Loverboy. Astrid Seehaus

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Loverboy - Astrid Seehaus


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Elena hatte nichts, sie war gesund.

      Obwohl Katrin nicht gerade prüde war, war sie doch ziemlich verlegen gewesen, als sich Elena ihr im Untersuchungszimmer in der Erotik-Wäsche präsentiert hatte. Und dann hatte sich die rumänische Hexe auch noch über sie lustig gemacht.

      Das sei es, was man brauche, um einen Mann scharf zu machen, hatte Elena erklärt.

      Nun waren Spitzendessous nichts, was Katrin ablehnte, aber bei dem Schnitt dieser speziellen Reizwäsche war ihr nur eines in den Sinn gekommen: dass es sie viel Überwindung kosten würde, sich vor Kevin derart darzubieten. Im Gegensatz zur großen und schlanken Elena war sie klein und mollig.

      Kevin waren fast die Augen aus den Höhlen gesprungen, als sie am gleichen Abend mit geschlitztem Lack-Slip und nippelfreiem BH aus dem Badezimmer gekommen war. Reizwäsche, so subtil wie ein Holzhammer. Sie war sich sicher gewesen, dass er sie auslachen und Klein Kevin vor Unlust in der Hose bleiben würde. Doch das Glühen in seinen Augen hatte sie weitermachen lassen. Und als sie in Ermangelung einer Dominapeitsche Alinas Reitgerte hervorgezogen und ihm den Hintern versohlt hatte, war sie schockiert über seine Reaktion gewesen. Er hatte sich doch tatsächlich eine Wiederholung gewünscht.

      In der Zwischenzeit erkannte Katrin, dass ihre Worte nichts bei Kevin ausrichten konnten. Den verbalen Schlagabtausch hatte sie verloren, aber sie nahm sich vor, im Bett weiterhin die Oberhand zu behalten.

      Als Alina früher als sonst von der Schule nach Hause kam, war von der Auseinandersetzung zwischen ihren Eltern nichts mehr zu spüren. Befriedigt von dem, was seine Frau mit ihm angestellt hatte, hatte es sich Stolze anders überlegt und erledigte seine Arbeit, statt im Büro, zu Hause. Ihre Mutter Katrin lag in der Badewanne und machte Zukunftspläne. Das alles interessierte Alina nicht. Ihr wäre nicht einmal aufgefallen, wenn ihre Eltern sich im Wohnzimmer geprügelt hätten. Sie war in ihren Gedanken mit ihrem Traummann beschäftigt. Er würde sie im Filmgeschäft ganz groß rausbringen. Er liebte sie. Sie war sein sexy Partygirl.

      Im Zimmer warf sie sich aufs Bett und wählte Lydias Nummer. Sie hatten sich gerade erst voneinander getrennt, aber Alina spürte schon wieder dieses Bedürfnis, mit ihr zu reden. Ihr alles von Zascha zu erzählen. Alina konnte sich endlos über ihn auslassen, und Lydia hörte immer zu, ohne sie jemals zu unterbrechen. Sie mochte Lydia wirklich gern, obwohl sie anders war. Oder vielleicht sogar, weil sie anders war. Ruhig und besonnen, fast schon schüchtern, nicht so impulsiv wie sie, die einfach im Mittelpunkt stehen musste. Lydia war die ideale Freundin.

      Alina trat vor den großen Wandspiegel und arbeitete an einem verführerischen Lächeln und einem kessen Augenaufschlag. Sie war die geborene Schauspielerin. Und Zascha würde dafür sorgen, dass es bald die ganze Welt erführe.

      „Ich liebe dich, Zascha“, murmelte sie.

      Sie lauschte ihren Worten nach und lachte zufrieden auf, als sich Lydia in der Leitung meldete, der sie sogleich die Ohren vollquatschte.

      Das Arschloch war ihm doch tatsächlich entwischt. Carel konnte nicht fassen, dass ihm das passiert war. So ein Fehler! Seit dem ersten Kontakt mit Zascha versuchte er, an ihm dranzubleiben. Er begleitete ihn zum Abkassieren in die Zimmerbordelle, lungerte mit ihm in diversen Cafés und Bars herum, besuchte Vorstellungen von irgendwelchen Schauspielgruppen, ließ sich sogar zu Schulveranstaltungen mitschleppen, bis er an akutem Schlafmangel litt. Und dennoch schaffte es Zascha immer wieder zu entwischen, und niemand wusste, wo er sich aufhielt.

