Hexengruft – Abenteuer in Moorland. Ralph Müller-Wagner

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Hexengruft – Abenteuer in Moorland - Ralph Müller-Wagner


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Dabei wollen wir es auch belassen, hm?«, stimmt der Vater zu. »Lisa braucht jetzt Ruhe. Sie fühlt, dass wir alle zu ihr stehen. Sie hat dich gesehen, Felix. Das wird ihr frische Kräfte verleihen. Nun geht zu Tisch. Mutter wartet bereits mit einem prima Kaiserschmarren auf euch.«

      In der Wohnküche duftet es nach Gebackenem. Mutter Gaby fragt Felix gleich nach dem Zeugnis. Sie ahnt, dass es nicht besonders gut sein kann, weil ihr Sohn die unangenehme Situation geschickt umgeht, in dem er das Mittagessen über alles lobt. ‚So ein Schlingel’, denkt sie, die ihren Schlawiner natürlich ganz genau kennt. Sie nimmt die Situation gelassen. In der Ruhe liegt die Kraft! Schon seit Jahren ihre Devise.

      »Na, wie viel Sechser hast du auf dem Zeugnis?«, stichelt Andrea wie in einen Ameisenhaufen, während sie den Bruder herausfordernd anschaut.

      »Lass mir endlich meine Ruhe, du Rattengewitter!«, wettert der aufgebrachte Junge sofort los, während er Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange gibt, um zu retten, was es zu retten gibt. Er macht das sehr gewandt, der Felix. So kriegt er Mutter, die schmunzeln muss, immer wieder herum.

      »Mama, der Felix sagt schon wieder schlimme Ausdrücke zu mir«, fängt sie zu heulen an. »Wenn du nicht aufhörst, werde ich deine Bücher verstecken!«

      »Du bist aber garstig«, verteidigt Sebastian seinen Freund. »Macht man so was? Ich glaube nicht.«

      »Und das Schimpfwort, he? Das darf er sagen? Ich bin keine Ratte, damit du es weißt!« Empört wirft sie die Gabel auf den Boden, steht auf und verlässt die Küche.

      »Andrea!«, ruft Mutter hinterher. »So geht es auch nicht. Was kann die Gabel dafür.« Dann wendet sie sich an Felix: »Du weißt doch, wie schnell Andrea eingeschnappt ist. Könnt ihr euch nicht mal vertragen?«

      »Deswegen mache ich es ja«, kontert Felix. »Damit sie sich vielleicht eines Tages ändert. Punkt.«

      »Felix, auch das ist nicht die feine Art. Du bist der Ältere und der sollte klüger oder erfahrener sein. Wie sehr würde ich es begrüßen, wenn ihr besser miteinander umgeht. Immerhin seid ihr Geschwister. Oder habe ich Unrecht, Sebastian.«

      »Ich, ich kann das nicht so genau beurteilen, Frau Kühn«, windet sich Sebastian aus der unbequemen Lage, um Felix nicht in die Pfanne zu hauen. »Ich hatte ja nie eine Schwester, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

      »Andrea ist doch ein Mädchen. Die sind eben empfindlicher, aber dafür wiederum liebenswert. Denkt einmal darüber nach und nun: Guten Appetit.«

      Felix zwinkert Sebastian zu, gibt ihm damit zu verstehen, es wäre jetzt besser, schnell zu essen, um dann schleunigst zu verschwinden. Mutter könnte vielleicht auf die Idee kommen, wieder über das Zeugnis zu reden. So lobt Felix in höchsten Tönen den Kaiserschmarren. Wie gut er denn schmeckt, so in Butter gebacken, mit ganz vielen dicken Rosinen drinnen. Und der Puderzucker, weiß wie Schnee, würde dem Gericht noch seinen kulinarischen Stempel aufdrücken. Wie lecker! Aber was wird aus Lisa?

      Die Nacht hat das Tuch der Finsternis über Kienholz und die nahen Bergwälder gelegt. Am wolkenlosen Himmel leuchten unzählige herrliche Sterne, die Geheimnis verstreuen und die Endlosigkeit des Weltalls. Es ist windstill, die Luft angenehm warm. Ruhe ist eingekehrt in der kleinen Siedlung.

      Immer noch bangt Felix um Lisa. Ob sie es schaffen wird? Er wünscht sich nichts sehnsüchtiger. Mutter Gaby hat Sebastian am frühen Abend mit dem Landrover nach Hause gefahren. Er sollte seine Mutter fragen, ob er nicht ein paar Tage auf Kienholz bleiben darf, um mit Felix die Ferien gemeinsam zu verbringen. Eine gute Idee, findet der aufgewühlte Junge, der heute einfach keinen Schlaf auftreiben kann. Soll er vielleicht noch einmal in den Stall gehen und nach Lisa sehen? Nein, es würde ihm nur das Herz brechen. Morgen kommt ein neuer Tag, mit neuen Herausforderungen. Da hinein legt er gern alle seine Träume. Wenn er doch bloß schlafen könnte.

