Schwein im Glück. Astrid Seehaus

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Schwein im Glück - Astrid Seehaus


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waren alle enttäuscht“, entgegnete Bastian trocken.

      Ich wollte keine Diskussion über sein geliebtes Hamburg vom Zaun brechen. Der Krieg und was er an Kulturgütern zerstört hatte, war für meinen Vater ein neuralgischer Punkt. Er arbeitete als Historiker im Stadtarchiv und hatte mehrere Veröffentlichungen über seine Heimatstadt geschrieben. Ich kam nicht umhin zu glauben, dass er meinte, Hamburg mit eigenen Händen wieder zum Leben erweckt zu haben. Er war Jahrgang ´58 und hatte mit dem Aufbau Hamburgs genauso viel zu tun wie ein Biber mit dem Bau der Elbphilharmonie.

      „Ich weiß, aber das heißt doch nicht, dass er kein guter Mensch gewesen ist. Du siehst doch, dass er an mich gedacht hat“, erklärte Jette.

      „Und warum hast dann nicht du geerbt“, blaffte er sie ungewohnt heftig an.

      „Äh … ja, ich muss das Erbe nicht annehmen“, versuchte ich zu schlichten, wobei ich mir nicht im Geringsten vorstellen konnte, was es eigentlich war, das ich gedachte auszuschlagen.

      Ich fing an zu glauben, dass er sich darüber ärgerte, dass nicht sein tüchtiger und risikofreudiger Sohn, sondern seine untüchtige und seit drei Jahren extrem risikoscheue Tochter ein Erbe bekommen sollte, das sie ohnehin an einen dubiosen Amerikaner verschwenden würde. Mein Versagen in Sachen Carlo würde mir wohl zeitlebens vorgehalten werden, auch wenn man es nicht direkt in Worte fasste.

      Jette wirkte nun auch ziemlich verärgert, deutlich sichtbar an ihren roten Wangen. „Bastian, jetzt aber nicht so streng mit Benita sein! Sie hat es nicht so gemeint.“

      Ich schon wieder! Das war ja mal wieder typisch! Wenn meine Mutter sich angegriffen fühlte, musste ich es ausbaden. Pah! Nervte mich das.

      Jette wandte sich wieder mir zu. „Onkel Anton hat in Australien in Opale gemacht. Vielleicht bekommst du eine schöne Kette.“

      „Sie wird damit gar nichts anzufangen wissen“, brummte Bastian, erhob sich abrupt und marschierte sichtlich genervt aus dem Zimmer.

      Jette war ebenfalls aufgestanden und glättete mit fahrigen Händen die Tischdecke. Dann verschwand sie ungewohnt schweigsam und ließ mich zurück. Ich sah den beiden nach und fragte mich, was gerade eben vorgefallen war. Ich hatte meinen Vater nicht häufig so verärgert erlebt und meine Mutter selten so wortkarg.

      Dr. Ebertsmann-Meier war ein kleines Männchen, das im Ruhestand hätte sein können, wenn sein Nachfolger, den er jüngst eingearbeitet hatte, nicht das plötzliche Bedürfnis verspürt hätte, der Kanzlei den Rücken zu kehren und in die Wirtschaft zu gehen. Der Stuhl auf dem ich saß, war höllisch unbequem und piesackte mich im verlängerten Rücken. Er vermittelte einem den Eindruck, Delinquent zu sein und nicht Erbin. Nach wie vor sah es in Meiers Büro wie geleckt aus, was wohl vor allem seiner Vorzimmerdame zu verdanken war, einer tüchtigen und resoluten Person namens Petra Haller. Die Aktenberge unerledigter Fälle reichten nicht bis unter die Decke. Und trotzdem wirkte alles, als ob man in diesem Büro nicht auf der Höhe der Zeit wäre. Ich meinte den Mehltau von hundert Jahren zu sehen, wurde aber sogleich in die Gegenwart zurückgeholt, als mich Meiers kleine, kluge Augen forschend musterten.

      „Frau Hansen, nicht wahr?“

      „Ja“, murmelte ich, streckte meinen Rücken durch und presste meine Knie aneinander, um einen guten Eindruck zu machen.

      Mit einem Räuspern rückte er sich auf seinem komfortablen Bürostuhl zurecht, der einzige Neuerwerb der letzten dreißig Jahre, vermutete ich. Sein Blick huschte über eine aufwändig verarbeitete, sichtbar kostspielige Uhr. Ich wollte etwas sagen, doch er hob die Hand und bedeutete mir zu schweigen.

      Um Punkt zehn Uhr begann das Läutewerk der Uhr zu schlagen, und Frau Haller marschierte ins Zimmer. Es war wie in einer Komödie, wenn der Regisseur ruft „Uuuund Äääktschen!“. Aufgeregt und neugierig sah ich dabei zu, wie eine dünne Akte vor Dr. Ebertsmann-Meier abgelegt wurde. Ich betrachtete die Unterlage. Mir kam spontan in den Sinn, dass es sich nicht um viel handeln konnte, wenn die Akte kaum dicker war als ein paar Bögen Papier. Ich verstand nicht, warum sich meine Eltern so aufgeregt hatten. Wahrscheinlich würde es noch nicht einmal eine Kette zum Erben geben.

