Schwarzes Geld für schwarze Schafe. Christopher Stahl
Читать онлайн книгу.war gestern Abend in Begleitung zum Essen bei uns im Restaurant, aber nicht mit seiner Frau. Er hatte vorher schon ein Doppelzimmer für eine Nacht reserviert. Und die beiden sind dann so gegen halb neun nach oben gegangen. Mehr weiß ich nicht”, erzählte er, kurzfristig gefasster, um dann – sofort wieder ganz aufgelöst – fortzufahren:. „Mensch, wie soll ich das der Heike beibringen?! Sie wartet mit den Kindern und dem Frühstück in der Küche, während der hier so rumliegt.” Inzwischen schwang so etwas wie Zorn auf Simonis in seiner Stimme mit. „Lass uns jetzt erst einmal … ich muss jetzt hier raus”, entschied er und sprach mir damit aus der Seele.
Draußen empfing uns die trügerische Stimmung eines jungen, friedlichen Sonntags. Wilfried atmete tief durch, schüttelte mehrmals den Kopf und strich sich mit beiden Händen über das Gesicht. „Was mache ich denn jetzt?”, fragte er mit kraftloser Stimme.
„Ich spreche mit Heike, ohne die Kinder, und du informierst jetzt die Polizei. Musst denen ja nicht auf die Nase binden, dass du zuerst mich angerufen hast! Und jetzt beruhig dich erst mal Wilfried, du kannst dem armen Schwein nicht mehr helfen. – Weshalb”, fiel mir endlich ein zu fragen, „hast du eigentlich nicht gleich bei der Polizei angerufen, sondern zuerst bei mir? Was habe ich denn mit dieser Sache zu tun?”
„Wenn ich dir das sage, wirst du gleich gute Ratschläge für dein seelisches Gleichgewicht brauchen. Ich habe dich nicht wegen mir gerufen, es geht um dich!”
„Davon kannst du doch gar nichts wissen. Woher hast du …” Von wem oder was wusste er überhaupt von meinen Recherchen über Simonis, in die außer Koman niemand eingeweiht war? Aber wir redeten aneinander vorbei.
„Die Frau, mit der Simonis heute Nacht hier war, die könnte doch mit dem Mord etwas zu tun haben.”
„Klar! Ist sie denn noch da?”, wollte ich wissen – ohne jegliche Vorahnung, welcher Schock mir bevorstand.
„Nein, ich war heute früh schon oben. Die Zimmertür stand offen, niemand drin. Ich habe mir allerdings nichts dabei gedacht”, antwortete Wilfried mit hörbarer Ungeduld. „Jetzt noch einmal: Da ist doch etwas dran, an dem Verdacht – oder?”
Ich zuckte mit den Schultern. „Ja, natürlich, aber überlasse das doch der Kripo!”
„Merkst du denn gar nicht, worauf ich hinaus will?”
„Nein, aber du wirst es mir doch hoffentlich sagen?”
„Wer, meinst du wohl, hat von gestern auf heute hier bei uns die Nacht mit Simonis verbracht?”, fragte er eine Spur schriller.
„Ist das erst die 100.000- oder schon die 250.000-Euro-Frage, Herr Jauch?”, grinste ich noch immer ahnungslos, bevor mir seine Antwort einen Schlag versetzte, der mich, wäre er physischer Natur gewesen, zu Boden geschickt hätte.
„Sie? … Das glaube ich nicht … bist du dir da absolut sicher?”, entgegnete ich mit brüchiger Stimme, während ich versuchte, eine plötzliche Kraftlosigkeit niederzuringen.
„Doch, Darius! Es tut mir so Leid, aber es stimmt”, hörte ich Wilfried noch leise sagen, während ich schon zu meinem Auto stürzte und wie in Trance, ohne auf den Verkehr zu achten, aus dem Hof des Weingutes fuhr.
„Warum in aller Welt tut sie das?”, fragte ich mich immer wieder. Andererseits konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass und wie sie Simonis umgebracht, in die Lagerhalle befördert und seine Leiche dann auch noch auf diese bizarre Art und Weise „arrangiert” haben sollte. So etwas schafft man doch auch nicht ohne weitere Hilfe! Obwohl Simonis’ Gewicht von etwa 60 Kilogramm bei ihrer körperlichen Konstitution für sie keine Herausforderung, die sie nicht meistern könnte, darstellen dürfte.
