Schwarzes Geld für schwarze Schafe. Christopher Stahl

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Schwarzes Geld für schwarze Schafe - Christopher Stahl


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dass Wehmut für meine weitere Beförderung zuständig ist, ich bekomme zum Dank für meine korrekte Einstellung von den lieben Kollegen noch ein Paket mit einem abgehackten Schweinskopf auf den Tisch gestellt.”

      „Was soll das denn?”

      „Das ist mittelalterliches Mobbing. Das ist die zum Kugeln komische Art, jemandem anonym und feige zu verstehen zu geben, dass er ein Kameradenschwein ist.”

      „Geschieht das oft?”

      „Nee, es gibt ja kaum welche unter uns, die unabhängig und stark genug sind, die immer wieder angemahnte und eingeforderte Zivilcourage zu beweisen.”

      „Aber, wenn es doch herauskommt, dass Ihre Zeit nur aufgrund persönlicher Netzwerke für unsinnige Nachforschungen verschwendet wird und dafür andere, wichtigere Fälle unbearbeitet liegen bleiben? Wenn zum Beispiel die Presse davon Wind bekommt?”

      „Dann gibt es kurz einen Sturm im Wasserglas, Schuldzuweisungen und Exkulpationen werden sich die Waage halten und irgendwer nimmt seinen Hut. Tatsächliche Konsequenzen werden keine gezogen, so ist das heute halt.”

      „Früher”, sinnierte ich, „haben sich die alten Römer nach einer Niederlage in ihr Schwert gestürzt.”

      „Na, und heute”, Koman nippte an seinem, mit Wasser verdünnten Pinot Grigio, den Sebastiano gerade mit meinem „Edelminerealwasser” San Pellegrino serviert hatte, „heute geht man in den gut bezahlten Vorruhestand. Aber, lassen Sie mich Ihnen weiter den Fall Simonis darlegen, sonst vergeht mir der Appetit noch vor dem Essen.”

      Er grinste und war von einem auf den anderen Moment wieder der eher nüchterne Kriminaler.

      „Also, Simonis zitierte mich dann jedes Mal, wenn er wieder einen Drohbrief erhalten hatte, zu sich. Wie an den Datumsangaben zu sehen war, sofort. Von Mal zu Mal war er aufgeregter und sah sich schon vergiftet, mit einer Kugel im Kopf, erdrosselt und erschlagen, aus einem Hochhausfenster gestürzt und dann von einem Auto überfahren mit dem Gesicht nach unten leblos im Rhein in Richtung Mainz treiben.”

      „Ja, haben Sie die Angelegenheit denn nie ernst genommen und wenigstens oberflächlich recherchiert?”

      Irgendwie hatte das doch getroffen.

      „Ja uns nein”, quälte er heraus, „am Anfang klang das doch irgendwie … na ja … spaßig ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Aber es waren halt … Morddrohungen, ja – aber immer nur Sprüche. Alle paar Wochen fand er ähnliche Episteln. Mal im Briefkasten, mal unter den Scheibenwischer seines Autos geklemmt. Einmal sogar in seiner Manteltasche nach einem Lokalbesuch. Das Originellste war, als einer dieser Briefe, um einen Stein gewickelt, durch das offene Toilettenfenster seines Privathauses flog, als er gerade einem Ruf der Natur folgte.”

      Ich konnte das Bild vor mir sehen, plastisch und in Farbe: Simonis, zu Tode erschrocken, hilf- und sprachlos, mit runtergelassener Hose auf cremefarbenem Villeroy & Boch sitzend, den Consultant oder die NWB, die er als Lektüre ausgewählt hatte, in verkrampften, zitternden Händen haltend und ungläubig auf den papierumwickelten Stein vor sich starrend. Welch ein Bild, wie schön! Vor allem, wie schön unfair, lass das Junge!, schalt ich mich. Aber wenn mich die Fantasie einmal gepackt hatte … Mir fiel blitzartig (blitzartig ist gut), der Zornesausbruch eines Bauern ein, als er einen Mann in seinem Weinberg beim Massendiebstahl von Weinblättern überraschte: „Ei, disch soll doch de Blitz beim Scheiße treffe!”

