Schwein im Glück. Astrid Seehaus

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Schwein im Glück - Astrid Seehaus


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ist kleiner als meiner.“ Ich beugte mich zu ihr und krallte mich an ihrer Halskette fest. Mühsam fixierte ich sie, aber sie flutschte mir immer wieder aus dem Blickfeld. „Hübsch. Neu?“

      „Was?“

      „Die Kette?“

      „Welche Kette?“ Esme krauste die Stirn und verfiel in tiefes Grübeln.

      Ich ließ die Kette wieder los. „Ich bin Großgrundbesitzerin“, betonte ich übertrieben.

      Abrupt blieb Esme stehen und sah zu mir auf. Trotz ihrer hochhackigen Schuhe war ich größer als sie. Sie brauchte eine Weile, um ihre Augen auf mich zu fokussieren. „Das sti-himmt. Dubistwirklich … groß.“

      „Ich bin die Hot Wolee von der Heide.“

      „Du bist ganz bestimmt nicht hot in diesem Kostüm“, mäkelte Esme, die dazu überging, jedes Wort einzeln zu betonen.

      „Ich lach mich schlapp.“

      „Ich mich auch“, flüsterte sie. „Wenn man ein Taxi braucht, ist nie eines da.“

      „Da pass ich nie im Leben rein“, erwiderte ich und starrte auf ein Werbeplakat mit Spitzenhöschen für Magersüchtige. „Wenn meine Eltern das mitbekommen, da sag ich dir eines. Mein Vater wird endlich mal von der Zeitung aufsehen und mit mir sprechen.“ Ich stach mit dem Finger bei jedem Wort auf meine Brust ein. „Wenn. Er. Mich. Sieht. Sage. Ich. Dir. Und. Er. Wird. Mich. Sehen. Denn. …“

      „Du bist groß“, staunte Esme immer noch.

      „Genau! Und meine Mutter auch. Und Ben.“

      „Wir reden jetzt aber nicht über Ben“, murrte Esme.

      „Natürlich nicht, der ist doch …“, ich machte eine wegwerfende Handbewegung, „weit weg, ich glaube in Entenhausen, im Tresor von Dagobert Duck. Geld zählen oder so.“ Ich trällerte albern: „Dollar Duck, Dollar Duck is’n altes Wrack.“

      „Er staunt.“ Ehrfürchtig sah sie mich an. „Weil du so groß bist.“

      Ich gluckste. „Ben Duck wird überall verkündigen, wie groß ich bin.“

      „Du bist doch ein Volltrottel wie er im Buche steht“, schimpfte Ben, als er die Unterlagen überflogen und den Brief von Onkel Anton gelesen hatte. Nachdem ich meinen Rausch ausgeschlafen hatte, hatte ich mich nicht weiter mit dem Brief abgequält, da die Schrift so unleserlich war wie die ägyptischen Hieroglyphen.

      Wir saßen am Abendbrottisch, Ben war von unserer Mutter zu einer Art Krisensitzung einberufen worden. Ich hatte den Heimweg auf dem Rücksitz eines Taxis verbracht und war dann, betrunken wie eine Haubitze, in mein Kinderzimmer geschlichen, sehr darauf bedacht, nicht aufzufallen. Daddy Bastian, wie Ben ihn seit unserem sechzehnten Lebensjahr betitelte, hatte es dann doch gemerkt, obwohl ich wirklich leise gewesen war, aber mein Gehickse hatte ihn wahrscheinlich auf den Plan gerufen.

      „Hast du dich betrunken, weil du erkannt hast, wie dämlich deine Entscheidung war, oder weil du glaubtest, du wärst jetzt schuldentechnisch aus dem Schneider?“ Ben wirkte nicht nur so, sondern war es auch: ziemlich sauer. So kannte ich ihn nur, wenn er beim Millionenscheffeln gestört wurde.

      Ich hatte ein paar Schwierigkeiten mit der Auge-Hand-Koordination und versuchte, das Glas Wasser zu greifen, das zwar in meiner Nähe stand, aber nicht in meiner Reichweite, vielmehr nicht in der Reichweite meines rechten Armes. Meine Mutter drückte mir das Glas schließlich in die Hand, vermied aber jeden Blickkontakt. Was nicht verwunderlich war, ich vermied es auch, sie anzuschauen.

      Ben zeigte, wenn er wütend war, die Macke unseres Vaters, er dachte auch, sein Wort wäre so ähnlich wie das Wort Gottes. Ben fühlte sich in keinster Weise bemüßigt, seine Stimme zu senken, obwohl ich abwinkte und ihm bedeutete, dass ich Kopfschmerzen hatte. Bastian ließ ihn gewähren, meine Mutter hielt sich zurück, und Ben dachte nicht daran, Rücksicht auf mich zu nehmen.

