Loverboy. Astrid Seehaus

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Loverboy - Astrid Seehaus


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sie dagegen hatte damals ihre Unabhängigkeit bewahren wollen. Das war etwas völlig anderes.

      Ohne einen Schluck getrunken zu haben, stellte sie die Tasse beiseite und wusste, was sie zu tun hatte. Auch dieses Mal würde sie sich nicht beirren lassen.

      Als Carel die Pacat Bar betrat, geschah etwas, woran er sich im Laufe der letzten beiden Wochen erst hatte gewöhnen müssen: Er wurde aufmerksam von einem hübschen Mädchen gemustert. Das war neu für ihn und immer noch ungewohnt. Denn normalerweise pflegte ihn das weibliche Geschlecht zu übersehen. Nicht weil er hässlich war, sondern weil ihn seine Schüchternheit und sein Job gelehrt hatten, sich unsichtbar zu machen. Er lächelte dem Mädchen zu, wenn auch nur scheu. Da er der Laufbursche von Zascha war, wäre es aufgefallen, hätte er sich zu sehr um Unauffälligkeit bemüht.

      Carel begrüßte den Barkeeper.

      „Hi, Stan, ich hab was für dich.“ Er reichte dem schweren Mann einen geschlossenen Umschlag.

      Mit einem Nicken nahm Stan die Ware entgegen und verschwand im Hinterzimmer. Carel atmete auf, als er das brisante Zeug los war, und sah sich um.

      Das Pacat war nahezu leer. Er lümmelte sich auf einen Barhocker. Während er auf Stan wartete, der das Crystal prüfte, verfolgte er die Vorführung einer Poledancerin, die ihren Hintern lustlos hin und her schwenkte, beobachtete Elena in ihrem schwarzen Netzfummel, wie sie sich lustlos dem einzigen Kunden, Marke Bürohengst, näherte, der sich – wahrscheinlich lustlos – von ihr vögeln lassen würde. Eine ebensolche Lustlosigkeit schien sich auch seiner zu bemächtigen. Carel fragte sich angeödet, was er hier eigentlich tat.

      Das Etablissement war Swingerclub und Puff zugleich. Die einst schwülstige Bordellatmosphäre mit dunklem Holz und roten Samtvorhängen war durch einen kühlen Marmor-Glas-Schick ersetzt worden. Carel kannte das Pacat noch nicht lange genug, um sich eine Meinung über die Änderungen in der Einrichtung oder der Kundschaft zu bilden, aber Elena hatte ihm gesagt, dass neuerdings eine andere Klientel komme. Mehr Rechtsanwälte, Versicherungsfritzen und Schickimickis als früher.

      „Was macht ein attraktiver junger Mann so allein hier?“

      Das Mädchen, das ihn angesprochen hatte, musste neu sein und besaß einen rumänischen Akzent. Carel bezweifelte, dass sie schon achtzehn war. Alles an ihr, der schlanke Körper und die großen, runden Augen, erinnerte ihn an ein Rehkitz.

      „Möchtest du Gesellschaft?“ Die Sätze klangen einstudiert. Wahrscheinlich waren das die einzigen Brocken Deutsch, die sie beherrschte.

      „Nein, danke. Ich bin geschäftlich hier“, antwortete Carel, und der Barkeeper gab dem Mädchen mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass es verschwinden solle.

      Stan schob ihm einen zugeklebten Umschlag zu.

      „Wo dieses Mal?“, murmelte Carel, woraufhin Stan wortlos einen Zettel auf den Tresen legte, als hätte er vergessen, wie man die Stimmbänder benutzte. Dann vertiefte er sich wieder ins Gläserpolieren, ohne seinem Gegenüber weiter Beachtung zu schenken.

      Carel las die Adresse. Es war keiner der Plätze, an denen er sich für gewöhnlich mit Zascha traf. Er war schon viel mit seinem Boss herumgefahren, aber er kannte noch nicht jede Ecke von Erfurt, und diese sagte ihm gar nichts. Er zog sein Smartphone aus der Hosentasche, gab den Straßennamen ein und studierte den Weg dorthin. Von Anfang an war Carel Zaschas Hang zur Vorsicht und Geheimniskrämerei aufgefallen. Vielleicht hatte er Glück und würde heute endlich erfahren, wo Zascha wohnte.

      Zascha. Für alle einfach nur Zascha. Auch für ihn. Ohne Nachnamen. Kurz und bösartig.

      Der Barkeeper ließ das Papier verschwinden, kaum hatte Carel es aus den Händen gelegt. Zum Abschied nickte Carel ihm stumm zu, doch der andere reagierte nicht.

