Tatort Gemeindebau. Manfred Rebhandl

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Tatort Gemeindebau - Manfred Rebhandl


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sind für Ärzte und Pflegepersonal da, Patienten stören den Betrieb.

      Du erinnerst Dich sicher auch noch an den seltsamen Vogel mit Tiroler Dialekt, ein Schiffsingenieur, der auf Riesentankern zwischen dem Persischen Golf und Rotterdam unterwegs war, rund um Afrika, denn für den Suezkanal waren die Pötte zu groß. Er hatte eine verstopfte Halsschlagader und redete manchmal wirr. Als der Tross der Visite einmal bei ihm hielt und der junge Primar Heiss ihn nach seinem Befinden fragte, stand der Tiroler stramm neben seinem Bett und antwortete: »Herr Doktor, ich rate Ihnen zu einem Opel Commodore, der verfügt über ein ausgezeichnetes Hängevermögen. Ich bin im Ötztal einmal mit einem Commodore in einen steilen Wald gestürzt und dort in den Baumwipfeln hängengeblieben, unverletzt. Und das gedenke ich auch zu bleiben!«

      Und dann war da noch der Barmixer vom Hilton-Hotel, ein Burgenländer namens Pinter, gutaussehend, er wäre als Zwilling von Alain Delon durchgegangen. Auch er mit einem Tumor im Kopf, auch er nach einem halben Jahr tot. Hier herrscht Krieg, wir sind in einem Frontlazarett, hast Du gesagt. Überleben, Kollege, überleben! Darum geht’s hier. Vergiss alles andere!

       Lieber Karl,

      kommen wir zur Sache. Ich möchte Dir von einer Mordserie erzählen, die sich Ende der Siebzigerjahre in meinem Gemeindebau mit seinen fünftausend Leuten ereignet hat. Wie Du ja aus eigenem Erleben weißt, sind Gemeindebauten eine Welt für sich, es verwundert also nicht, dass die Mordserie nie aufgeklärt wurde, obwohl damals auch zwei Kriminalbeamte ums Leben kamen, die ebenfalls im Gemeindebau wohnten. Dann erwischte es noch einen Finanzprüfer, den hat eine Giftschlange hinweggerafft, bedenke: eine Giftschlange in Floridsdorf! Und dann war da noch der Mord an einem bekannten Floridsdorfer Spediteur, welcher über eine beeindruckend große Sattelschlepper-Flotte gebot, die er mit illegalen und ausgebeuteten Chauffeuren aus dem Osten betrieb. Der Mann parkte seinen kanarigelben Ferrari vor den Heurigen und sonnte sich in der Aufmerksamkeit der Gäste. Ein eitler und primitiver Charakter.

      Wirtschaftskammer, Gewerkschaft und Polizei waren von ihm bestochen; das ging über Spenden für den Verein der Freunde der Wiener Polizei, den Sportverein Handelsministerium und den Stipendienfonds des ÖGB, der aus den Spenden Mini-Stipendien an Studenten ausschüttete. Ich weiß das, denn ich habe damals von besagtem Leopold-Böhm-Fonds fünfhundert Schilling Jahresstipendium bekommen. Mein Heimplatz kostete das Dreifache, aber monatlich. Wahrscheinlich wäre mehr Geld zur Verfügung gestanden, aber Österreichs Spitzengewerkschafter haben ja auch ihre Bedürfnisse, das wissen wir von den Herren Verzetnitsch, der sich ein Penthouse im ersten Bezirk organisierte, und Flöttl junior, der eine Insel auf den Bermudas sein Eigen nannte und den Streikfonds von drei Generationen, die BAWAG-Bank, in den Sand setzte – und bei dem niemand nachfragte, wo die Milliarden geblieben waren. Ich bin sicher, Du hättest nachgefragt und Du hättest Dich nicht mit Ausreden abspeisen lassen.

      Eingangs erwähnte ich den Erdölingenieur von van Sickle. Er erzählte mir von einem erbitterten Verdrängungswettbewerb zwischen »unserem« Spediteur und einem aus dem neunten Bezirk. Die beiden ließen nichts unversucht, dem anderen zu schaden, es hagelte Anzeigen und Sabotageakte, einige Zugmaschinen wurden auf entlegenen Parkplätzen abgefackelt.

      Du hast schon als Bub immer etwas dazuverdient, auch das hab ich nicht vergessen. Als Kegelaufsteller, Weingartenhelfer, Beerenpflücker. Bei Deiner Mutter und Dir war Schmalhans Küchenmeister.

      Das Seltsame an der Mordserie war die angewandte Technik. Ein Pfeil ins Herz, durchschnittene Kehlen bei den beiden Kriminalbeamten, ein vom Schlangengift getöteter Finanzbeamter. Und der Spediteur wurde an einer Plakatwand angenagelt wie Jesus Christus, allerdings dürfte er da schon tot gewesen sein, auch seine Kehle war durchschnitten. Das Plakat, an dem er hing, zeigte einen Truck, er warb für das Speditionsgewerbe. Wir bringen, was Sie täglich brauchen.