      Wenn Ben mich nicht geweckt hätte, wäre ich im Bett geblieben und hätte erst einmal ausgeschlafen. Die sechs Stunden hatten einfach nicht gereicht. Ich fühlte mich wie durch den Wolf gedreht. Aber da Ben den nächsten Flieger nach London gebucht hatte, war es seiner Gutmütigkeit und dem hysterischen Auftritt unserer Mutter zu verdanken, dass er noch einmal reingeschaut hatte, um, nach ihren Worten, zu retten, was zu retten war.

      „Soll sie doch auf dem Hof untergehen“, war das Freundlichste, was ich zu hören bekam, als ich Ben mit unserer Mutter belauschte.

      „Und du hast bestimmt noch zugeredet, dass sie das Erbe annehmen soll. Was Mutter?“, hatte Ben sie angeblafft.

      Ich hatte Ben noch nie so mit unserer Mutter reden hören, und es zog sich mir der Magen zusammen, dass ich für diese Familienkrise verantwortlich war. Ich war über dreißig, wie er, aber ich war diejenige, die alles falsch machte, obwohl ich mich immer darum bemühte, alles richtig zu machen. Ben hatte sein Studium abgebrochen, nicht ich. Ben wäre wegen Kiffens fast von der Schule geflogen, nicht ich (ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie man so ein Dingsda drehte). Ben wurde Börsenmakler und fand kein einziges Achselzucken innerhalb der Familie. Ich studierte Literaturwissenschaft, und Bastian fragte mich, was ich denn überhaupt gedachte, mit so einer Luftnummer anzufangen (dabei war ich der festen Überzeugung gewesen, wenigstens er würde meine Wahl verstehen). Jette hatte dabei hinter ihm gestanden und ein Gesicht gezogen, als ob ich mir vom Gewerbeaufsichtssamt einen Gewerbeschein als Edelnutte besorgt hätte. Es war egal, was ich tat oder sagte, Ben war immer besser als ich. Trotzdem liebte ich ihn, er war mein Bruder.

      Nun saß ich also am Tisch und fühlte mich bemüßigt, Mama zu verteidigen.

      „Es stimmt nicht, dass Mama zugeredet hat.“ Ich vernahm ein erleichtertes Seufzen aus ihrer Richtung. „Das war meine Entscheidung.“

      Ben wedelte mit den Unterlagen und fuhr mich an: „Du bist dumm wie ein Huhn.“ Nun hielt er mir den Briefbogen unter die Nase. „Was du gemacht hast, ist finanzieller Selbstmord. Das werde ich dir auf gar keinen Fall bezahlen.“

      Ich wartete darauf, dass unser Vater auch noch etwas sagte, aber er hielt sich auffallend zurück. Ich war ihm dankbar dafür, und mein kleines Lächeln galt ihm. Dann wandte ich mich wieder meinem Bruder zu.

      „Ben, ich habe dich nie darum gebeten, dass du meine Schulden bezahlst. Dafür kann ich selbst eintreten. Wenn ich es verbockt habe, löffele ich es auch wieder aus. Es sind fünf Jahre, Ben. Fünf Jahre, die ich still halten muss. Ich kann den Hof als Eigentümerin beleihen, und danach werde ich ihn verkaufen. Die Möglichkeit habe ich. Das ist ein besseres Spekulationsobjekt als all deine gehandelten Dollars, Kupfer oder Schafsmist zusammen.“

      „Du wirst mit Schafsmist früher Bekanntschaft machen, als dir lieb ist, Schwesterherz. Dann kauf dir schon mal Gummistiefel! Das möchte ich sehen, wie du da fünf Jahre lang Bäuerin spielst. Du hältst das keine Woche durch.“

      Ich verdrehte die Augen. „Mann, Ben! Jetzt übertreibst du aber! Ich habe doch einen Plan.“

      „Wirklich? Einen Plan? Bille hat einen Plan? Da bin ich gespannt“, entgegnete er süffisant. „Ich glaube, du hast den Brief nicht gelesen.“

      „Natürlich habe ich ihn gelesen.“

      Er seufzte übertrieben laut. „Dann hast du ihn nicht verstanden. Man sollte bei diesen Dingen auch das Kleingedruckte lesen.“

      Ich dachte angestrengt nach. Es hatte nichts Kleingedrucktes in diesem Brief gegeben. Der gesamte Brief war unleserlich. „Ich habe ihn gelesen, Ben. Und jetzt tu mal nicht so, als ob du älter wärst als ich.“ Ich schluckte die aufkommenden Tränen hinunter. „Ich habe nicht vor, dort zu arbeiten. Ich bin, wenn du es noch nicht kapiert hast, Lektorin eines angesehenen Verlages hier in Hamburg. Was soll ich da in Ebstorf?“ Ben lächelte schräg, fast schon bösartig. Das gefiel mir nicht sonderlich, aber ich fuhr tapfer fort: „Es tut mir leid, Ben, aber du führst dich auf, als ob du neidisch wärst. Und ich dachte, du würdest dich für mich freuen.“

      Für


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