      Neben dem Ausgang fiel Carel eine Werbetafel ins Auge. Die Sex-Flatrate war diese Woche schon für hundert Euro pro Nacht zu haben. Die Mädchen bekamen davon zehn Prozent und die Freier durften sie so lange in Anspruch nehmen, wie sie wollten (oder konnten, dachte er süffisant). Letzte Woche hatte der Preis noch hundertfünfzig betragen, und Elena hatte sich schon darüber ziemlich aufgeregt. Hatte sie es gewagt, sich wieder zu beschweren? Sie war die Älteste im Pacat und hatte eine Tochter, die sie aus dem Milieu raushielt. Das hatte sie ihm erzählt, obwohl sie sonst eher schweigsam war. Ihr war dabei deutlich anzumerken gewesen, dass sie diesen Job hasste. Und dabei ging es ihr noch gut, sinnierte Carel. Sie hatte weniger Grund, sich zu beschweren als die Mädchen in den Fickzellen, wie Zascha die Wohnungen nannte, in denen die Kleinen für ihn anschaffen mussten.

      Carel schüttelte den Gedanken an seinen Boss ab und stieg in den gestohlenen Mercedes, den er im Hinterhof des Pacat geparkt hatte. Er folgte den Ansagen der Navigations-App seines Handys. Sie lotsten ihn zu einem Mietshaus, einem heruntergekommenen Altbau. Das schlichte Gebäude passte zwar nicht zu Zaschas theatralischem Wesen, doch zu der Vorsicht, die er stets walten ließ. Endlich seine Adresse zu kennen, war ein enormer Fortschritt. Carel triumphierte, Zascha begann, ihm zu vertrauen. Plötzlich wurde die Beifahrertür aufgerissen, und Zascha schwang sich auf den Sitz. Das ging so schnell, dass Carel ihn erst einmal verblüfft anstarrte. Zascha musste im Hauseingang auf ihn gewartet haben. Sein Vertrauen war also doch nicht so groß.

      Ungeduldig fuhr Zascha Carel an: „Hast du das Geld?“

      Wortlos zog Carel den Umschlag aus der Innentasche seiner Jacke und reichte ihn seinem Boss. Der befingerte den Inhalt und steckte ihn schließlich zufrieden ein.

      „Gut gemacht“, lobte Zascha und zog ein pinkfarbenes Smartphone aus der Hosentasche. „Ich denke, dafür hast du dir eine kleine Anerkennung verdient.“ Er tippte auf dem Handydisplay herum, bis sich eine Videodatei öffnete.

      „Seit wann stehst du auf Rosa?“, versuchte Carel zu scherzen, der sich in Zaschas Gegenwart immer unwohl fühlte.

      „Hat mir ’ne Tusse gegeben“, antwortete Zascha und konzentrierte sich auf den Film, der vor ihm ablief.

      Sein wölfisches Grinsen gefiel Carel nicht sonderlich. Er warf einen flüchtigen Blick auf das Display, sah die dunklen Haare, die helle Haut, die aufgerissenen Augen und befahl: „Stell das ab!“

      „Warum denn? Du hast es doch noch gar nicht gesehen.“

      „Stell das ab!“, wiederholte Carel schärfer. Die Bilder tauchten von alleine auf, dazu brauchte Carel keinen Film: wie Zascha das Mädchen in die Wohnung gedrängt und mit der Waffe an ihrer Stirn gezwungen hatte, ihm gefällig zu sein. Es war eine ordentliche, wenn auch kärgliche Wohnung in einem Mietshaus gewesen, in dem es abgestanden gerochen hatte, in dem der eine Nachbar nichts mit dem anderen zu tun haben wollte, wenn die Wohnungen nicht sowieso gerade leer standen. Zascha war auf Droge gewesen und in diesem Zustand zu allem fähig. Womöglich hätte er das Mädchen erschossen, hätte Carel sich ihm in den Weg gestellt. Er war gegangen, besser gesagt, geflohen, und hatte im Auto auf seinen Boss gewartet. Nachher hatte Zascha behauptet, er hätte die Kleine doch nur für ihn zurechtgefickt. Carel hatte ihn ignoriert und war losgefahren. Und das würde er auch dieses Mal tun.

      „Ist das alles, was du mir zeigen wolltest?“, fragte Carel kurz angebunden.

      „Sei doch nicht so ein Spielverderber“, entgegnete Zascha beleidigt und stieg grußlos aus.

      Carel unterdrückte einen derben Fluch, ließ den Wagen stehen und folgte Zascha, um die miese Stimmung zu kitten.

      Frank Rothe überflog zähneknirschend die Fußballergebnisse vom Wochenende. Rot-Weiß kam wirklich nicht aus dem Knick. Er mochte zwar neuerdings im Eichsfeld leben, aber fußballtechnisch schlug sein Herz weiterhin für Erfurt.

      Frustriert faltete er die Zeitung zusammen. Er konnte nicht umhin, die Fußgängerzone abzuscannen, als wäre er im Einsatz. Berufskrankheit. Zudem bereitete ihm Untätigkeit, auch wenn es nur für eine halbe Stunde war, ein unangenehmes Gefühl. Diese Unruhe


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