      In unserem friedlichen Bezirk ereignen sich zwar immer wieder Morde, es gibt dafür aber hinreichende Erklärungen. Die meisten spielen sich im Familienkreis ab und sind Produkte drückenden Geldmangels oder häuslicher Meinungsverschiedenheiten über die Schärfe eines Gulaschs. Manchmal wird auch das Erscheinen neuer Sexualpartner in abgestorbenen Beziehungen durch klassische Eifersuchtsmorde quittiert. Erweiterte Suizide kommen bei uns selten vor, auch die Unterweltler im Bezirk haben Manieren und Herzensbildung.

      Vor den geschilderten Gewalttaten verzeichneten wir Morde im Milieu von Berufsspielern, illegalen Waffenhändlern aus dem Kaukasus und dem ehemaligen Jugoslawien sowie der florierenden Geheimprostitution. So erwischte den »schönen Rudolf«, einen Stoßspieler und Peitscherlbub von Rang, auf dem Nachhauseweg in den Gemeindebau ein Messer. Ein Beziehungsstreit zwischen einer älteren Prostituierten und ihrem Zuhälter fand in der Brünner Straße sein Ende, als der Mann vor einer Ampel anhielt, eine Pumpgun aus dem Kofferraum des Fünfhunderter Mercedes holte und seine Mitarbeiterin durch das Seitenfenster erschoss. Dann setzte der Mann sich auf den Fahrersitz und schoss sich den Kopf vom Rumpf. All das waren bedauerliche Zwischenfälle, das soziale Leben im Grätzel vermochten sie aber nicht zu stören. Man wusste vom jeweiligen Hintergrund der Bluttaten und fühlte sich, da nicht betroffen, in Sicherheit. Einzig der Mord an einem Tankwart hatte in den Neunzigerjahren für Beunruhigung in den Gemeindebauten gesorgt. Es war damals die Zeit nach dem Kollaps der sozialistischen Staaten und man vermutete, dass ein Durchreisender seinen Geldbedarf auf diese Weise gedeckt hatte.

       Caro mio!

      Im Falle eines Mordes ist grundsätzlich das Motiv entscheidend. Wenn man das Motiv kennt, verliert ein Mord seinen Schrecken und wird Teil des Alltags – wie ein manipulierter Durchlauferhitzer, eine Massenschlägerei bei den Proben der Faschingsgilde, ein ausgelaufener Kühlschrank oder ein Behördenbrief, der zum Antritt einer Haftstrafe auffordert.

      Zurück zur Mordserie: Man vermutet, dass die beiden Kriminalbeamten und der Finanzprüfer mit dem Floridsdorfer Spediteur gemeinsame Sache machten, das würde auch die zeitliche und technische Seite ihres Hinscheidens erklären.

      Als die Morde geschahen, lag ich noch im Krankenhaus, Du warst ein paar Wochen vor mir entlassen worden und musstest mit einer hohen Honorarforderung rechnen. Ich kenne Dein Faible für abgekürzte Wege in Lebenskrisen und Behördenverfahren, schon als Dreizehnjähriger hast Du einen brutalen und aufsässigen Fußballtrainer in einen Weinkeller voller Gärgase gesperrt, man nannte das damals einen Unfall. Wir beide wissen es besser, lieber Karl.

      Wie gesagt, Motive sind bei Morden entscheidend. Lass mich daher die folgende Schlussfolgerung formulieren. Ich denke, dass Du Dich mit dem Spediteurskonkurrenten im neunten Bezirk in Verbindung gesetzt hast und ihm bei der Lösung des Geschäftsstreits zur Hand gegangen bist, mit Deinen eigenwilligen Methoden. Die drei Mithelfer musstest Du auch behandeln, anders ging es nicht. Mit dem Honorar wirst Du wohl Deiner Mutter geholfen haben, und Deine Garage in Upstate New York konnte auch eine Renovierung gebrauchen. Ich zweifle aber, dass Du die Spitalskosten nachgezahlt hast. Das würde mich doch sehr wundern.

      Mittlerweile ist über die Sache längst Gras gewachsen, Präriegras, wie ich meine. Ich hoffe sehr, dass es Dir in Deiner neuen Heimat gut geht. Bei uns entwickeln sich gerade die Vorboten einer neuen großen Zeit, wie Karl Kraus die Kriegszeit nannte, aber davon seid Ihr in den USA ja auch nicht gefeit, wenn ich mir Eure Präsidentschaftskandidaten anschaue. Ich glaube nicht, dass ich je nach Upstate New York komme, aber jedes Jahr besuche ich meinen Freund Mister Giordano in New York. Seine »Mulberry Street Bar« in Little Italy führt jetzt sein Sohn Larry, ein patenter Kerl. Für mich ist dort immer ein Platz reserviert, vis-à-vis vom Eingang, der Tisch unter dem Wandgemälde. Dort könnten wir uns treffen. Du brauchst nur meinen Namen zu sagen, die Leute dort wissen, wann ich komme. Einundzwanzig Uhr würde gut passen. Aber nimm Dir nachher nichts vor. Wir haben einander viel zu erzählen.

      Mit den besten Grüßen aus dem friedlichen Floridsdorf!

      Dein alter Freund aus dem Gemeindebau

      Groll

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