      Auch wenn Zascha die Veranstaltungen nutzte, um Mädchen kennenzulernen – je jünger, desto besser –, nahm Carel ihm das Interesse am Theater ab. Irgendwie blieb Zascha undurchschaubar. Auf der einen Seite teilte er die Mädchen in „verführbar“ und „nicht verführbar“ ein. Er bewertete sie als „gute“ und „schlechte“ Ware, und bewies damit seine abgrundtiefe Bösartigkeit. Auf der anderen Seite hatte er einen Sinn für Kultur, kannte die aufgeführten Stücke, die sie sich gemeinsam ansahen, bis ins kleinste Detail. Anspruchsvolle Bühnenfassungen. Theaterstücke, von denen Carel noch nie gehört hatte. Seitdem Carel im Anschluss an das Desaster mit dem Vergewaltigungsvideo Zascha bis zu dessen Wohnung gefolgt war, um sich zähneknirschend zu entschuldigen, hatte sich sein Boss wieder zutraulich gezeigt und redete mit ihm. Nach der Aussöhnung unter Männern, besiegelt mit einem Bier, waren sie stundenlang herumgefahren. In Gotha hatte Zascha sich ziemlich schnell zu langweilen begonnen, und so waren sie nach Weimar gebrettert. Dort kannte Zascha eine Studentengruppe, die Theater spielte. Sie hatten sich deren neuestes Stück angesehen, das Carel nicht verstanden, Zascha aber zu Begeisterungsstürmen hingerissen hatte. Auf der Rückfahrt hatte Carel Zaschas Ausführungen, wie man das Stück noch hätte spielen oder interpretieren können, stumm über sich ergehen lassen. Er hatte kein Wort davon kapiert. Er hatte doch noch nicht einmal das Stück verstanden, wie hätte er da fähig sein sollen, Zaschas wirre Variationen nachzuvollziehen? Als sie schließlich zurück in Erfurt gewesen waren, hatte ihm Zascha einen Botengang aufgedrückt. Carel hatte alles versucht, diesen Auftrag abzulehnen. Er war sogar so weit gegangen, Zascha in ein Gespräch über Schauspielerei zu verwickeln. Dabei hatte ihm die Angst im Nacken gesessen, dass er sich mit seinem übertriebenen Eifer verraten könnte. Doch Zascha hatte seine Einwände vom Tisch gewischt und die Crystallieferung telefonisch angekündigt. Ihm war nichts anderes übrig geblieben, als ihn allein zu lassen, um zu liefern.

      Und jetzt war der Vogel ausgeflogen.

      Carel stand im Schatten eines Hauseingangs und beobachtete die gegenüberliegenden Fenster, hinter denen er Zaschas Wohnung vermutete. Er tätigte mehrere Anrufe, die ergebnislos blieben. Niemand aus der Szene konnte oder wollte ihm sagen, wo Zascha steckte. Es half nichts, er musste über die aktuelle Situation Meldung machen. Einen Moment lang starrte er auf das Smartphone in seiner Hand und verfluchte sich. Er wollte nicht anrufen und tat es doch. Auf keinen Fall würde er zugeben, dass er einen Fehler gemacht hatte.

      Während es auf der anderen Seite klingelte, rang er mit sich, spielte Möglichkeiten durch, überlegte, ob er auflegen sollte. Das Gespräch nicht zu führen bedeutete, nicht zugeben zu müssen, dass ihm Zascha entwischt war. Am liebsten hätte er die Augen davor verschlossen und so getan, als ob nichts passiert wäre. Aber es ließ sich nicht leugnen. Zascha musste ihm auf die Schliche gekommen sein.

      Auf der anderen Seite meldete sich eine Stimme. Ungeduldig und kurz angebunden. Carel hasste es, wenn sie kurz angebunden klang. Diese Situation zementierte geradezu sein Gefühl der Unzulänglichkeit.

      „Ich habe ihn verloren“, hörte er sich verzweifelt flüstern.

      Zu verzweifelt, wie er fand, sodass der anschließende Satz auf seinen Lippen erstarb und er es vorzog, schweigend zuzuhören. Das Gespräch endete mit einem knappen Befehl.

      Genervt kehrte Carel zum Auto zurück, einer älteren Studentenkarre mit diversen Aufklebern: „Sponsored By Papa“. Dass er nicht lachte. Den Mercedes hatte er kurzfristig gegen diese „Leihgabe“ eingetauscht.

      „Bleib dran! Bleib dran!“, wiederholte er die letzten Worte des Telefonats. Wussten sie überhaupt, dass er seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen hatte.

      Carel stieg ein und deckte sich mit seiner Jacke zu. Zaschas Haus im Blick. Den Abstecher zu seiner Unterkunft – ein armseliges Zimmer, das ihm Zascha besorgt hatte, nicht ohne Miete für dieses Loch zu kassieren – konnte er vergessen. Dort hätte er zwar mal wieder richtig ausschlafen können, aber der Befehl lautete: auf Zascha zu warten und dann an ihm dran zu bleiben.

      Er legte sein Telefon in greifbare Nähe – vielleicht würde dieser elende Mistkerl von unterwegs aus anrufen – und ging verschiedene Möglichkeiten durch: Was hatte Zascha vor? Wo könnte er sein? Hatte er etwas eingeworfen?

      Überwältigt von schier unglaublicher Müdigkeit schlief Carel ein, noch ehe er über eine Antwort auf diese Fragen auch nur nachdenken konnte.

      „Ach du Scheiße!“

      Er war doch tatsächlich eingenickt. Verdammt!

      Fluchend starrte Carel auf die Uhr am Armaturenbrett und versuchte abzuschätzen, wie


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