven Energie, und beinahe hätte er dich verschlungen, denn du warst im Begriff, dich hineinziehen zu lassen. Das Kind selbst ist ein Fragment deiner Seele, eine überwundene Materialisation deiner inneren Angst, und deshalb hat deine Seele im Augenblick der höchsten Not dein Persönlichkeitsbild einen Moment lang auf das Kind projiziert, das du dir selbst geschaffen hast, und aus dieser Position dein anderes Ich am Rande des Trichters gewarnt. Diese Warnung hat dein höheres Selbst auch sofort akzeptiert, denn mit einer blitzschnellen Verdichtung von Raum und Zeit hast du dich in einem einzigen Satz bis an den Eingang der Hölle zurückkatapultiert.»

      «Und was wäre passiert, wenn ich die Türe geöffnet hätte?» Ich ließ nicht los.

      «Du hättest sie nicht öffnen können», sagte er ganz langsam und zog schalkhaft einen Plastikschnuller aus seiner Tasche hervor, «denn du bist die Tür! Ich bin der Schlüssel, der dich öffnet, und das Schlüsselloch ist die Pforte, durch die der Leser in verborgene Welten hineingelangen kann.» Darauf lachte er schallend und sagte: «Ich bin der Teil deines Wesens, der deine Fragen denkt, die Antworten bündelt und dir hilft, beides in ein Buch einzubringen. Es geht hier darum, die Seelen der Leser deiner inneren Sehnsucht hinterherzuschicken, denn sie warten draußen vor der Tür. Sei also vorsichtig, was du denkst!»

      «Wer ist der Leser?» Aus dem Gefühl wachsender Verantwortung spürte ich in mir eine tiefe Beklemmung aufsteigen.

      «Der Leser ist das Ziel, auf das du dich beim Schreiben dieses Buches ausrichtest. Dieses künftige Buch ist ein Vakuum, ein Loch oder ein Korridor, an dessen Ende eine Tür ist, durch die der Leser hindurchgezogen wird. Wenn du durch diese Tür zurückgehen möchtest, dann begegnest du dem Leser, der sich in deinen Gedanken sucht. Du würdest ihn um die Geschichte bringen, weil du ihm in seiner möglichen Zukunft sozusagen davonliefest in eine Vergangenheit, in der wir uns fragen, ob es sich lohnt, ihn in die Geschichte überhaupt mitnehmen zu wollen.»

      Das alles war völlig unverständlich für mich. Akron erwiderte aber, daß ich eine tiefere Erklärung sowieso nicht verstehen könne, weil es mir an Verstandesenergien fehle. Ich müsse mich eben damit trösten, mein Unverstehen zu akzeptieren: «Los, knie dich hin und öffne den Mund!» Er hielt den Gummisauger in der Hand.

      «Jetzt versteh ich überhaupt nichts mehr», maulte ich. Gehorsam kniete ich mich hin und öffnete den Mund. Mit einem durchdringenden Blick schaute er durchs Schlüsselloch und steckte mir den Schnuller in den Schlund: «Dann liegst du richtig. Wenn du das akzeptieren kannst, können wir weitergehen», sagte er.

      Mond in Widder

       Hölle

      Die Hölle der infantilen Triebnatur

       Sünder

      Scheinanpasser mit unterschwelligen Aggressionen, die zu Vorwürfen, Schuldzuweisungen und starken emotionalen Ausbrüchen neigen; unkontrollierte Affekt- und Triebtäter sowie sich ständig von außen angegriffen fühlende Personen, die die Verantwortung für ihre Triebnatur nicht übernehmen wollen und ihr Aggressionspotential dadurch stellvertretend gegen sich ausleben

       Disposition

      Der Schattenbereich von Mond im Widder und Mond im 1. Haus sowie disharmonische Mond/​Mars-Aspekte

       Schuld

      Unterdrückte Aggressionen und große Spannungen zwischen Gefühlsebene und Triebnatur (verletzte Gefühle führen zu vulkanartigen Ausbrüchen der Leidenschaft); Unsicherheit, nervöse Unruhe, überagierende Aktivität aus Bedrohungserwartung und übertriebene Aggressionen gepaart mit Angst; Integrationsschwierigkeiten der aggressiven (sexuellen) Perspektive, Gefühlskälte und -abwehr aus verletztem Stolz: unbewußte Ängste, die tief im Innern sitzen und sich anschicken, im Alltag aufzutauchen

       Strafe

      Im Bereich dieser Hölle bleiben die aktiven, zur Entwicklung und Durchsetzung benötigten Aggressionskräfte oft in den Kanälen unbewußter Ängste hängen, was sich in einer Neigung zu Verfolgungswahn ausdrückt: Du fühlst dich sofort bedroht, ohne zu merken, daß es meist deine eigene verdrängte Wut ist, die von der Umwelt nur reflektiert wird und die sich manchmal als unkontrollierte Affekt- und Triebhandlung manifestiert. Immer tiefer verstrickst du dich in deinen aggressiven Wahnbildern. Eine häufige Variante dieser höllischen Prägung ist das seelische Empfinden, dem inneren Animus bzw. der Anima geopfert zu werden oder vom Muttermund als Symbol des Höllenloches wieder verschlungen zu werden: Die Angst will raus! Fötale oder embryonale Erinnerungen tauchen auf, Abläufe auf der Ebene des Zellbewußtseins werden reaktiviert. Die Beschäftigung mit den eigenen Dämonen wird hier zum Ventil für unterdrückte Aggressionen, denn ihnen zu unterliegen verspricht gleichzeitig Lustgewinn. Das führt (im Ausleben der Verhinderung) dann zu einer


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