      Der Rechtsanwalt räusperte sich erneut, Frau Haller marschierte wieder aus dem Zimmer, und ich rutschte auf dem Stuhl nun doch ziemlich nervös nach vorn. Mein Gegenüber öffnete den Papphefter und entnahm einen Bogen.

      „Ich möchte Sie kurz in die Präliminarien einweisen. Sie müssen dieses Erbe nicht annehmen. Sie können es ausschlagen, nachdem Sie erfahren haben, worum es sich handelt, Frau Hansen. Ich erledige die nötigen Formalitäten und Sie sind von einem Erbe, das mit Verpflichtungen verbunden ist, befreit.“

      Der Begriff Verpflichtungen hatte einen faden Beigeschmack und löste ein unangenehmes Kribbeln aus, das ich sofort als Angst einordnete. Ich hoffte immer noch auf eine Kette oder auf ein anderes Schmuckstück, um damit die Schulden zu tilgen. Vielleicht waren diese Verpflichtungen akzeptabel. Vielleicht passten sie zu meinem Lebensstil. Vielleicht musste ich nach Australien reisen. Ich war noch nie in Australien gewesen, ich war auch noch nie großartig außerhalb Hamburgs gewesen. Ich liebte mein Hamburg, da war ich genauso lokalpatriotisch veranlagt wie Papa. Australien versprach so viel … Hitze. Ja, es war dort sicherlich heißer als hier im Zimmer. Und so viel ich wusste, gab es die Kängurus nur dort. Dieses riesige Land musste überwältigend sein. Und beängstigend, denn die giftigsten Spinnen gab es nur in Australien. Sie waren zwar nicht so groß wie Vogelspinnen, konnten aber einen Dreizentnermann in wenigen Sekunden um die Ecke bringen. Ich wog keine siebzig Kilo. Schon beim Anblick einer solchen Spinne würde ich ohnmächtig werden … Ich wusste nicht, was ich erhoffen sollte.

      Während ich gedanklich langsam wieder in die Kanzleistube zurückfand, spürte ich Ebertsmann-Meiers Ungeduld. Er wartete auf eine Reaktion.

      „Wie bitte?“ Mein entschuldigendes Lächeln konnte meine Verwirrung nicht verbergen. „Ich glaube, ich habe da irgendwas nicht richtig verstanden“, bemühte ich mich um Souveränität.

      „Es ist nur ein kleiner Bauernhof, und Sie können ihn auch für die nächsten fünf Jahre nicht verkaufen, aber Sie wären nicht allein damit. Lorenz Gerber würde ihnen als Berater zur Seite stehen. Er hat sich bisher auch um den Hof gekümmert.“

      „Ein Bauernhof?“, wiederholte ich dümmlich. „In Australien? Ich habe eine Spinnenphobie.“

      Dr. Ebertsmann-Meier räusperte sich vernehmlich. Seine rechte Hand glitt über das Papier, während er noch einmal den Brief studierte. Dann sah er auf und sagte: „Äh, ja … das tut mir leid wegen der Spinnenphobie. Ich vermute, Ihnen werden dort welche begegnen. Aber der Hof liegt in der Heide. Sie wollen das Erbe bestimmt ausschlagen. Wie ich aus den Unterlagen ersehe, haben Sie Literaturwissenschaften studiert und sind in einem Verlag als Lektorin tätig. Gut, das können wir alles regeln.“ Er klappte die Akte zu und schien mich verabschieden zu wollen. Er zählte mich ganz offensichtlich nicht zu den hellsten seiner Klientinnen.

      Mir war, als ob man mich durch eine Röhre gepresst hätte. Kaum hatte ich mich hineingewagt – molchartig kriechend, mit dem Kopf voran und ohne Sinn und Verstand –, wurde ich auch schon wieder herausgezogen. Gepackt und herausgezerrt, ohne dass ich wusste, wie mir geschah. Hatte man nicht eine gewisse Zeit, über ein Erbe nachzudenken?

      „Was ist der Hof wert?“, platzte ich heraus und unterdrückte das beschämende Gefühl, dass diese Frage den Eindruck einer geldgierigen Elster erweckte. Bisher hatte ich mit keinem Wort Onkel Anton erwähnt oder wissen wollen, wie er gestorben war.

      Dr. Ebertsmann-Meier schien irritiert, ich hoffte deswegen, weil seine unterbelichtete Klientin einen eigenständigen und durchaus vernünftigen Gedanken geäußert hatte. „Der Wert bemisst sich nach den aktuellen Preisen für das Ackerland. Das könnte durchaus eine halbe Million sein. Aber die Hofstelle selbst – ja, tut mir leid, Frau Hansen, die dürfte nicht so viel wert sein, denn …“

      „Eine halbe Million?“, hauchte ich überwältigt. Das war ja viel mehr, als ich jemals zu hoffen gewagt hatte. Als überhaupt irgendjemand in


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