Schwarzes Geld für schwarze Schafe. Christopher Stahl
Читать онлайн книгу.platzte mir doch der Kragen. Daran änderten auch die freundlichen Phrasen und die betörende Klangfarbe dieser Stimme nichts.
„Sind Sie in der Lage, mir ohne Ausflüchte, wahrheitsgemäß und in allgemein verständlichem Deutsch eine Frage zu beantworten?”, blaffte ich.
„Aber natürlich.”
Sie war weiterhin freundlich, was ich diesem Moment als geschmacklos empfand. Wenn ich wütend sein wollte, hatte sie mir nicht mit ihrer penetrant ekelhaften Freundlichkeit den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich kam mir vor wie bei einem Rollenspiel in einem Konfliktbewältigungs-Seminar.
„Als Juristin und Geschäftspartnerin von Herrn Simonis sollte ich dazu durchaus in der Lage sein – fragen Sie!”
Paff! Das hätte eigentlich sitzen sollen. Jedoch, anstatt heilfroh zu sein, ihr in diesem Moment nicht – mit beiden Füßen im Fettnapf – persönlich gegenüberstehen zu müssen, zog ich meine Masche ungerührt durch.
„Ist Herr Simonis im Büro?”
„Ja. War das die ganze Frage?”
„Ist er in einer halben Stunde auch noch da?”
„Wenn nichts dazwischenkommt, ja.”
„Dann werde ich in etwa dreißig Minuten bei Ihnen in der Kanzlei sein und ich will ihn sprechen. Persönlich, ohne Bodyguard. Sagen Sie ihm das.” Ich hängte ohne Gruß auf und … ärgerte mich. Was machte mich so zornig? Ich wusste es nicht – noch nicht.
Simonis wohnte in einem Bungalow unweit der Landesnervenklinik und des Rheinhessen-Einkaufscenters. Er hatte ihn sich vor etwa 20 Jahren in dem damals üblichen Baustil auf dem hinteren Teil eines über 2.000 Quadratmeter großen Grundstückes errichten lassen. Wuchtige Bäume, ein künstlicher Bachlauf und der obligatorische Pool vor der riesigen Terrasse – natürlich mit Hollywoodschaukel – vermittelten einen zwar üppigen, aber auch protzigen Eindruck. Das Areal hatte er, laut Hörensagen, mitsamt ehemaligem Wohngebäude und Kanzlei seinem Vorgänger, dem Steuerbevollmächtigten Albrecht Comenius, für einen Spottpreis abgekauft. Er soll den älteren Kollegen, der zwar bereits 79 Jahre alt, aber geistig und körperlich noch topfit war und der endlich seinen Ruhestand hatte genießen wollen, mit allerhand Versprechungen, die er aber nie eingehalten hatte, ziemlich unverschämt über den Tisch gezogen haben. Simonis soll damals über Comenius’ Tochter, die mit ihrem Mann irgendwo am Niederrhein lebte, Einfluss auf ihn genommen haben – gegen „angemessene Beteiligung” selbstredend. Soweit berichtete es zumindest die Gerüchteküche, und dass Comenius ziemlich plötzlich wenige Monate nach Übergabe gestorben war.
Das ehemalige zweigeschossige Wohnhaus von Simonis’ Vorgänger war bedarfsgemäß umgebaut worden und beherbergte nun die Kanzlei. Davor hatte man einen zweistreifigen Parkplatz angelegt. Links parkten offensichtlich, wie an den Marken und Größen der Wagen zu erkennen war, die Angehörigen der Kanzleileitung, rechts die Mitarbeiter. Ich stellte meinen vom Ackerstaub verschmutzen VW Variant zwischen einem silbergrauen, blitzenden S-Klasse-Mercedes und ein ebenso sauberes schwarzes BMW Cabriolet ab. Zum Glück hatte ich mich noch nie über die Größe meines Autos definiert, sonst hätte mein Selbstbewusstsein jetzt wohl einen Knacks bekommen.
Auf mein Klingeln hin ertönte schnarrend der Türöffner. Ich trat in einen modern eingerichteten, klimatisierten Vorraum ein, der mich in seiner sterilen Nüchternheit woran erinnerte? An eine Arztpraxis, eine Bankschalterhalle? Was es auch gewesen sein mag, es nahm gleichermaßen gefangen, wie es befangen machte. Wie konnte man in einer solchen Atmosphäre nur arbeiten? Keine Bilder an den Wänden, keine Pflanzen. Kaltes Neonlicht wurde von den überdimensionierten, grellweiß glänzenden Fliesen reflektiert, dass es in den Augen schmerzte. Der älteren Dame, die Mühe hatte, ihren Kopf über eine tresenähnliche Balustrade zu heben, verlieh die schonungslose Beleuchtung eine ungesunde Hautfarbe.
„Guten Tag, Sie sind Herr Schäfer?”, stellte sie unsicher fest.
Mein telefonischer Auftritt war also nicht unbeachtet geblieben.
„Korrekt”, versuchte ich freundlich, aber bestimmt meine Position bereits im Vorfeld zu festigen. Nur keine Verbindlichkeit zeigen, auch nicht hier am Empfang.
