Schwarzes Geld für schwarze Schafe. Christopher Stahl

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Schwarzes Geld für schwarze Schafe - Christopher Stahl


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aufzustehen. Dabei überragte ich ihn natürlich auf eine für ihn so unangenehme Art, dass er automatisch einen Schritt zurückwich. Diese Gesprächspause nutzte ich zum Gegenschlag.

      „Woher wissen Sie denn, dass es sich um die Mitarbeiterin handelt, die Sie, wie Sie selbst erklärten, bereits kennen gelernt haben? Das habe ich doch mit keinem Ton erwähnt.”

      Kurzfristig hatte ich ihn aus dem Tritt gebracht und in die Ecke gedrängt. Mit zusammengekniffenen Lippen sah er, meinem Blick ausweichend, irritiert zu Boden, als suche er dort die Antwort. Sie kam schnell, rücksichtslos und routiniert, wie bei einem gestandenen Industrie- oder Gewerkschaftsboss, dem unwiderlegbar Verfehlungen und dunkle Machenschaften nachgewiesen worden waren: Seine Körperhaltung straffte sich, der Größenwahn hatte ihn wieder im Griff. Er stützte sich mit der Rechten auf seinen Schreibtisch und wies mit einer ausladenden Geste der ausgestreckten Linken zur Bürotür.

      „Jetzt aber raus hier. Ich brauche mich doch nicht in meinem eigenen Büro verleumden zu lassen! Und dann noch mit solch üblen, manipulativen Tricks. Schleicht sich hier ein, macht einen auf Kollege und jetzt das! Gestapomethoden nenne ich das, jawohl, Gestapomethoden oder meinetwegen auch Stasimethoden, Sie können sich’s aussuchen. Und jetzt raus, aber sofort!”

      Ich setzte zwar noch einmal zu einer Erwiderung an, verkniff sie mir aber, schüttelte stattdessen den Kopf und verließ, vorbei an der konsternierten Dame am Empfang, die Kanzlei. Draußen schlug mir die brutale Hitze dieses Sommertages entgegen, aber ich konnte endlich wieder aufatmen. Auf der Rückfahrt nach Bernheim kramte ich mein Gedächtnis durch, nach allem, was ich jemals über Paranoia und Schizophrenie gehört oder gelesen hatte. Die Beschimpfungen, mit denen ich ihn jetzt in seiner Abwesenheit zur Erleichterung meines malträtieren Egos bedachte, waren auch nicht ohne! Da wusste ich jedoch noch nicht, dass ich eines Tages mit dem Anblick seines leblosen Körpers, seines von entsetzlichen Qualen verzerrten Gesichts konfrontiert werden würde Und ich wusste auch noch nicht, dass ich mich einmal für meine Verwünschungen schämen würde.

      Seitdem habe ich Peter Simonis nie mehr getroffen. Auf eine Mitteilung an die Steuerberaterkammer hatte ich übrigens verzichtet. Die Sache war mir einfach zu dumm. Außerdem, so meine hässlichen Vorurteile, hatte der dafür zuständige Justitiar bestimmt Bedeutungsvolleres zu tun, als seine mit meinem Pflichtbeitrag subventionierte Zeit mit derart „belanglosen Dingen” zu verschwenden. Er beschäftigte sich lieber mit der Abmahnung von Kollegen, deren Kanzleischild ein paar Zentimeter größer war, als die damals gültige Fassung unseres „Standesrechtes”, als dessen auserwählter und wehrhafter Gralshüter er sich verstand, es gestattete.

      Wir fertigten die fehlenden Unterlagen so gut es ging mit Hilfe der Handaufzeichnungen des Mandanten nach und ich machte einen diesbezüglichen Einschränkungsvermerk in der Abschlussbescheinigung.

      Kriminalhauptkommissar Koman hatte im Gebäude der Polizeiinspektion Alzey ein anderes Büro am Ende eines Flures im zweiten Obergeschoss bezogen. Es war nicht nur größer als das, in dem ich ihn das letzte Mal besucht hatte, es war sogar merklich besser ausgestattet. Das zweiflügelige Fenster bot einen beruhigenden Blick auf den Hof einer gegenüberliegenden Schule, von dem Pausenlärm durch das geöffnete Fenster drang.

      Die rachitischen Möbel von dem letzten Jahr waren durch einen funktional geschnittenen Schreibtisch ersetzt worden, der sowohl für Besprechungen geeignet war als auch einem neuen PC Platz bot, von dem man allerdings nur Bildschirm, Tastatur und eine Funk(!)maus sah – der Rest war wohl unter dem Tisch verborgen. Sogar seine Akten, die in mehreren Stößen unterschiedlicher Höhe aufgetürmt waren und die Koman nach einem – für nicht Eingeweihte zwar mysteriösen – auf blitzschnellen Zugriff zugeschnittenen System geordnet hatte, ließen noch Platz für spontan geforderte Bewegungsfreiräume.

      Für drei Besucher gab es bequeme Stühle, und Koman fühlte sich in seinem ergonomisch geformten Chefsessel sichtlich wohl; zumindest ließ sein zufriedenes Grinsen, mit dem er mich begrüßte, keinen anderen Rückschluss zu. Freilich, nicht alles war neu. Seine alte IBM-Kugelkopfmaschine hatte zwar ausgedient, aber einen Ehrenplatz auf einem Beistelltisch erhalten, wo ihr immer noch frisches IBM-Mattrot in Konkurrenz mit dem Glanzgrau eines nagelneuen Saecco-Espressoautomaten trat.

