Hotel Z. Peter Rudolph

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Hotel Z - Peter Rudolph


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und da waren Zähne aus Elfenbein, nur viel weißer.

      „Philipp van der Meeren“, sagte er. „Freunde nennen mich Fipp. Wir haben uns ja eben am Frühstückstisch schon so nett unterhalten.“ Seine Hand umschloss die ihre ganz, der Händedruck war fest, aber nicht zu fest. Genau im richtigen Moment ließ er ihre Hand los, nachdem zuvor seine eigene Hand die Botschaft in Marias Körper injiziert hatte: Sieh her, wie warm ich bin, sieh her, wie trocken ich bin. Bist du je von einer schöneren Hand berührt worden? Maria fühlte, wie ihr Mund offen stand, sie wollte etwas sagen, aber es ging nicht. Die Worte: Urin, abbiamo urinato, Unverschämtheit wirbelten durch ihren Kopf, kamen aber nicht in die richtige Reihenfolge.

      „Wie schön, dass wir uns getroffen haben“, sagte der Mann und trat einen kleinen Schritt zurück.

      Alles einstudiert, schoss es Maria durch den Kopf, aber es war ein Gedanke, der nicht ihr selbst gehörte, der sich verflüchtigte, bevor er geboren werden konnte.

      „Haben Sie hier im Garten uriniert?“, sagte sie mit der piepsigen Stimme einer Fremden.

      „Nein“, sagte der Mann. „Ganz bestimmt nicht.“

      „Aber es gab eine Beschwerde“, sagte Maria. „Drei Männer sollen hier im Garten … Sie wissen schon. Das waren doch Sie, oder etwa nicht?“

      „Wir sind zwar keine Kinder von Traurigkeit, aber auch nicht völlig ohne Stil.“

      Plötzlich wusste Maria nicht mehr, was sie sagen sollte. „Wenn ich mich geirrt haben sollte, tut es mir leid“, nuschelte sie. „Dann entschuldige ich mich ausdrücklich.“

      „Schon in Ordnung“, sagte der Schöne. Er lächelte wieder. „Ich möchte Ihnen allerdings sagen, dass hier im Garten zwei andere Männer waren, also Fremde.“

      „Zwei Männer?!“

      „Ja, zwei Männer.“ Während er sprach hob und senkte sich ein gewaltiger Kehlkopf.

      „Wollen Sie mich veralbern? Sie meinen doch nicht Ihre beiden Freunde, oder?“

      „Ich würde niemals eine schöne Frau veralbern.“

      „Ach, hören Sie doch auf damit!“

      „Nein, nicht Rüdiger und Jan. Ich schwöre.“ Feierlich hob er die Hand.

      „Wie sahen sie aus?“, fragte Maria. Unter ihr tat sich ein Abgrund auf.

      Fipp schwieg einen Moment. Er schien intensiv nachzudenken. „Weiß ich nicht genau“, sagte er dann langsam mit seiner tiefen und klaren Stimme. „Recht jung, Ende zwanzig vielleicht. Und der eine trug, soweit ich es gesehen habe, einen Anzug. Zuerst habe ich gedacht, es seien Makler, die sich für das Hotel interessieren. Aber dann habe ich gesehen, dass der andere Turnschuhe anhatte und überhaupt sehr leger gekleidet war, und das passte nicht zusammen. Sie sind hier um den Pool rumgeschlichen.“ Der Schöne machte eine kreisende Geste mit der Hand.

      „Und dann?“

      „Und dann haben sie Fotos vom Haus gemacht. Sie haben genau dort gestanden, wo Sie jetzt stehen.“ Er zeigte auf den Boden vor Marias Füßen. „Als ich sie ansprechen wollte, was sie hier zu suchen haben, waren sie auch schon verschwunden.“

      In der Gemeinde war Maria immer noch eine Außenseiterin, obwohl die Zeiten, in denen sie auf offener Straße als Hexe bezeichnet worden war, glücklicherweise lange zurücklagen.

      Begonnen hatte alles mit einem Praktikum. Und mit einer großen Liebe zu diesem Land, diesem Ort und vor allem: diesem Haus. „Für mich ist es wie ein lebendiges Wesen“, hatte Alois oft gesagt. „Es lebt und es atmet.“ Maria war die Erste und Einzige gewesen, die ihn richtig verstanden hatte. Als herauskam, dass Alois ihr das Hotel für einen lächerlichen Betrag, einen Bruchteil des tatsächlichen Wertes, praktisch geschenkt hatte, hatte es böses Blut gegeben. Sehr böses Blut. Es hatte Klagen der Verwandtschaft gegeben, Bedrohungen von Unbekannten und Verleumdungen von Fremden. Alois’ Nichten hatten sie auf offener Straße als Hexe beschimpft. Was sonst konnte es sein als Hexenkraft, die einen alten, aber körperlich und geistig gesunden Mann dazu bringen konnte, sein Hotel, kein großes, aber ein schönes, alteingesessenes, an eine Fremde zu verschenken?