      Felix wälzt sich im Bett von einer Seite auf die andere und horcht plötzlich auf. War da nicht ein dumpfes Donnergrollen? In der Nähe muss ein schlimmes Gewitter toben. Er mag den Donner, unter dem er sich oft gespenstische Szenen ausmalt. Noch fantastischer findet Felix Blitze, diese grellen Gefährten des Unwetters. Vor einer Weile fuhr durch das offene Fenster seines Zimmers ein Kugelblitz. Eine hell leuchtende Kugel, nicht größer als ein Tischtennisball. Sie wand sich wie eine Schlange um seinen Körper, ohne diesen zu berühren. Dann schwebte sie mehrmals um den Schreibtisch herum, ehe sie wieder durch das Fenster verschwand. Eine bizarre Erfahrung für Felix. Bis heute hat er jene unheimliche Begegnung für sich behalten. Nicht einmal Sebastian weiß davon. Und der ist sein bester guter Freund.

      Felix nimmt jetzt ein Buch in die Hand. »Das Geheimnis der schwarzen Hexe«, eine spannende Geschichte. Er will noch etwas darin schmökern. Er knipst das Licht der Stehlampe an, die neben seinem Bett steht. Schließt die Fenster, damit keine Mücken hereinkommen, denn Licht zieht die Insekten magisch an. Auf dem Hof ist es still geworden, nur die Grillen zirpen ihr ewiges Lied.

      Es geht fast auf Mitternacht zu, aber Felix empfindet heute keine Müdigkeit. Er muss morgen nicht in die Schule, es sind Ferien und außerdem geht das Buch unter die Haut. Über die Hälfte Text hat er bereits verschlungen. Die Hauptfigur der packenden Geschichte, also die schwarze Hexe, ist eigentlich eine arme Kräuterfrau, die im Mittelalter lebt und Leute ihres Standes von Krankheiten befreit. Sie wird von der Kirche, die ihre Tätigkeiten als Blendwerk bezeichnet, genötigt, schwarze Sachen zu tragen. Die Kräuterfrau soll abgeurteilt werden, da sie mit dem Teufel in Verbindung stehe. Das einfache Volk setzt sich jedoch für sie ein, plant einen Aufstand gegen die Obrigkeit, im Land der Kälte. Anführer ist der fünfzehnjährige Jakob, der ohne Eltern aufgewachsen ist und sich oftmals als Knecht verdingt. Dem Felix imponiert dieser Jugendliche aus einer fernen Zeit, für den er ebenso Partei ergreift, wie für die unschuldige Kräuterfrau. Auch wenn das Buch sein Lesealter weit überschreitet, so versteht er die Zusammenhänge gut. Lesen bildet doch, findet Felix!

      Es donnert wieder. Dieses Mal etwas lauter. Nach einigen Sekunden wiederholt sich das dumpfe Grollen des Himmels. Felix legt das Buch neben sein Kopfkissen, springt aus dem Bett und schaut aus dem Fenster. Ein greller Blitz fährt durch die finstere lauwarme Nacht. Er zählt leise, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiund…, dann donnert es erneut heftig. Das Gewitter ist also ganz nahe, ungefähr drei Kilometer. Am Himmelszelt ein Wetterleuchten. Es will kein Ende nehmen. Wind kommt auf. Felix bemerkt es jetzt deutlich an den sich bewegenden Wipfeln der Bäume. Noch eine Weile lesen. Es ist gerade so spannend. Schon ist er wieder im bequemen Bett verschwunden.

      Kaum hat er eine Seite gelesen, blitzt es noch einmal. Es ist taghell im Zimmer. Plötzlich erlischt das Licht der Stehlampe. Ob ein Blitz eingeschlagen ist? Aber dann müsste überall kein Strom da sein. Felix springt wieder aus dem Bett, schaltet das Stubenlicht ein und siehe da: Es funktioniert nicht. Ebenso der eigene Fernseher und als er aus dem Fenster schaut, flackert auch kein Hoflicht mehr. Vielleicht ist der Sicherungsschalter gefallen. Zum Glück ist nichts Schlimmes passiert. Oder etwa doch? Er lauscht. Im Haus ist es ruhig. Sie schlafen alle. Felix geht leise in sein Zimmer zurück, holt die Taschenlampe aus dem Nachttisch und liest weiter. Man muss sich eben bloß zu helfen wissen!

      Es sind keine fünf Minuten vergangen, da vernimmt Felix ein zaghaftes Klopfen in seinem Zimmer. Er horcht auf. Was war das? Ist eventuell die Fantasie mit ihm durchgegangen? Oder spielt ihm das Gewitter einen Streich? Er schaut auf die Uhr. Mitternacht. Geisterstunde. Unheimlicher kann es kaum sein. Ihm wird etwas komisch in der Magengegend, obwohl er auf Gespenster steht. Aber bisher ist Felix noch keinem begegnet. Mutig guckt er mit der Taschenlampe unter dem Bett nach, wenn auch das Klopfen nicht von da kam. Gespenster sind erfinderisch und unberechenbar, was er in seinen Büchern oft gelesen hat.

      Bange Sekunden verstreichen. Im Zimmer ist es totenstill, doch draußen wütet immer noch das Unwetter. Regentropfen klatschen ans Fenster. Ob sie der Auslöser für das Klopfen gewesen sind? Eine logische Erklärung und eine akustische Täuschung dazu, findet Felix, der sich schnell wieder beruhigt. Zum Lesen hat er jetzt natürlich keinen Bock mehr. Schlafen kann er schon gar nicht. Dennoch knipst er die Taschenlampe aus. Nun ist es stockdunkel im Zimmer, nachdem er die zwei Fensterläden dicht


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