      Mit kindlich anmutendem Stolz fragte er: „Na, wie gefällt Ihnen mein neues Reich?”, und fügte, bevor ich noch antworten konnte, hinzu: „Um es gleich vorwegzunehmen, die Espressomaschine habe ich selbst bezahlt, kein Cent Steuergelder steckt da drin, Herr Paragraphenreiter.”

      „Und den Kaffee”, frozzelte ich zurück, „bringen sie den auch von zu Hause mit? Wahrscheinlich klammheimlich, damit Ihre Frau nichts merkt.”

      Ich schien, ohne es zu wollen, einen schmerzhaften Schlag gelandet zu haben. Koman nahm seine Brille ab und schloss die Augen. Mit Daumen und Zeigefinger fuhr er unter kräftigem Druck zwei, drei Mal von der Nasenwurzel bis zur Nasenspitze. Dann wuchtete er seine 1,95 Meter große, hagere Gestalt mit einer müden Bewegung aus seinem Stuhl und baute sich, ohne ein Wort zu sagen, mit dem Rücken zu mir vor der Espressomaschine auf. Geistesabwesend pickte er ein paar Kaffeekrümel aus der Tropfschale, bevor er sich mit einer heftigen Bewegung zu mir umdrehte.

      „Für den Kaffe”, begann er schleppend, „da haben wir tatsächlich ein Budget. Der gehört bei uns zum Geschäft, gewissermaßen. Unterstützt den Aufbau einer erlaubenden Atmosphäre. Lockert Blockaden bei Vernehmungen und Protokollierungen. Dafür gibt es sogar ein Kontingent Zigaretten. Hilft natürlich nicht bei jedem. Und ist auch nicht typisch für jede Dienststelle, aber wir handhaben das so. Betrieblich notwendige Verbrauchsgüter könnte Ihr Fachbegriff dafür lauten.”

      Es war weder eine Frage, noch eine wichtige Feststellung, also korrigierte ich ihn nicht, sondern nickte ihm nur aufmerksam zu. Da musste doch noch etwas kommen – und es kam:

      „Und was das zu Hause betrifft. Das war einmal. Ich wohne seit drei Monaten in einem 1-Zimmer-Appartement. Tja, lieber Herr Schäfer, da sind wir wohl Schicksalsgenossen. Nur, dass wir keine Kinder haben. Aber glauben Sie nicht, dass es deswegen leichter ist. Auch meine Frau wollte oder konnte mich nicht mit meinem Beruf teilen. Zu viele Überstunden, zu viele plötzliche Einsätze. Vor allem aber zu viel Angst. Wir dienen ja nur noch als Blitzableiter für die aufgestauten Aggressionen eines Teiles unserer Gesellschaft, der die jahrzehntelang verschleppten Strukturreformen auszubaden hat, aber letztlich nicht kriminell wird.

      Und dann sind da die anderen in unserer an sich begrüßenswerten, multikulturellen Gesellschaft. Diejenigen, die unseren glatzköpfigen und rassistischen Neonazis als willkommene Argumente für ihre dumpfen nationalistischen Parolen haargenau ins Konzept passen. Ihre Gewaltbereitschaft und so selbstverständliche Brutalität, die kaum nachvollziehbar ist, erreichen ungeahnte Dimensionen. Der Begriff Bulle wird zwar als Schimpfwort geahndet und die Verwendung mit einer Geldstrafe belegt, aber der Mensch Bulle ist für sie Freiwild, Zielscheibe. Die haben sich hemmungslos und ungehindert mit Waffen aufgerüstet. Dealer, Waffenschieber, Mädchenhändler, Autoschieber, Einbrecher, die keine Hemmschwelle kennen und kaltschnäuzig zur Waffe greifen, wenn sie ertappt werden.

      Und dann werden sie, kaum, dass wir sie unter Einsatz unseres Lebens, nach akribischen Recherchen – immer einen Fuß in einer Dienstaufsichtsbeschwerde, die eine Beförderung hemmt – endlich dingfest gemacht haben, innerhalb kürzester Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt. Manche erwischen wir in einer Woche gleich mehrmals. Mafiöse Strukturen werden verleugnet, nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Da kann man doch nach dem Dienst nicht nach Hause gehen und alles ablegen! Das bleibt doch in den Klamotten stecken! Sagen Sie mir, lieber Schäfer, welche Frau ist so bekloppt, oder sagen wir besser, so überirdisch stark, das auf Dauer mitzumachen? Meine zumindest war es nicht, und ich kann es ihr auch nicht verübeln.”

      Nach diesem Wortschwall war ich für einen Moment perplex. Ich vergaß immer wieder nur zu gerne, dass nicht nur wir Steuerberater uns mit anscheinend unüberbrückbaren Konflikten zwischen Familie und Beruf zu arrangieren hatten und nicht die Einzigen unter der Sonne waren, die unter den Verstrickungen der Gesetzgebung und dem Ausbleiben einer längst überfälligen Revidierung zu leiden hatten, und dafür, weil die wahren „Täter” nicht haftbar gemacht werden konnten, zur Verantwortung gezogen, ja sogar angegriffen wurden.


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