      Hexen konnten vieles. Sie konnten alte Männer dazu bringen, liebe Verwandte in ewige Armut zu verdammen, auch wenn sie selbst nichts davon hatten, einfach aus Lust an der Zerstörung. Hexen konnten alten Männern den Verstand rauben. Sie in den Wahnsinn treiben und töten. Dies und Ähnliches hatten Alois’ Nichten jedem erklärt, der es hören wollte. Und allen anderen auch.

      Sachlicher als die beiden Nichten waren ihre Anwälte gewesen. Sie hatten sich nicht getraut, das Wort „Hexe“ in den Mund zu nehmen, sondern nur von „sexueller Hörigkeit“ eines edlen Greises gesprochen. In ihren Schreiben hatten die Advokaten in pikanten Details beschrieben, wie sie dem alten Mann den Kopf verdreht hatte. Dass er ihr auch noch das Hotel geschenkt hatte, war zwangsläufig gewesen, wenn man den Anwälten glauben durfte, und fast nicht mehr erwähnenswert, nur ein Glied in einer langen Kette unschöner Glieder. Maria erfasste auch heute noch eine kalte Wut, wenn sie an all die Unverschämten dachte. Keine davon trug auch nur ein Körnchen Wahrheit in sich.

      Gemeinerweise hatte Alois die Überschreibung nicht nur noch zu Lebzeiten vorgenommen, sondern auch noch die Dreistigkeit besessen, so lange zu leben, bis Maria keinen der Erben mehr hatte auszahlen müssen. Einen Tag nach Ablauf irgendeiner Frist, die Details hatte Maria nicht verstanden, war er gestorben. Die Schwestern, Alois’ Nichten, hatten noch versucht, den Arzt, der den Totenschein ausgestellt hatte, zu bestechen, damit er den Tod um nur wenige Stunden vordatierte. Doch der Tod und der Arzt blieben unbestechlich.

      Die Zeiten der Hexenverfolgung lagen glücklicherweise Jahre zurück. Inzwischen hatte sich Maria sogar einen gewissen Respekt im Ort erarbeitet.

      Sie riss die Tür ihres Mansardenzimmers auf und widerstand dem Impuls, sich aufs Bett zu werfen. Sie musste raus, nur raus. Sie waren wieder hier gewesen, dreist und frech am helllichten Morgen! Hastig zog sie sich das verhasste Dirndl aus und Jeans und T-Shirt an. Sie nahm die Hintertreppe. Zu ihrer großen Erleichterung begegnete ihr niemand. Endlich war sie draußen. Regine würde die Stellung halten, auf Regine war Verlass, auch wenn sie die nervigste Frau dieser Welt war. Maria zog die Baseballkappe tief ins Gesicht. Kurz überlegte sie, aus Sicherheitsgründen das Auto zu nehmen, die Erpresser konnten ja noch in der Nähe sein. Sie entschied sich aber dann dagegen, denn sie brauchte dringend Bewegung.

      Der Fußweg durch den Wald war eine, wenn auch kleine, Abkürzung. Sie liebte den Wald und sie liebte diesen schmalen Weg. Wie auf Federn lief sie auf dem Nadelboden. Der kleine Bach, der sich neben dem Waldweg schlängelte, glitzerte in der Sonne wie ein Band der Hoffnung. Mit jungen Gästen machte sie oft Ausflüge hierher. Am liebsten ging sie barfuß mit den Kindern durch den Bach bis zum kleinen Wasserfall, baute Staudämme und sammelte Versteinerungen. Beim Gedanken daran musste sie lächeln. Alles, was sie eben noch belastet hatte, schien auf einmal weit entfernt, aufgesaugt vom Rauschen des Baches und fortgespült. Eidechsen huschten über ihren Weg. Zum ersten Mal seit Langem wieder sang Maria ein Lied, das Lied davon, dass nichts bleibt, wie es war.

      Der Weg führte an einer Burgruine vorbei. Hier war im späten Mittelalter ein berühmter Minnesänger gefangen gehalten worden. Vom Haupthaus der Burg war nur noch die Fassade der Giebelseite erhalten. Sie stach wie ein einzelner Zahn in einen stahlblauen Himmel.

      Fast hatte Maria den Wald verlassen und das Feld erreicht. In der Ferne schimmerte schon das rote Dach des Kirchturms. Am Wegesrand pflückte Maria späte Heidelbeeren. Bis zum Feldweg waren es nur noch wenige Meter. Maria kaute gedankenvoll.

      Endlich trat sie aus dem Wald. Den Weg durch das Feld liebte sie fast noch mehr als den Pfad durch den Wald. Im Winter lag hier so viel Schnee, dass nur noch ein einsamer Wegweiser in einer weißen Wüste andeutete, dass im Frühjahr hier wieder ein Weg auftauchen würde. Jetzt war er eingerahmt von Blumen in satten Spätsommerfarben.

      Nach einigen hundert Metern durch das Feld hatte Maria die kleine Kirche erreicht.


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