Schwein im Glück. Astrid Seehaus

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Schwein im Glück - Astrid Seehaus


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kann. Aber erzähl mir nicht, dass du dich bewusst dafür entschieden hast, für fünf Jahre aufs Land zu ziehen.“

      Ich stutzte.

      Er legte das Blatt auf den Tisch und erhob sich. „Tut mir leid. Ich muss los, sonst geht der Flieger ohne mich in die Luft.“ Er verabschiedete sich von unseren Eltern, indem er sie umarmte und Jette damit tröstete, dass er in zwei Wochen wieder in Hamburg sei. Mit einem kurzen verbalen Seitenhieb, dass er mir dann ja beim Umzug helfen könnte, wurde ich zurückgelassen. Zu einem brüderlichen Abschiedskuss konnte er sich nicht durchringen. Das mit dem Neid war ein Hieb unter der Gürtellinie gewesen, und ich schämte mich auch dafür.

      Ich griff nach dem Schriftstück, als ich die Haustür klappen hörte, und überflog es.

      „Das kann nicht sein, ich bin Lektorin“, murmelte ich, als mir allmählich dämmerte, von welchen Verpflichtungen Dr. Ebertsmann-Meier gesprochen hatte.

      Ich hatte Bastian und Jette ausgeblendet und starrte nur noch auf das Stück Papier. Die Schrift verschwamm vor meinen Augen. Entsetzen machte sich breit. Mir war nun wirklich zum Heulen. Es bestand Anwesenheitspflicht. So viel verstand ich nun. Auch wenn Ben nicht mehr da war, hörte ich seine Stimme mich verhöhnen: „Du bist verpflichtet, dort zu wohnen, im Haus zu leben, die Hühner zu kraulen und alles selbst zu machen. Das ist die Auflage bei diesem Erbe.“

      Mühsam riss ich mich zusammen und versuchte zu entziffern, was Onkel Anton geschrieben hatte.

       Ich bitte Benita Hansen, die Enkelin meiner geliebten Schwägerin, Tochter meiner geliebten Großnichte, dass sie sich im besten Sinn um meinen Hof kümmert und ihn wieder zu dem macht, was er einmal gewesen war. Haus, Stallungen, Nebengebäude und ein Barvermögen von …

      Ich ließ den Brief sinken. War mit Großnichte Mama gemeint? Ich konnte sie im Augenblick nicht fragen, sie versteckte sich in der Küche. Und Bastian wollte ich auch nicht fragen. Der schien wegen des Erbes sowieso nicht besonders glücklich und ebenso verärgert wie Ben. Ich las weiter.

       … 300.000,- Euro, …

      Mein! Gott! Ich! War! Reich!

      Glücksgefühle durchströmten mich. Was hatte Ben nur? Dreihunderttausend Euro abzüglich meiner Schulden, da blieb doch genug für mich übrig. Das war doch was!

       … über das Benita nicht frei verfügen kann. Das Geld ist für die Investitionen auf dem Hof.

      Ich seufzte ergeben. Also doch keine Schuldentilgung und shopping for ever. Sondern genau das, was Ben mir versucht hatte zu erklären: fünf Jahre Zwangsaufenthalt auf dem Land.

      Ich legte das Blatt sorgfältig zurück in den Papphefter und sah Papa entschuldigend an. „Es tut mir leid, dass ich es wieder falsch gemacht habe.“

      „Wirklich?“, fragte er und musterte mich.

      Ich zuckte die Achseln. „Was soll ich denn sonst dazu sagen?“

      Er zögerte. Ich wusste, dass er mir nun auch die Leviten lesen würde. Er drehte sich kurz um und sah Jette in der Küche werkeln, dann beugte er sich zu mir über den Tisch und flüsterte: „Herzlichen Glückwunsch, Mädchen!“

      Ehe ich etwas darauf erwidern konnte, war er schon aus dem Zimmer – seine geliebte Zeitung auf dem Tisch zurücklassend.

      Wie ein waidwundes Reh schaute mein Kollege Dieter Weber, als er das Manuskript seiner Nichte aus meinem Papierkorb zog, es glättete und mir auf den Schreibtisch legte. Ich war dieses Mal gestylt, meine Bluse war gebügelt und mein Kostüm kam frisch aus der Reinigung. Gummistiefel hatte ich mir auch schon gekauft. Gleich gegenüber der Reinigung gab es eine kleine hübsche Schuhboutique, in der ich etwas für mich Passendes gefunden hatte.

      „Herr Weber, dieses Manuskript ist noch schlechter als die zwei davor. Ihre Nichte sollte ein Schreibseminar besuchen, um wenigstens die Grundlagen des Schreibens zu erlernen“, versuchte ich die Peinlichkeit, dass er das Manuskript in meinem Papierkorb gefunden hatte, zu übergehen. Ich hätte es vielleicht lieber zu Hause entsorgen sollen.

