Loverboy. Astrid Seehaus

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Loverboy - Astrid Seehaus


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Er reckte den Hals, um zu überprüfen, ob irgendwo auf einer Etage Licht brannte, und rieb sich mit den Händen hart über die Wangen. Hinter den Fenstern war es dunkel. War Zascha in der Zwischenzeit überhaupt zurückgekommen? Und wenn ja, sollte er das überprüfen, indem er die Wohnungen durchklingelte? Würde Zascha ihm überhaupt öffnen oder es vorziehen, die Klingel zu ignorieren?

      Carel verwarf seine Idee gleich wieder und überlegte, was zu tun übrig blieb. Wenn nirgendwo Licht brannte, war Zascha vielleicht noch nicht zurückgekommen. Oder er war da gewesen und schon wieder weg? Oh Mann! Das ließe sich dann wirklich nicht mehr erklären, wenn ihm der Kerl in derselben Nacht ein zweites Mal entwischt wäre.

      Er kurbelte das Fenster herunter. Die nächtliche Kälte vertrieb die letzten Reste von Müdigkeit. Als er aussteigen wollte, um sich die eingeschlafenen Beine zu vertreten, sah er Zaschas Subaru am Ende der Straße einbiegen. Er konnte sein Glück kaum fassen. Regungslos blieb Carel im Auto und beobachtete, wie Zascha ausstieg und das Haus betrat. Befriedigt sah er, wie im dritten Stock rechts das Licht anging. Es dauerte keine Minute, bis Zascha mit einem Stück weißem Stoff in der Hand zurückkehrte und in den Subaru sprang. Ganz eindeutig hatte er etwas vor.

      Mit Aufheulen wurde der Motor gestartet, und Zascha brauste davon. Mit wohldosiertem Abstand, so dass Zascha ihn nicht bemerkte, er ihn aber umgekehrt nicht aus den Augen verlor, folgte Carel ihm in die Krämpfervorstadt. Vor einem leer stehenden Mietshaus, nicht weit vom Güterbahnhof, hielt der Subaru, und das gleiche Spielchen begann von vorn: Carel wartete von Neuem, während Zascha in einem dunklen Hauseingang verschwand. Dieses Mal kehrte er mit einer jungen Frau zurück, die wie eine Puppe in seinen Armen lag. Das dunkle Haar hob sich von ihrem weißen Kleid ab und fiel in glänzenden Kaskaden herab. Carel konnte aus dieser Entfernung nicht einschätzen, ob das Mädchen schlief oder womöglich bewusstlos war. Um das herauszufinden, verließ er den Wagen und schlich zwischen den parkenden Autos näher heran. Dabei hoffte er, dass Zascha ihn nicht entdecken würde. Doch der war mit dem Mädchen beschäftigt, das er umständlich auf den Beifahrersitz setzte.

      Ehe Carel jedoch irgendetwas ausmachen konnte, saß Zascha schon wieder hinter dem Lenkrad und rauschte davon.

      „So eine Scheißnacht“, presste Carel durch die Zähne hervor und hieb wütend auf das Dach des Fahrzeugs ein, hinter dem er sich vor Zascha versteckt hatte. „Was hat dieses Arschloch denn jetzt schon wieder angestellt?“

      Carel stürzte zurück zu seinem Wagen und folgte Zascha. Zwei Querstraßen weiter hatte er ihn eingeholt und fingerte nach seinem Smartphone. Blind tippte er auf dem Display herum und wartete, bis sich am anderen Ende jemand meldete.

      „Ich bin dran. Er nimmt die Schnellstraße Richtung Norden. Will vermutlich auf die Autobahn … Mit einem Mädchen … Nein“, stieß Carel atemlos hervor. Er lauschte, wiederholte, gab eine Adresse durch und sagte: „Wenn ich das wüsste. Ich kann jetzt nicht, das musst du tun.“

      Er beendete das Gespräch und trat das Gaspedal durch. Der Subaru drehte auf und erst kurz vor dem Abzweig auf die A 71 war er wieder näher an ihm dran. Zascha fuhr, als ob der Teufel hinter ihm her wäre, und wieder hegte Carel die Befürchtung, dass dieser Mistbock etwas ahnte.

      Als Carel auf die Ausfahrt Mittelhausen zusteuerte, sah er links die Lichter der Stadt. Er verließ die Autobahn und glaubte, es ginge zurück zur Innenstadt, er wäre wieder einer von Zaschas Launen ausgesetzt, stundenlang herumzufahren, auf der Suche nach dem nächsten Kick. Aber dieses Mal wohl kaum mit einem Mädchen, das bewusstlos war.

      Carel vergrößerte den Abstand, um zu vermeiden, erkannt zu werden. Und verlor den Subaru prompt aus den Augen.

      „Nicht schon wieder!“, brüllte er völlig genervt.

      Die durchgemachten Nächte forderten ihren Tribut, er konnte nicht mehr klar denken. Ihm entglitt die Kontrolle. Mit einem Ruck brachte er den Wagen zum Stehen, riss die Tür auf und sprang raus. Er sah sich um.

      Wo verdammt war er nur hin?

      Die von der Autobahn zerschnittenen Äcker verloren sich im Dunkel. Die quaderförmigen Gebäude der Gewerbegebiete, angestrahlt durch die Straßenbeleuchtung, hoben sich vom Nachthimmel ab. Was wollte Zascha hier?

