Schwarzes Geld für schwarze Schafe. Christopher Stahl
Читать онлайн книгу.„Na, so bis gegen drei Uhr.”
„Gut, wie wäre es dann mit einem Mittagessen beim Italiener um die Ecke?”
Dafür war ich immer zu haben, zumal Koman sogar die Begleichung der Rechnung auf „Staatskosten” in Aussicht stellte.
Wir fanden einen freien Tisch in einer kleinen Nische und beschäftigten uns stillschweigend mit den gereichten Speisekarten.
„Spaghetti al la Casa”, fragte ich den Kellner, „was ist das?”
„Isse, Spesialität vonne unsere Seffe de Kutschina. Isse prima.” Er küsste dabei mit einer ausladenden Geste das Rund, das er mit Zeigefinger und Daumen seiner rechten Hand geformt hatte, wobei er die restlichen drei Finger geziert abspreizte. Eben die typische Gebärde, die man von einem normalen Italiener erwarten durfte.
„Smegge so ähnlis, wie Pasta Diavolo”, fügte er hinzu. Und da er an meinem Gesichtausdruck erkennen konnte, dass seine Erklärung immer noch nicht den erwünschten Erfolg hatte, beendete er seine Empfehlung mit der gut gemeinten Warnung: „Isse sarf, wie Sau! Scusi, icke wolle sage, isse sehr wurzig.”
Immerhin bemühte er sich um eine Sprache, die ihm wohl noch Probleme bereitete, daher verkniff ich mir auch nur den Ansatz eines Grinsens. Ich wollte schon bestellen, da mischte sich Koman ein, der den Kellner die ganze Zeit über mit hochgezogenen Augenbrauen fixiert hatte:
„Sebastiano, lass den Scheiß, bei dem brauchst du nicht die Schau zu machen”.
„Aach guud”, kam es im breitesten Rheinhessisch, „ei mer waas ja nedd, manche wolle halt so e Gebabbel. Ich bin zwar Idalliener, abber hier uffgewachse. Iss wechem Ambiende.”
„Unn wechem Dringgeld, odder”, forschte Koman im gleichen Idiom nach.
„Dess aach”, gab Sebastiano feixend zu. „Also, was wollener hunn?”
Wir bestellten beide die wurzige Pasta-Sarf-Wie-Sau. (Das Gericht hatte für alle Zeiten seinen Namen bei uns weg.)
Dann begann Koman übergangslos zu erzählen, weshalb er mich eigentlich angerufen hatte.
„Es geht, wie ich ja schon erwähnt habe um einen Ihrer Kollegen hier in Alzey, Peter Simonis. Er …”
„Was hat er denn ausgefressen?”, unterbrach ich ihn mit unverhohlener Neugier.
„Wie … ausgefressen …, das klingt ja fast so, als warten Sie nur darauf. Kennen Sie ihn näher?”
„Was heißt näher, wie gut kann man einen Menschen überhaupt kennen lernen?”
„Es geht jetzt weniger um philosophische Betrachtungen, sondern um greifbare Fakten. Ich glaube, es ist hilfreich, wenn Sie mir kurz erzählen, was Sie über ihn wissen. Wie lebt er, was für ein Mensch ist er, wie läuft seine Kanzlei, welche Stärken und vor allem Schwächen hat er und so weiter.”
Ich schilderte Koman meine bisherigen Erlebnisse mit Simonis, so auch den Abwerbungsversuch bei Frau Gerbes (die übrigens immer noch bei mir arbeitete), seine Versuche, mir Mandanten abspenstig zu machen und auch mich selbst bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Misskredit zu bringen, wie mir immer wieder berichtet wurde. Dabei sparte ich auch nicht aus, was ich lediglich von Dritten über ihn erfahren hatte, trennte dies jedoch ausdrücklich von meinen persönlichen Erfahrungen. Trotzdem konnte ich mir ein paar abfällige Bemerkungen über die Person Simonis’ nicht verkneifen. Der Frust, dass ich ihn ungeschoren aus unserem damaligen Zusammentreffen hatte gehen lassen müssen, saß doch zu tief. Hätte ich gewusst, dass Simonis zu diesem Zeitpunkt gerade noch fünf Wochen zu leben hatte, hätte ich mir diese Bissigkeiten wohl verkniffen. Ja, fünf Wochen standen uns zur Verfügung, um …, aber wir wussten ja nichts – gar nichts.
Koman machte sich ein paar Notizen, hörte aber ansonsten aufmerksam und ohne Unterbrechung zu.
Als ich fertig war konnte er sich eine Boshaftigkeit nicht verkneifen: „Na das ist ja mal ein Herzchen. Ist diese Pappnase ein typischer Vertreter Ihres Berufsstandes?”
Ich überlegte kurz, was ich schon so alles über korrupte oder prügelnde Polizisten gelesen hatte, fand es aber dann doch unangemessen, ihn mit dieser Retourkutsche aufzuziehen.