      „Ich weiß, ich weiß“, murmelte Weber und sah dabei aus wie ein Dackel, der für den Zipfel der Wurst Männchen gemacht hatte, aber nur seinen dämlichen Kauknochen bekam.

      Wir beide flüsterten, obwohl wir allein im Raum waren. Nesrin, die sonst am Schreibtisch neben mir arbeitete oder mit ihrem Taschenspiegel und den Make-up-Utensilien am Fenster klebte, war sich wieder einen Kaffee holen gegangen, um Winter abzupassen, wobei ich mich allmählich fragte, ob das nicht auffallen musste, wenn sie ihm zwanzig Mal am Tag mit einem Becher Kaffee in der Hand auflauerte. Ich flüsterte, um keine bösen Geister zu rufen. Mein Geist hieß Damian Winter. Und ich nahm an, Weber flüsterte, damit der Geist in Person seiner Nichte nicht auf uns aufmerksam wurde. Seiner Meinung nach hatte sie ihre Ohren überall. Zugegebenermaßen machte mir das schon fast mehr Angst, als von Winter beim Lektorieren unerbetener Manuskripte erwischt zu werden.

      Ich hatte, abgesehen von Esme, niemandem von meinem Erbe erzählt, auch Nesrin nicht. Besonders Nesrin nicht. Die würde es Winter hinterbringen, und dann wäre ich meinen Job schneller los als ich Kikeriki schreien könnte. Ich liebte meinen Job. Ich hing an ihm. Ich bedauerte zutiefst, dass ich das Erbe angenommen hatte, und gleichzeitig wollte ich nicht davon zurücktreten. Ich war nun Bäuerin. Hofbesitzerin. Es war verrückt, ich hatte keine Ahnung von Landwirtschaft, aber es war einfach ein gutes Gefühl, etwas sein Eigen zu nennen. Ein Ehering hätte es natürlich auch getan, aber Carlo hatte ja nicht gewollt. Und ich sollte jetzt bloß nicht wieder damit anfangen.

      „Herr Weber“, flüsterte ich nun entschiedener. Mit einem nahezu angewiderten Ausdruck tippte ich auf die Seiten. „Dieses Manuskript ist unlektorierbar. Es ist schlecht. Es tut mir leid, ich kann dazu nicht mehr sagen.“

      „Versuchen Sie es wenigstens“, flehte Weber mich an. „Sie müssen!“

      „Dazu mehr sagen?“, fragte ich begriffsstutzig.

      „Nein, lektorieren“, wimmert er.

      „Ich kann nicht“, flüsterte ich, schon halb überredet. „Melanie Marschall-Müller hieß beim letzten Mal Belinda Behrens-Brammel und war der gleiche Typ Frau. Leidenschaftlich, feurig und blind vor Liebe. Und davor hieß sie Svetlana Sergejevna-Sacharova, war eine russische Spionin, die im Auftrag ihres Landes nach möglichen Quellen von Uran spionierte, um Atomwaffen herzustellen. Ich kann das vor Winter nicht vertreten.“ Heftiger erklärte ich: „Ich kann es auch vor mir selbst nicht vertreten. Wenn dieses … dieses …“, ich steigerte mich immer weiter in eine gerechte Empörung hinein, „Machwerk veröffentlicht wird, weigere ich mich, im Impressum genannt zu werden.“

      „Winter darf davon nichts wissen“, beeilte sich Weber zu sagen. Er beugte sich zu mir und wisperte so leise, dass ich ihn kaum noch verstand: „Es geht um mein Leben, Frau Hansen.“

      Ich richtete mich zu meiner vollen Größe auf und überragte Weber um fast einen Kopf. „Und es geht um mein Ansehen. Und natürlich muss Winter das Projekt vorgelegt bekommen.“

      Webers glasiger Blick irritierte mich. Es schien, als stufte er mein geistiges Niveau auf dem einer Nebelkrähe ein. Er räusperte sich und sagte: „Sie kennen meine Nichte nicht.“

      „Ich kenne Ihre Nichte zwar nicht, Herr Weber, aber ich kenne ihre Art zu schreiben.“ Keinen Millimeter würde ich von meinem Standpunkt abweichen, koste es, was es wolle.

      Wir starrten uns an, bis die Bürotür aufsprang und ich ein „Onkelchen“ juchzen hörte. Webers glasiger Blick löste sich auf, und er verzog den Mund zu einem verkrampften Lächeln. Eine hünenhafte Frau kam ins Büro stolziert. Sie war jünger als ich, auch wenn man es bei der kreativen Farbwahl ihres Make-ups nicht genau sagen konnte. Ihre Oberweite war beeindruckend, ebenso wie ihre Kleidung. Bei ihrem Lächeln richteten sich meine Nackenhärchen auf. Ich stellte fest, dass meine Ängstlichkeit in den letzten Wochen bedenklich zugenommen hatte.

      Sie streckte mir die Hand entgegen


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