      Er musste sich zusammenreißen. Er musste nachdenken. Man verließ sich auf ihn. Zascha war seine Aufgabe, und nun war ihm ein weiterer Fehler unterlaufen. Carel presste seine Fingerkuppen gegen die Schläfen, dass es schon schmerzte.

      „Was geht in Zascha vor? Versuch es, du Idiot! Was geht in diesem Verrückten vor? Was? Denk nach, Carolus! Denk nach!“

      Die Erkenntnis kam so schlagartig, dass er sich vor Übelkeit krümmte.

      Das Mädchen hatte nicht geschlafen. Sie war auch nicht bewusstlos. Sie war tot. Und nun würde Zascha versuchen, die Leiche zu beseitigen. Natürlich würde er das. Es war Zascha, um den es ging, und der war zu allem fähig. Der würde die Leiche beseitigen.

      Carel stürzte zurück zum Auto. Er war sich sicher. Zascha würde nicht in die Stadt fahren. Nicht mit einem Mädchen, das tot war. Noch nicht einmal Zascha war so irre und fern der Realität. Aber was hatte er mit ihr gemacht? Was hatte das Schwein angestellt?

      Irgendwo in dieser Umgebung musste Zascha eine Stelle kennen, wo er eine Leiche entsorgen konnte, ohne entdeckt zu werden. Irgendwo hier am nördlichen Stadtrand. Carel zermarterte sich das Hirn, was Zascha ihm einmal in zugekokstem Zustand, nicht mehr ganz Herr seiner Zunge, zugeraunt hatte. Der beste Platz, um eine Leiche loszuwerden, sei eine Stelle im Norden. Dort kenne er einen Ort, wo sich nur noch herrenlose Hunde verkröchen – und Ratten. Da gebe es nichts, außer Dreck. „Dreck gehört zu Dreck“, hatte Zascha gelallt, und Carel hatte nur gedacht: Was für ein affiges Gequatsche! Doch Zascha hatte nicht aufgehört mit dem Gebrabbel. Der Müll stapele sich bis zur Dachrinne und niemals seien dort Menschen anzutreffen, außer deren Geister. Dabei hatte Zascha gelacht, und Carel hatte es als Fantasie eines durchgeknallten Junkies abgetan.

      Jetzt fragte er sich, ob Zascha einen Friedhof gemeint haben könnte, verwarf den Gedanken jedoch. Die Erwähnung von Geistern war wieder mal nur Zaschas Hang zur Theatralik zu verdanken gewesen und der Müll passte nicht ins Bild. Es musste sich um einen anderen Platz handeln.

      Carel kannte den Norden Erfurts nicht. Hierher war Zascha nie mit ihm gefahren. Warum auch? Hier gab es nichts außer Feldern und Gewerbe. Intuitiv nahm er die Straße Richtung Westen. Die Gegend wirkte ruhig, fast wie ausgestorben. Auch eine pulsierende Stadt hatte ihre stillen Momente. Wenn er an den Seitenstraßen vorbeirollte, sah er nach links und rechts, in der Hoffnung, den schwarzen Subaru zu entdecken. In der Ferne hörte er die Autobahn. Ein aufgemotzter Trabi zog qualmend an ihm vorbei.

      Als er sich den Bahngleisen näherte, war die Schranke unten. Vor ihm knatterte der Trabi, auf der anderen Seite der Gleise sah er weitere Fahrzeuge geduldig warten. Er stellte sich die Frage, ob Zascha darunter wäre. Bei dem grellen Scheinwerferlicht konnte er nichts erkennen, und so bog er spontan rechts in einen schmalen Weg ein. Das Abblendlicht schaltete er aus und rollte langsam vorwärts. Es war nur eine kurze Sackgasse, wie er bald erkannte, und die einzige Beleuchtung, die es gab, hatte er nach wenigen Metern passiert. Nur mit Mühe gelang es ihm, die Schlaglöcher zu umfahren, zumal Wasser sie in Pfützen unabsehbarer Tiefe verwandelt hatte. Die schwachen Lichtreflexe auf dem Wasser halfen kaum, um etwas zu erkennen. Er parkte schließlich hinter dornigem Gestrüpp.

      Von Zaschas Auto fehlte jede Spur, und trotzdem war Carel sich sicher, dass er in der Nähe war. Sein Gehirn war auf Zascha-Modus eingestellt. Er fühlte sich in das unrhythmische Ticken eines Junkies ein. Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, checkte er die Umgebung. Er nahm alles in sich auf: den Wind, die Nachtgeräusche, das leichte Nieseln, das sein Gesicht kitzelte und ihm eine Gänsehaut verursachte. Die Anspannung ließ ihn schaudern. Vielleicht war es aber auch Angst, belebt durch die zahllosen Horrorfilme, denen er sich als Jugendlicher ausgesetzt hatte.

      Vor ihm zeichneten sich im schwachen Licht der nahen Gleisfeldleuchten die Umrisse mehrerer Baracken ab. Wenn Zascha eine Leiche loswerden wollte, dann war das der ideale Platz. Aber es würde für ihn schwer werden, Zascha und das tote Mädchen zu finden. Dieses Gelände sah aus wie die Hölle,


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