„Ich sage Herrn Simonis sofort …”, weiter kam sie nicht, denn aus dem hinteren Teil des Flures schallte mir eine freundliche Stimme entgegen:
„Kollege Schäfer, seien Sie herzlich willkommen in meiner bescheidenen Kanzlei.” Das konnte nur Simonis sein, der mit diesen Worten auf mich zukam. Ich musste mich konzentrieren, um sein Äußeres, das, was er sagte, wie er es sagte und was er tatsächlich meinte in einen möglichst von jeder Missinterpretation freien Zusammenhang zu bringen. Ein extrem schwieriges Unterfangen, welches meine Reagibilität auf ein für mich unangenehmes Minimum reduzierte. Mit anderen Worten, ich war total verunsichert, durfte mir aber nichts anmerken lassen.
Da streckte mir ein kleiner, drahtiger Mann – ich schätzte ihn auf Ende vierzig, einen Meter fünfundsechzig groß und circa 60 Kilo schwer –, von dem ich bisher nur Schlechtes gehört hatte, mit einer herzlichen Geste beide Hände mit nach oben geöffneten Handflächen entgegen.
Die Hand, die ich zum Gruß ergriff, war feucht, seine in einem dreckigen Braun nachgefärbten Haare glänzten, wie bei einem Gigolo der dreißiger Jahre. Ob gegelt oder nur ungepflegt fettig, konnte ich nicht beurteilen. Schweiß, der sogar hinter den Gläsern seiner schwarzen Hornbrille perlte, die ihm ein strenges Aussehen verlieh, komplettierte das irritierende Bild. Meine Objektivität wurde bei diesem Wechselbad an ersten Eindrücken auf eine unerwartet harte Probe gestellt.
„Es tut mir Leid”, plapperte er mit augenfälliger Lebhaftigkeit, „dass man Sie am Telefon anscheinend missverstanden hat. Natürlich hätte man Sie sofort zu mir durchstellen sollen. Na ja, Sie wissen ja, wie das heute mit den Mitarbeitern so ist.”
„Eigentlich nicht, meine Mitarbeiter …”, versuchte ich entgegenzuhalten – sinnlos, er schwatzte weiter, als hätte ich bestätigend genickt.
„Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Ich weiß natürlich, dass sich ein neuer Konkurrent in meinen Pfründen eingenistet hat.” Die Ausdrücke „Konkurrent” und „Pfründe” begleitete er mit einem meckernden Gelächter, womit er wohl verdeutlichen wollte, dass es sich um scherzhafte Bemerkungen handelte.
„Aber”, fuhr er unbeirrt fort, „Platz ist in der kleinsten Hütte, sag’ ich immer. Wir haben doch alle genug Arbeit, da braucht der eine dem anderen nichts zu neiden. Und außerdem”, inzwischen hatte er mich zutraulich beim Arm gefasst und zog mich den Gang, aus dem er kurz zuvor aufgetaucht war, „werden wir alle nicht jünger. In unserem Alter muss man anfangen etwas kürzer zu treten. Wenn die Kerzen auf der Geburtstagstorte teurer sind, als die Torte selbst, sag’ ich immer, wird es Zeit, an sich selbst zu denken.” Dabei bekam sein Gesicht kurzfristig einen derart abwesenden und verklärten Ausdruck, dass ich in diesem Moment geneigt war, ihm abzunehmen, dass er glaubte, was er sagte. Doch diese Anwandlung sollte sehr schnell auch wieder verfliegen.
Wir waren in seinem Büro angekommen. Büro? Ein Tanzsaal von mindestens 60 Quadratmetern stellte einen eklatanten Kontrast zu Vorraum und Flur dar. Die Gigantomanie dieser innenarchitektonischen Entgleisung drohte mich zu erschlagen. Riesiger Schreibtisch, riesiger Besprechungstisch mit zehn Stühlen und riesig vergrößerte Aufnahmen an den Wänden. Simonis mit Helmut Kohl, Simonis mit Bernhard Vogel, Simonis mit Hans-Otto Wilhelm. Weitere unzählige, Fotos in Postkartengröße bedeckten die Wände: Simonis auf seiner Segelyacht, vor seinem Haus auf Malta (die Besitzverhältnisse wurden dem Betrachter durch in Bronzeschildchen gepresste Hinweise erklärt). Aber auch Simonis mit Landräten, Präsidenten des Landwirtschafts- und Weinbauverbandes, mit Roberto Blanco, Mary Roos, Mario Adorf, Heinz Schenk, Hans-Dieter Hüsch, mit Franz Beckenbauer beim Golfturnier, mit Margit Sponheimer und Ernst Neger bei einer Fernsehsitzung und so vielen anderen Sternen und Sternchen, dass ein flüchtiger Blick zur Verinnerlichung dieser Galerie nicht genügte. So viel aber sagte dieses Sammelsurium aus: Simonis war nicht gerade zimperlich und anspruchsvoll, wenn es darum ging, sich mit der Reputation anderer zu schmücken, wobei er dem Motto zu folgen schien: Qualität schadet nichts,