Hotel Z. Peter Rudolph

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Hotel Z - Peter Rudolph


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Arm aus und goss. Nur ein Teil des Kaffees landete in der Tasse. Der Rest färbte die Tischdecke schwarz. „Ich lasse das in Ordnung bringen“, sagte Maria, drehte sich um und verschwand.

      „Die braucht Urlaub“, sagte Fipp.

      „Echt“, antwortete Jan und hakte seine Daumen unter den Hosenträgern ein. Gefährlich wippte er auf seinem Stuhl hin und her. „Oder einen Kerl. Ich glaube, sie steht auf mich.“

      Der Frühstücksraum, in dem Rüdiger mit seinen beiden Freunden Jan und Fipp saß, trug den Namen eines berühmten Berges, der nicht weit von hier steil aus dem Nichts emporwuchs. Bei gutem Wetter konnte man die Spitze mit dem Gipfelkreuz deutlich sehen. Der Raum selbst war nicht sehr groß, ein paar Vierertische, ein paar Zweiertische. Die Wände waren in sanftem Lindgrün gestrichen, das von schlichten Schwarz-Weiß-Fotografien unterbrochen wurde, auf denen Pflanzen – oder genauer gesagt Teile von Pflanzen – in Detailaufnahme zu sehen waren. Versehen waren die Fotografien mit rätselhaften, esoterisch anmutenden, handgeschriebenen Untertiteln. „Rinde eines Ölbaumes, älter als Elefantenhaut“ stand unter einem der Bilder, was auch immer dies bedeuten mochte. Ein echter Stilbruch in dieser Welt der Schlichtheit war der fast lebensgroße, in grellen Farben auf südamerikanische Art bemalte Jesus aus Holz, der an der Wand festgemacht war. Vom Kreuz aus schien er den Tisch mit den Teigwaren zu bewachen. Er brachte eine gewisse Schwere an diesen Ort, der zwar nicht vor Lebenslust strotzte, aber bei aller Nüchternheit etwas Freundliches ausstrahlte. Doch heute hatte ein Sonnenstrahl den morgendlichen Dunst durchbrochen und ließ das Gesicht des Gekreuzigten erstrahlen. Jesus schien zu sagen: „Jungs, ihr seid in Ordnung!“

      Rüdiger, Fipp und Jan hatten einen Vierertisch direkt am Fenster ergattert. Die Stimmung im ganzen Raum war heiter-gedämpft, ein sanftes Gemurmel, unterlegt von kleinen Jazzmelodien. Etwa jeder zweite Tisch war besetzt. Es roch nach Kaffee und frisch gepresstem Traubensaft. Die Berge lagen noch im Nebel.

      „Die Feigenmarmelade schmeckt himmlisch“, sagte Jan, verschränkte die langen Finger im Nacken und gab sich keine Mühe, ein Gähnen zu unterdrücken. „Von der müssen wir unbedingt was mitnehmen. Am besten einen ganzen Laster voll.“

      Wenn es die schöne Maria, ihre Hotelwirtin, nicht gegeben hätte, wären sie wahrscheinlich schon lange nicht mehr in Südtirol gewesen, sondern schon weiter im Süden, wo es vermeintlich sicherer war. Rüdiger wusste, dass sie auf der Flucht waren, auch wenn sie als Wanderreise und Herrenausflug getarnt war. Sie flohen vor der Polizei und vor ihren Gläubigern. Notgedrungen hatten sich die drei einen Anwalt nehmen müssen, der als Spezialist für Betrugsfälle galt. Dass sie sich selbst nicht als Betrüger sahen, interessierte niemanden. Wenigstens der Anwalt stand auf ihrer Seite. Er war offenbar wirklich ziemlich fähig, verschlang jedoch leider Unsummen. Es war zwar immer noch eine Menge an Geld auf den verschiedenen Konten vorhanden, aber die Zahlen schienen sich vor ihren Augen langsam, aber stetig in nichts aufzulösen. Ansonsten hätten sie sich auch niemals in so einem kleinen und vergleichsweise billigen Hotel einquartiert. Und unter gar keinen Umständen hätten sie sich zu dritt ein gemeinsames Zimmer genommen.

      Doch der Morgen war einfach zu schön, um sich Sorgen zu machen. Es würde ein kristallklarer Tag mit gestochen scharfen Farben werden. Zum ersten Mal seit Langem fühlte Rüdiger wieder Tatendrang in sich. Er sprang auf und rannte fast in Richtung Saftpresse. Dort machte er sich einen wunderbaren Karotte-Apfel-Saft. Das Vibrieren der Maschine übertrug sanfte Schwingungen auf seinen Magen. Gierig trank er noch im Stehen ein paar Schlucke und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen. Was für ein wunderbares Frühstück! Mit wie viel Liebe angerichtet! Es gab selbst gebackenen Kuchen, Törtchen, Käse aller Art, mit Weintrauben und Feigen kunstvoll garniert, eine Platte mit hauchdünn geschnittenem Südtiroler Schinken und tausend andere Dinge, die einen Menschen glücklich machen konnten. Vielleicht war es ein guter Gedanke, heute ausnahmsweise mal keine Bergwanderung zu machen, zumal Rüdiger die Berge aus der Ferne weit schöner fand als aus der Nähe.

