Lichtschacht. Anne Goldmann

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Lichtschacht - Anne Goldmann


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ihm einen raschen Blick zu. War das nicht zu direkt? Zu frech?

      »Schauen wir einmal.«

      Was sollte das heißen? Hatte er vor, ihr einen Ganztagsjob anzubieten? Unwahrscheinlich. Der Laden warf kaum Gewinn ab. Sie musste so rasch wie möglich mit der Wohnungssuche beginnen. Mehr arbeiten, vielleicht wieder putzen gehen. Sie seufzte. Ihr war zum Heulen.

      »Hey, was ist los? Was hast du?«

      Sie wandte sich ab. »Ich hab mich verzettelt, lebe, als hätte ich alle Zeit der Welt«, murmelte sie. »Ich muss schleunigst anfangen zu suchen.«

      »Es wird sich schon etwas ergeben«, beruhigte er sie.

      Aber so funktionierte die Welt nun einmal nicht. Abwarten führte zu gar nichts. Alles blieb in der Schwebe. Sie musste endlich etwas tun.

      Diesmal stand die Haustüre offen. Lenas Herz schlug schneller.

      Auf Zehenspitzen huschte sie über den frisch gewischten Boden. Die Abdrücke ihrer Schuhkuppen waren deutlich zu sehen. Ein älterer Mann in Arbeitskleidung stand bei den Briefkästen. Sie grüßte und setzte einen schuldbewussten Blick auf.

      »Macht nichts«, sagte er und lachte. »Ist schon fast trocken.« Während sie auf den Lift wartete, packte er seine Putzutensilien zusammen und zündete sich eine Zigarette an. »Wiedersehen!« Die Haustür fiel ins Schloss.

      Lena sah sich um. Rechts vom Lift, drei Stufen tiefer, lag der Zugang zum Hof. Sie öffnete die Tür und stand in einem mit grauen Steinen gepflasterten, aufgeräumten Geviert, das an zwei Seiten vom Haus umarmt wurde. Drei Bäume warfen dichte Schatten. Links schloss das Nachbarhaus an. Auf der Feuermauer gegenüber der Tür rankte Efeu. Davor standen, ordentlich aufgereiht, Müllcontainer und Sammelbehälter für Altpapier. Jemand hatte ein paar staubige Pflanzen abgestellt. Daneben lagen zwei Säcke mit Blumenerde, verkrustete Tontöpfe und eine grobe Bürste. Ein grüner Gartenschlauch schlängelte sich über das Pflaster. Weit und breit keine Leiche. Keine Spuren. Kein Hinweis darauf, dass hier jemand zu Tode gekommen wäre.

      Wieder war sie Opfer ihrer blühenden Phantasie geworden. Hatte sich tagelang umsonst gefürchtet. Während andere der Sache sofort auf den Grund gingen, spann sie ihre Geschichten um etwas, das ihr aufgefallen war, Begegnungen, Kleinigkeiten – bis sie sich schließlich selber davor zu gruseln begann.

      Sie trat ein paar Schritte zurück und betrachtete die Hinterhoffassaden . Hier war erst vor kurzem renoviert worden, die Gangfenster neu. Der Großteil der Wohnungen musste zur Straße hin liegen. Im letzten Stock gab es zwei Terrassen.

      Nun, wo sie schon da war, konnte sie sich das Haus auch gleich genauer ansehen. Die Bilder wieder bannen, dachte sie. Der Lift brachte sie ins Dachgeschoss. Weiße Türen ohne Namensschilder, kein Werbematerial. Lena atmete auf. Ein Hightech-Fahrrad war ans Geländer gekettet. Im vierten Stock roch es ein wenig nach Rauch. Auch hier wohnte man anonym. Vier teure, ein billiger Fußabstreifer im dritten Stock. Im zweiten lagen graue Standardmodelle. Sie trat näher heran, las zwei russisch klingende Namen und sprang erschrocken zurück, als jemand durch den Spion schaute. Sie tat, als suche sie in ihrer Tasche nach der Adresse und kam sich dumm dabei vor. Sie spürte den Blick bis in die Haarwurzeln, ihr wurde heiß. Sie floh in den ersten Stock. Über ihr öffnete sich eine Tür. Husten. Sie erwartete einen Zuruf, eine Frage. Aber es blieb still. Sie begnügte sich mit einem raschen Rundumblick, lief ins Parterre und verließ das Haus.

      Als Detektivin, Lena, murmelte sie, bist du völlig ungeeignet.

      ||

      Champagner. Er hatte den teuersten genommen, den er fand. Eigentlich machte er sich nicht viel aus dem Zeug, aber dieser Abend war eine Zäsur. Alles lief gut. Nach Plan. Morgen begann sein neues Leben.

      Warten war nicht seine Stärke, aber diesmal hatte er sich Zeit gelassen. Was waren schon ein paar Tage mehr oder weniger? Ab jetzt konnte er alles haben. Es war eine große Summe. Zwei Stunden hatte er damit zugebracht, sich im Internet Luxuswohnungen anzusehen. Seine war so weit in Ordnung, viel zu teuer natürlich, aber irgendwie hatte er es immer geschafft. Mit einem starken Willen klappte alles. Geld spielte ab jetzt keine Rolle mehr. Er konnte sich kaufen, wonach immer ihm war.