      „Ich habe mich dann hin und wieder umgehört, auch einmal Kontakt mit der Steuerberaterkammer aufgenommen, um zu erfahren, ob da irgendetwas an, na sagen wir mal, Merkwürdigkeiten über ihn vorliegt, also, anhängig ist”, hörte ich Koman wie aus dem Off meiner gedanklichen Szene. „Ich hatte dabei schon den Eindruck, dass Simonis einen zweifelhaften Ruf besitzt, der über ein eigentlich akzeptables Maß hinausgeht. Man war sehr freundlich, aber null Information. Aus Datenschutzgründen. Ich wollte zum damaligen Zeitpunkt nicht weiter nachbohren, sonst hätte ich denen ihren Datenschutz um die Ohren geschlagen. Ich nehme ja immer noch an, dass es sich um ein banales Insiderproblem handelt. Kollegenintrigen, Neid. Es kann auch grober Unfug sein, ist ja bisher nichts passiert.”

      „Immerhin Morddrohung, wie Sie eben sagten.” Jetzt war ich wieder bei der Sache. „Gibt es denn irgendetwas Konkretes?”

      „Da”, sagte er und reichte mehrere zusammengefaltete, lindgrüne Blätter Papier über den Tisch, die er aus seiner Brusttasche gezogen hatte.

      „Sie möchten, dass ich das lese?”, fragte ich, „jetzt, hier?”

      „Nein, ich möchte, dass Sie daraus Papierflieger basteln, jetzt und hier! Entschuldigung, natürlich sollen Sie es lesen, ich bitte darum.”

      „Ach, hören Sie doch auf, sich zu entschuldigen, was frage ich auch so blöde.”

      Ich entfaltete die Blätter und überflog deren Inhalte erst einmal. Es waren Kopien, aber, wie mir Koman erklärte, auf dem gleichen grünen Papier, wie die Originale. Jedes Blatt war sowohl mit dem Tagesdatum versehen, an dem Simonis jeweils die Botschaft gefunden hatte, als auch mit dem Datum, an dem er es der Polizei übergeben hatte. Es waren immer nur wenige Zeilen darauf gedruckt; alle in 12-Punkt Arialschrift.

      Zwei weitere Dinge waren stets gleich: Die Anrede Euer teuflische Pestilentia und der „Unterzeichnende” Eure segensreiche Medica. Dieses sprachliche Ritual bezog sich offensichtlich auf den ersten Drohbrief. Er lautete:

      IHR SEID DIE TEUFLISCHE PESTILENTIA

      UND ICH WERDE DIE WELT VON EUCH,

      DIESEM ÜBEL, BEFREIEN!

      ICH, EURE SEGENSREICHE MEDICA

      „Klingt ja recht bizarr”, war mein erster Kommentar.

      „Na, lesen Sie erst einmal alle.”

      Ich las den zweiten Brief:

      EUER TEUFLISCHE PESTILENTIA,

      EIN GUTER TEIL DER LEBENSFREUDE BESTEHT AUCH

      DARIN, DASS MAN NICHT TOT IST, SAGT MAN.

      EURE LEBENSFREUDE WIRD EUCH BALD VERGEHEN.

      UND DAFÜR WERDE ICH SORGEN, MIT TÖTLICHER

      SICHERHEIT.

      EURE SEGENSREICHE MEDICA

      „Was für ein Unsinn!”, schüttelte ich den Kopf.

      „Weiterlesen!”. Koman war unbarmherzig.

      EUER TEUFLISCHE PESTILENTIA,

      DAS LEBEN IST SCHÖN,

      NUR KOMMT MAN LEIDER NICHT LEBEND RAUS,

      SAGT MAN.

      UND DAS WERDET IHR SCHNELLER ERLEBEN,

      ALS IHR GLAUBT.

      EURE SEGENSREICHE MEDICA

      Ich musste kurz auflachen: „Das kann man doch nicht ernst nehmen, da hat doch jemand einen mehr als bloß dezenten Dachschaden.”

      Koman schwieg und deutete nur auf die restlichen zwei Blätter.

      „Ja, doch! Ich lese ja schon.”

      EUER TEUFLISCHE PESTILENTIA,

      DER TOD IST DAS EINZIGE DEMOKRATISCHE MITTEL,

      SAGT MAN.

      UND MANCHE MUSS MAN ZUR PRAKTIZIERTEN

      DEMOKRATIE ZWINGEN.

      EURE SEGENSREICHE MEDICA

      Der letzte lautete:

      EUER TEUFLISCHE PESTILENTIA,

      ICH SAH EUCH KÜRZLICH WIEDER EINMAL ZORNIG,

      MIT HOCHROTEM KOPF. ES MACHT MICH SO SCHARF,

      WENN IHR WÜTEND SEID. DANN FÜHLE ICH MICH DER

      TESTAMENTERÖFFNUNG GLEICH VIEL NÄHER.

      UND DA ERWARTE ICH EINEN FETTEN


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