Hotel Z. Peter Rudolph

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Hotel Z - Peter Rudolph


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sich Maria auf das dreckige Geschirr. Tina, ein Mädchen mit Pagenschnitt und Stupsnase, das als Kellnerin und in der Küche arbeitete, half ihr. Wie so oft summte sie bei der Arbeit. Tina war ein echter Glücksfall. Sie war nicht nur schnell und effektiv, sondern auch von einer Heiterkeit, die ansteckend war.

      Maria ließ einen Teller fallen, der auf den Fliesen zersplitterte. „Bringt Glück!“, sagte Tina, lachte und holte Kehrbesen und Schaufel.

      Als sie mit dem Geschirr fertig waren, ging Maria wieder in den Frühstücksraum, um nach dem Rechten zu sehen. Nur noch wenige Tische waren besetzt. Am Tisch in der Ecke saß das alte Ehepaar aus Brighton, das zu ihren liebsten Stammkunden gehörte. Am Nachbartisch hatte eine Familie mit zwei kleinen Jungs Platz genommen. Die Kinder schoben sich ein Feuerwehrauto zu und vergaßen dabei offenbar die Welt um sich herum. Ihre Eltern saßen händchenhaltend auf der Bank nebeneinander und guckten einander an, als wären sie gerade zusammengekommen.

      Am Tisch der drei Männer hockte nur noch Rüdiger Rattenschwanz. Er machte Maria mit der Hand ein Zeichen, dass sie an seinen Tisch kommen sollte.

      „Sie wünschen?“ Maria hielt einen Sicherheitsabstand.

      „Was sind die Gärten?“

      „Schön sind sie, die Gärten. Es gibt Feigenbäume und Oleander. Kennen Sie vielleicht aus dem Baumarkt, Oleander meine ich. Und Goldfische gibt es auch.“

      Rüdiger lag etwas auf der Zunge. Es arbeitete in ihm. Auf seine Wangen neben den Koteletten hatten sich rote Flecken gelegt.

      „Und wo sind die Gärten?“ Er sprach so leise, dass Maria ihn kaum verstehen konnte.

      „Immer links und dann der Hauptstraße folgen und den Schildern nach. Kann man eigentlich nicht verfehlen.“

      „Vielen, vielen Dank“, sagte der Mann hastig. Die Röte hatte jetzt auch seine Stirn erreicht.

      „Keine Ursache“, sagte Maria. „Immer wieder gern.“

      Maria stand auf der Terrasse, blies den Rauch in Richtung Apfelplantage und schaute in die Ferne. Wenn man ein Hotel führt, allein führt, hat man eigentlich nie Zeit, aber die Minuten für eine Zigarette nahm sie sich einfach. Es würde ein strahlender Tag werden. Die Sonne traf letzte Vorbereitungen unter dem Schönwetterdunst. Die Farben würden explodieren. Das Blau, das Grün, das Gelb. Dem Sommer ging langsam die Kraft aus, an den Nächten merkte man es, aber für die meisten Tage reichte es, um die Illusion von Sommer zu erhalten. Die Farben waren jetzt unvergleichlich, die Ernte in vollem Gange. Wie gerne hätte sie sich den Rucksack geschnappt und die Wanderschuhe geschnürt, hätte sich auf den Weg gemacht zu den Gondeln, wäre dreimal überholt worden vom Touristenbus. Aber am Ende hätte auch sie auf dem Berg gestanden. An der Bergstation waren noch viele Menschen, auf der Hütte einige, aber danach war man auch in der Hochsaison fast allein. Maria liebte das Alleinsein. Und sie liebte die Berge. Sie trat die Zigarette aus und ging durch die Kellertür zurück ins Hotel. Ihre Zeit würde kommen. In wenigen Wochen würde ihr Haus fast leer sein und der Berg ihr gehören.

      Regine, die schon zu Alois’ Zeiten im Hotel gearbeitet hatte und zum Inventar gehörte, kam ihr im Laufschritt entgegen, kurz bevor sie die rettende Rezeption erreichen konnte, wo schon jemand ungeduldig wartete. Wie Maria diese Beflissenheit hasste! Am liebsten wäre sie auf einen Schlag unsichtbar geworden, aber auch dann hätte Regine wahrscheinlich nicht aufgehört, nach ihr zu suchen. Wie so oft in letzter Zeit hatte Regine ihr Haar zu einem strengen Knoten zusammengebunden, der wie ein kleiner grauer Ball an ihrem Hinterkopf festgeklebt schien. Geschäftsschädigend war nicht nur ihre Frisur, sondern auch ihre Bluse aus einem verwaschenen Weinrot.