      „Hey, Leute“, sagte Rüdiger und stellte sein Glas mutig mitten auf den Frühstückstisch. „Vielleicht wäre es ja eine Idee, heute, zur Feier des Tages, mal etwas Neues auszuprobieren. Habt ihr eine Ahnung, was genau die Gärten sind?“

      „Keine Ahnung“, meinte Fipp. „Wahrscheinlich aber etwas mit echten Pflanzen, vermute ich mal.“

      „Warum sollen wir denn in Gärten abhängen …“, kommentierte Jan.

      „Wo wir doch auf Berge wollen!“, ergänzte Fipp.

      Anschließend lachten beide, bis ihnen die Tränen kamen.

      Maria konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so unsympathische Gäste gehabt hatte wie diese drei Männer: Da war zum einen der pockennarbige Grobschlächtige, den seine Freunde Jan genannt hatten, der seine Finger nicht bei sich behalten konnte und dem sie weder nachts noch sonst wo alleine begegnen wollte. Dann der arrogante Schönling: Kapitän Schmalzlocke, dieser Adonis für Arme. Und zu guter Letzt der Kahlgeschorene mit dem kleinen Zopf am Hinterkopf, den seine Freunde Rüdiger nannten, das Kerlchen, das ihrem Blick nicht standhielt und das wie ein Dieb an den Wänden entlangschlich. Schon beim Einchecken vor einigen Tagen hätte sie die drei am liebsten unter einem Vorwand wieder fortgeschickt. Gerade eben, als dieser Jan sie „Schätzchen“ genannt hatte, hätte sie sie problemlos rausschmeißen können, das war eine Steilvorlage gewesen, aber sie hatte diesen Moment verpasst, leider. Was nur, was nur in aller Welt hatte sie sich dabei gedacht, diesem Horrortrio von den Gärten, dem schönsten Ort auf dieser Erde, zu erzählen?

      Als sie am Tisch des Ehepaares aus Köln vorbeikam, machte die Frau, eine Mittfünfzigerin mit erdbeerblondem Haar, ihr ein Zeichen.

      „Die behandeln Sie wie ein Stück Fleisch“, flüsterte sie Maria im Singsang des Rheinlandes zu und blickte dabei scharf in die Richtung, in der die Unsympathischen saßen. „Da kriegt man als Frau ne Jänsehaut. Soll isch mal mit den dreien reden, damitt sie Sie endlisch in Ruhe lassen?“

      „Nicht nötig, Frau Mayer“, flüsterte Maria zurück, wobei sie sich tief zu ihr hinunterneigte und Mühe hatte, das Tablett nicht fallen zu lassen. „Das Problem löst sich von selbst. Übermorgen um zehn Uhr sind sie fort.“

      Frau Mayer wischte sich imaginären Schweiß von der Stirn und atmete geräuschvoll aus. Maria lachte und zwinkerte ihr zu.

      In der Küche angekommen, stellte sie das Tablett ab und ließ sich auf einen Schemel sinken. Sie war an einem Punkt jenseits der Müdigkeit angelangt. Die letzte Nacht war grauenvoll gewesen. Wahrscheinlich hatte sie geschlafen, aber mehr als zwei Stunden konnten es nicht gewesen sein. Sorge und Angst schnürten ihr die Kehle zu. Sie öffnete das kleine Fenster und sog die kühle Morgenluft ein, so gut es das viel zu enge Dirndl zuließ.

      Maria wurde seit einigen Wochen erpresst. Die Erpresser waren zwei junge Männer, offenbar zwei Einheimische, die sich sicher zu fühlen schienen. Am Vortag hatten ihr die Erpresser auf dem Hotelparkplatz aufgelauert und angekündigt, heute wiederzukommen. „Du wirst schon sehen, wann und wo.“ Maria war sich sicher, dass sie ihr Versprechen halten würden. Bisher hatten sie immer damit gedroht, das Hotel niederzubrennen, wenn Maria nicht zahlte. Gestern hatten sie zum ersten Mal angedeutet, dass sie ihr selbst etwas antun wollten. Was genau, hatten sie nicht gesagt.

      Maria hatte die Wirte der meisten Hotels der Umgebung gefragt, ob auch sie erpresst oder bedroht würden. Alle verneinten und zumindest am Telefon hatte es für Maria nicht so geklungen, als hätten sie aus Angst die Unwahrheit gesagt. Auch der Kommissar hatte ihr leicht vorwurfsvoll erklärt, dass es schon seit Jahren in weitem Umkreis keine Schutzgelderpressung mehr gegeben habe. Warum, warum gerade ich?, dachte sie.

      Außer mit der Polizei hatte Maria mit ihrer Schwester, ihrer besten Freundin und mit Regine, ihrer rechten Hand im Hotel, über die Erpressung gesprochen und dabei sehr unterschiedliche Reaktionen erfahren. Aber der einzige Mensch, der ihr wirklich hätte helfen können, war schon seit Jahren tot. Alois, der Vorbesitzer des Hotels, war für sie der Vater gewesen, den sie nie gehabt hatte. Er hätte gewusst, was zu tun war. Nein, eigentlich stimmte das nicht. Er hätte nicht gewusst, was zu tun war, sondern


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