„Nein, garantiert nicht. Die überwiegende Mehrheit besteht aus absolut integren und vertrauenswürdigen Menschen. So, wie Simonis sich aufführt, ist er eine der Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Natürlich gibt es bei uns genauso dubiose Typen – wie in allen anderen Branchen – die ihr Geschäft jenseits jeglicher Ethik, Moral und Rechtsgrundlage auf mehr als fragwürdige Art und Weise betreiben. Die haben dann aber auch die entsprechende Klientel, sodass da selten etwas ans Licht der Öffentlichkeit kommt. Es wird in eingeweihten Kreisen darüber gesprochen, selbst unsere Aufsichtsbehörde kennt Namen und Fakten ohne handeln zu können oder zu wollen, aber … lassen wir das.”
Koman blickte mich prüfend an, bevor er ohne weiteren Kommentar fortfuhr: „Jetzt geht es an Interna, Sie wissen, was das bedeutet!”
„Als Steuerberater weiß ich, was …”, er unterbrach mich mit einer ungeduldigen Handbewegung.
„Ich spreche jetzt zu Darius Schäfer, dem ich als Person vertrauen will, nicht mit dem Steuerbrater, dem ich Kraft Vereidigung vertrauen muss. Und, bitte nicht mehr unterbrechen.
Vor einem halben Jahr etwa ging das los. Da hat Simonis den ersten anonymen Schrieb erhalten und ist auch gleich, mit gestrichen voller Hose, heulend zu einem seiner Spezeln beim LKA – das ist die Abkürzung für Landeskriminalamt – in Mainz gelaufen. (Liebend gerne hätte ich ihn darüber aufgeklärt, dass ich schon wusste, was LKA heißt, aber ich sollte ihn ja nicht unterbrechen.) Ich glaube, es war der Leiter der Abteilung 4, Deliktsorientierter Einsatz, na, ist ja egal. Von dort ging es über den informellen Dienstweg an die Polizeidirektion Worms zu meinem Chef, Polizeidirektor Karsten Wehmut – nomen est omen. Ich war durch Zufall in seinem Büro. Das Erste, was er tat – in meinem Beisein auch noch! – er griff zum Telefon und brabbelte Simonis etwas vor von: Warum er denn nicht direkt zu ihm gekommen sei … man pflege doch schließlich seit Jahren eine gute Freundschaft … und die vielen schönen gemeinsamen Stunden … und er, also mein Chef, wisse doch, was man ihm, also Simonis, einem der honorigsten und wichtigsten Bürger der Stadt, schuldig sei … und er solle doch bitte schnellstens mit dem Corpus delicti vorbeikommen … seinen besten Mann, Hauptkommissar Koman, werde er persönlich auf die Sache ansetzen und ihm für einen schnellen Erfolg geradestehen.
Ich war entgeistert, ich traute meinen Ohren nicht und dachte, ich sei im falschen Film. Ich sah kaiserlich-preußisches Untertanendenken und Kadavergehorsam wieder fröhlich Urständ in unserer Inspektion feiern. Nachdem mein Chef das Telefonat beendet hatte, fand ich meine Sprache wieder.”
„Und wie ging es aus?”, grinste ich ahnungsvoll.
„Ich entging haarscharf einem Disziplinarverfahren in Einheit mit einer Zivilklage wegen Beleidigung und machte zähneknirschend mit Simonis für den nächsten Tag einen Termin aus. Na ja, ich will die Sache abkürzen. Seitdem nervt mich mein Chef, und Simonis ruft immer mal wieder an – stinkfreundlich übrigens – und die Angelegenheit gammelt bei mir auf dem Tisch. Ich arbeite nach Prioritäten, immer das Wichtigste zuerst, Dienst nach Vorschrift sozusagen. Wissen Sie”, jetzt war ihm der Groll anzusehen und auch anzuhören, sodass ich mit einer Handbewegung seine Lautstärke dämpfte, was er dankbar nickend quittierte. „Wenn eine Frau bei uns anruft und aufgeregt und total verängstigt ins Telefon flüstert, dass ihr Ehemann sie wieder einmal verprügelt hätte, ihr das letzte Geld abgenommen und in die Kneipe gegangen sei, mit der Bemerkung: Wenn ich heimkomme, mach’ ich dich kalt, wissen Sie, was wir dann tun? … Nichts tun wir dann. Protokollieren, das ja! Erst wenn’s zu spät ist, dürfen wir uns einschalten. So ist das. Und dann haben wir sogar noch solche chauvinistischen Arschl… in unseren Reihen, die ungestraft die Meinung rausblöken können, die ‚Alte‘ wird’s halt verdient haben. Aber bei einem Simonis, da wird mit anderem Maß gemessen.”
„Ja kann ihr Vorgesetzter Sie denn dann überhaupt anweisen, in solchen