Und dann fuhr mir durch den Sinn, dass ich Beatrice heute Vormittag eigentlich anrufen wollte. Auch wenn wir schon seit sechs Jahren geschieden waren, hatte ich es bisher noch nie versäumt, den Muttertag zum Anlass zu nehmen, ihr zu unseren beiden großartigen Jungs zu gratulieren. Ob ich das heute auch könnte? Mit ihrer mir unheimlichen und manchmal geradezu fiesen Sensibilität würde sie mir garantiert anhören, dass irgendetwas nicht stimmte – und anlügen wollte und konnte ich sie noch nie. Das war allerdings ein marginales und leicht zu lösendes Problem.
Zu Hause angekommen rief ich Wilfried an und bat ihn noch einmal, der Kripo möglichst nicht zu erzählen, dass ich bereits wusste, was passiert war. Vergeblich zermarterte ich mir danach das Hirn, wie es nun weitergehen sollte. Ich konnte sie ja noch nicht einmal darauf ansprechen. So war ich zur quälenden Untätigkeit verdammt und konnte nichts anderes tun, als abzuwarten, wie sich alles im Rahmen der kriminalpolizeilichen Untersuchungen entwickeln würde
Aber vielleicht sollte ich die ganze Geschichte der Reihe nach erzählen – also von Anfang an.
Zweites Kapitel Freitag, 4. April 2003
Im Grunde genommen begann alles ganz harmlos – mit einem Anruf von Heribert Koman, seines Zeichens Kriminalhauptkommissar bei der Polizeiinspektion Alzey.
„Hallo, Herr Schäfer, Koman hier!” Das Muntere in seiner Stimme hatte für mich durchaus auch etwas Bedrohliches. „Sie entsinnen sich?”
Wie sollte ich mich seiner nicht entsinnen? Mit Koman war das bisher entsetzlichste Ereignis meines Lebens verbunden: der Mord an meinem besten Freund Horst im Juli des letzten Jahres. Meine eigenmächtige Suche nach seinem Mörder hatte mir zwar meine physischen und psychischen Grenzen mehr als deutlich gemacht, mich aber letztlich auch auf den Weg in ein neues, wertvolleres Leben geführt.
„Aber natürlich erinnere ich mich”, antwortete ich daher. „Ich starre schließlich seit einem halben Jahr auf mein Telefon in Erwartung Ihrer avisierten Einladung zu einem Gespräch.”
„Ich weiß, ich weiß. Ich wollte mich ja auch schon im September mit Ihnen treffen. Ich sagte Ihnen ja, dass da so eine merkwürdige Sache mit einem Ihrer Kollegen auf meinem Tisch gelandet ist, bei der ich objektive Hintergrundinformationen brauche; sozusagen in einem inoffiziellen Gedankenaustausch. Übrigens störe ich Sie gerade?”
„Stören ist relativ. Es kommt darauf an, was Sie von mir wollen. Momentan unterbrechen Sie mich natürlich mitten bei der Arbeit.”
„Es geht um diese bewusste Angelegenheit. Ich schiebe sie seit Monaten vor mir her, aber inzwischen macht mir mein Chef die Hölle heiß. Gestern kam wieder so ein anonymer Wisch. Jetzt hat sich jedoch noch etwas anderes Gravierendes ergeben, weshalb ich die Sache endlich angehen muss.”
„Also, um wen oder was geht es denn?”, wollte ich nun doch wissen.
„Da läuft so ein Ding mit einem Alzeyer Kollegen von Ihnen. Da kann ich mir einfach keinen Reim darauf machen. Kennen Sie eigentlich einen Peter Simonis?”
Ich ging auf seine Frage nicht ein. „Und da wollen Sie, dass ich bei Ihnen vorbeikomme?” „Ja.”
Ich schwieg, sodass er geradezu genötigt war, ein „bitte!” nachzuschieben.
„Na also, geht doch”, murmelte ich.
„Wie bitte?”
„Kurzes, kreatives Selbstgespräch.” Nicht übertreiben, dachte ich, bevor ich fortfuhr. „Dann gehe ich wohl auch recht in der Annahme, dass es Ihnen keineswegs unangenehm wäre, wenn ich noch heute zu Ihnen käme?”
„Schön, dass Sie immer noch der Alte sind – ja, bitte! Wenn Sie es auch noch kurzfristig arrangieren könnten, wäre das Maß der Güte überreichlich gefüllt!”
Auch er konnte die Sticheleien, die wir seit dem ersten Moment unserer Bekanntschaft auszutauschen pflegten, nicht lassen. Wobei der Begriff pflegen den Spaß, den wir an unserem Umgangston hatten, trefflich beschreibt.
„So, so, das Maß meiner Güte”, wiederholte ich geziert. „Mit Güte lockt fast überall die Frau ihr Schweinchen in den Stall – Wilhelm Busch. Aber mal im Ernst: Wie wäre es in einer Stunde, so gegen 11 Uhr 30?”
„Gerne”, lachte er „Sie