      „Maria, die Wäscherei will auch gegen Vorkasse nicht mehr“, näselte Regine hervor und fasste Maria zur Bekräftigung ihrer Worte am Arm.

      „Warum denn das nicht?“ Maria fühlte, dass sie anfing zu schwitzen. Von null auf hundert. Ruhe gönnte ihr niemand, schon gar nicht Regine.

      „Keine Begründung. Einfach so“, antwortete Regine, auf deren Oberlippe sich aus einer Art Solidarität heraus ein kleiner Tautropfen aus Schweiß gelegt hatte.

      „Diese Schweine!“, sagte Maria und versuchte, dabei ins Nichts zu blicken.

      Regine nickte zurück und kam ihr dabei noch ein kleines Stück näher. „Echte Schweine. Und die Brauerei will vorbeikommen.“

      „Was wollen die? Bier zum Frühstück?“

      „Es geht um die Minibars und den Flaschenverkauf. Sie haben ein neues Konzept. Aber eigentlich geht es ihnen wohl um die Säfte. Da wollen sie ran, auch wenn sie es nicht direkt gesagt haben. Und sie wollen unbedingt dich sprechen, Maria.“

      „Hast du ihnen denn nicht gesagt, dass wir bei den Säften für die nächsten drei Jahre gebunden sind?“

      „Habe ich, aber sie wollen dich trotzdem sprechen.“

      Maria schüttelte den Kopf und machte eine Geste, die sagen sollte: Wir halten trotzdem durch.

      An der Rezeption stand eine junge Frau in rotem Mantel.

      „Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte Maria und lächelte.

      „Drei Männer“, sagte die Frau auf Italienisch mit heftigem Akzent.

      „Wir können auf Deutsch reden. Das ist vielleicht leichter.“ Maria lächelte immer noch.

      Die Frau ließ sich nicht beirren. „Tre uomini, hanno urinato nel piscina nel jardino.“

      „Drei Männer haben ins Schwimmbad uriniert?“

      „Si!“, sagte die Frau. „Also nicht ins Schwimmbad. Ans Schwimmbad.“

      „Ans Schwimmbad? Sind Sie sicher?“

      „Sie haben in den Garten gepinkelt. Ist das so schwer zu verstehen? Und meine Tochter musste vom Balkon aus alles mit ansehen. Sie ist völlig verstört. Wir möchten hier nicht bleiben. Das werden Sie doch verstehen, oder?“

      Jan hatte das Handtuch um die Hüfte gewickelt. Er spielte an den Reglern des Whirlpools, der im hinteren Teil des Gartens im Schatten unter einem Dach aus Hartplastik lag.

      „Es gab eine Beschwerde“, sagte Maria so sachlich wie möglich und starrte auf seinen breiten Rücken.

      „Echt?“, sagte Jan. Langsam drehte er sich um. Er grinste. „Das ist ja schrecklich.“

      „Ja, das finde ich auch“, sagte Maria. „Haben Sie hier im Garten vor den Balkonen uriniert?“

      „Ich habe ‚uriniert‘ verstanden, Gnädigste. Aber was haben Sie wirklich gesagt?“

      „Wer war noch dabei, außer Ihnen, meine ich?“

      „He, hören Sie. Was soll denn das? Ich habe gar nichts gemacht, außer mir die Blase zu verkühlen in Ihrem arktischen Pool. Bis aufs Klo hätte ich es trotzdem noch geschafft, verstanden?!“

      Maria stapfte weiter, auf das Rattenschwänzchen zu. Jetzt, wo er nur eine Badehose anhatte, sah man, dass er ein rechtes Bäuchlein vor sich hertrug. Er saß zusammengekauert auf einem Stuhl an der Längsseite des Pools. Für einen kurzen Augenblick überkam Maria Mitleid mit ihm, weil er so traurig und gedankenverloren aufs Wasser schaute.

      „Haben Sie hier in den Gärten uriniert?“, fragte sie halblaut und nicht so streng.

      Schreckhaft hob Rüdiger den Kopf: „Ich …“ Weiter kam er nicht. Dass er tief errötete, war Maria Antwort genug.

      Der blonde Schönling hatte es sich auf einer Liege auf der Längsseite des Pools bequem gemacht, die im prallen Sonnenlicht lag. Noch bevor sie ihn erreicht hatte, stand er auf und nahm seine Sonnenbrille ab. An den Spitzen seiner dichten Wimpern funkelten Wassertropfen. Ozeanblaue Augen fixierten sie mit Neugier. Der Schöne trug kanariengelbe Swimshorts, auf denen ein kleiner Vogel mit weit aufgerissenem Schnabel als Logo angebracht war. Maria zwang sich, nicht in Richtung Badehose zu schauen. Wasser


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