      Es blieb seltsam abstrakt. Jetzt, wo er kurz davor war, in Geld zu schwimmen, gab es nichts, das er unbedingt haben musste. Kein großer Wunsch, der der Erfüllung harrte. Nein, halt: Reich sein, richtig reich – das war es! In den Tag hinein leben. Tun und lassen, worauf er Lust hatte. Es den Snobs zeigen. Er stellte sein Glas ab und holte den Kalender. Die Einträge in ihrer ordentlichen, ein wenig bauchigen Kleinmädchenschrift endeten am 15. April. Die restlichen Kalenderblätter waren leer und würden es bleiben.

      Da war der Schein! Drei Quicktipps. Joker. Und: Volltreffer. Kathrin hatte ihn aufgeregt angerufen: »Ich hab den Doppeljackpot geknackt, stell dir vor! Was wünschst du dir? Wir müssen feiern! Gleich. Komm rüber.« Dumm und zutraulich wie ein Stubenküken. Ihr erster Fehler …

      ||

      Lena sah auf die Uhr: kurz vor acht. Das Flugzeug musste bereits gelandet sein. Sie würde dem Mann die Schlüssel zurückgeben und den Rest kassieren. Leicht verdientes Geld, wenn man sich nicht ekelte und mit Katzen gut auskam. Er hatte es eilig gehabt und ihr, während unten bereits das Taxi wartete, noch einmal umständlich erklärt, welche Räume er versperrt und welche sie zu kontrollieren hatte. »Sie protestieren gegen meine Abwesenheit, indem sie da und dort Häufchen hinterlassen. Die dürfen natürlich nicht liegen bleiben.«

      Er hatte tatsächlich »Häufchen« gesagt! Die penibel geschriebenen Listen in der Küche, wo er die Katzenfutterdosen aufbewahrte, hatte sie erst später entdeckt: Den Fütterungs- und Tränkplan. Anweisungen zur Katzenklohygiene. Die Lüftungsvorgaben und in welchen Raum die Katzen zwischenzeitlich zu »verbringen« waren, um ein Entwischen zu verhindern. »Man muss sie auch kraulen«, hatte er erklärt. »Eine halbe Stunde genügt im Allgemeinen.«

      Wie lebte so jemand? Wie verbrachte er seine Tage? Lena stellte sich einen Beamten vor, der seine Kollegen durch seine Pingeligkeit regelmäßig in den Wahnsinn trieb. Sie sah ihn in einem übertrieben ordentlichen, leicht angestaubten Einzelbüro allein seine Jause einnehmen. Seinem Chef beflissen die geforderten Unterlagen reichen. Eine Partei, wie die Kunden einer Behörde hier genannt wurden, durch eine eigenwillige Mischung aus Rechthaberei und Unterwürfigkeit dazu bringen, je nach Temperament erschöpft aufzugeben oder türenknallend davonzurauschen und beim nächsten Mal den Anwalt vorzuschicken. Würde er ihr auf der Straße auffallen? Wahrscheinlich nicht. Viele sahen so aus: durchschnittlich, unauffällig, beige. Sie schlüpften in Hauseingänge und verschwanden in Wohnungen, die ihnen glichen.

      Auf der Suche nach einem Dosenöffner hatte sie in der Küche ein paar Laden geöffnet. Ein bisschen Besteck, Teller, Gläser, zwei Töpfe. Futterschüsseln. Und Unmengen von Instantsuppen in Plastikboxen, nach Geschmacksrichtung sortiert. Sie war sich sicher, dass er ihr Fallen gestellt hatte, Haare oder Fäden in Schranktüren und Laden geklemmt, um zu sehen, ob sie sie öffnete, an seine Sachen ging. Viele ihrer Kunden waren Kontrollfreaks. Eine Dame, die sich nur schwer von ihrer fetten Katze hatte trennen können, ließ vor ihrer Abreise in die Kuranstalt die Wohnung verstauben, um sie anhand von Fingerabdrücken eines »Übergriffs«, wie sie das nannte, zu überführen. Eine andere stand die ganze Zeit wie eine Aufseherin neben ihr, während Lena wie verlangt mit der Zahnbürste die Ecken der Badezimmerschränke schrubbte, und herrschte sie schließlich an: »Sie sind Ihr Geld nicht wert.«

      Sie zog den schweren Vorhang ein Stück zur Seite. Ein breiter Sonnenstreifen fiel auf das fleckige Eichenparkett. Sie hatte große Lust, an den räudigen Lappen zu ziehen, bis sie nachgaben und zu Boden gingen, die Fenster sperrangelweit aufzureißen. Durchzulüften und … Man müsste den Boden abschleifen und ölen, die Wände neu tapezieren. Eine ganz helle Tapete, dachte sie. Fenster und Türen in mattem Elfenbein. Weiß war zu hart. Sie sah sich durch die schimmernden, leeren Räume gehen und staunen. Nach und nach würden sie sich mit Möbeln füllen. Mit Bildern in kräftigen Farben. Sie hatte Zeit. Man musste die Dinge zusammenfügen, eins nach dem anderen. Stoffe aussuchen, Lampen. Auf Flohmärkten stöbern …

      Vergiss es! Sie seufzte. Eine


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