Starke Kinder. Elisa Medhus
Читать онлайн книгу.noch genauer auf die ausschlaggebenden Faktoren eingehen.
Selbstbestimmte Kinder lassen sich von ihrem Verstand leiten, indem sie äußere Einflüsse beobachten und einordnen. Durch dieses Nachdenken gelangen sie zu einer objektiven Selbsteinschätzung – statt sich Selbstbeschönigungen hinzugeben. Sie bedenken die Folgen ihres Tuns im voraus und handeln entsprechend. Ihr Tun ist eher ein Antworten als ein Reagieren. Diese Kinder sind aus sich selbst motiviert – voll eigener Gedanken und Ideen.
Außengeleitete Kinder passen sich hingegen jeder äußeren Anforderung an, ohne das eigene Urteilsvermögen zu bemühen. Ihr ungestilltes Anerkennungsbedürfnis verhindert eigenständige Entscheidungen. Es kommt lediglich zu einer „indirekten Selbstbestimmung“ und damit zu einer sozialen Maske – jener „So wie es sich gehört“-Fassade, die sich für die Selbstverwirklichung so hinderlich erweist. Und das Schlimme daran ist, dass das Selbstvertrauen um so mehr nachlässt, je besser die Fassade funktioniert.
Ein weiterer Nachteil mangelnder Eigenständigkeit ist, dass außengesteuerte Kinder nicht lernen, sich in der Kunst des Selbstgesprächs und der Selbstbeobachtung zu üben. Ohne diese Fertigkeiten ist keine Selbstbeherrschung möglich und deshalb sind diese Kinder so unberechenbar. Sie reagieren stets nur. Sie sind getrieben. Wir werden im Folgenden immer wieder fragen, warum Kinder den einen oder anderen Weg gehen. Dabei werden vor allem praktische Tipps gegeben, die die Entwicklung in Richtung Eigenverantwortung fördern.
Sollten Sie bei der Lektüre dieses Buches erschrocken feststellen, dass Sie Ihre Kinder bisher eher außengesteuert erzogen haben, im festen Glauben, alles richtig zu machen, geraten Sie nicht in Panik. Schließlich gehören Sie zu den wenigen Müttern oder Vätern, die sich um eine möglichst gute Erziehung ihrer Kinder bemühen. Ich versichere Ihnen, dass Ihre Kinder, sofern Sie die Ratschläge in diesem Buch beherzigen, bald eigenverantwortlich werden. Und es wäre kein Wunder, wenn auch Sie auf diesem Weg Fortschritte machen! Ich jedenfalls hatte vierzehn Jahre einen ziemlich außengerichteten Erziehungsstil gepflegt, bevor ich schließlich Erziehungsmethoden entdeckte, die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fördern. Und es zeigten sich bald dramatische Effekte bei meinen Kindern (und mir). Man lernt außengesteuertes und selbstbestimmtes Verhalten grundsätzlich besser auseinander zu halten, sei dies nun an sich selbst, an seinen Kindern oder an anderen Menschen. Und je mehr Sicherheit man dabei gewinnt, desto leichter fällt der neue Erziehungsstil.
Stellen Sie sich vor, es gäbe nur selbstbestimmte Kinder auf der Welt! Wir wären dann eine Gesellschaft, in der wir in Kenntnis unserer wahren Stärken sinnvolle Rollen spielten und einander weiterbrächten. Wir würden unser Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten statt denjenigen anderer. Vergleichen wir das mit einer außengesteuerten Welt, in der die Menschen versuchen, einander den Rang abzulaufen, und auf der Jagd nach Spitzenpositionen sich selbst und andere verraten. Gehen wir noch einen Schritt weiter, und vergegenwärtigen wir uns, dass wir als Eltern es in der Hand haben, welchen dieser Wege die Menschheit gehen wird! Wir können mit unseren Erziehungsgrundsätzen an einer selbstbestimmten Welt mitwirken. Ich sage nicht, dass dies ein leichtes Unterfangen ist, ganz und gar nicht, denn die Menschheit hat Jahrhunderte außengesteuertes Verhalten auf dem Buckel, das sich über Meinungsbildung und gesellschaftliche Normen in den Einzelnen fortpflanzt. Und da diese Fremdbestimmung die Erziehung so allgemein betrifft, lauert überall der böse Wolf. Aber er kann in jedem von uns gezähmt werden. Wenden wir uns nun den sieben Erziehungsgrundsätzen zu, durch die dieser erstrebenswerte Wandel herbeigeführt werden kann.
1
Die richtige familiäre
Atmosphäre schaffen
Die Sonne scheint von allein.
– Anonym
VON DEN SIEBEN ERZIEHUNGSGRUNDSÄTZEN ist dieser wohl der entscheidendste. Denn ohne eine Atmosphäre, in der Selbstbestimmtheit gedeihen kann, werden die anderen sechs Grundsätze nichts fruchten, so sehr wir uns auch anstrengen mögen! Genau so gut könnte man versuchen, die Golden Gate Brücke auf einem Seerosenblatt zu errichten. Legen wir also zunächst ein solides Fundament. Und dazu müssen wir uns als erstes genauer ansehen, wo wir der Anpassung in Kleinigkeiten übermäßigen Raum geben. Dann werden wir überlegen, wie sich solche schädlichen Angewohnheiten überwinden lassen.
Angepasstes Verhalten reduzieren
Drei elterliche Verhaltensweisen fördern übermäßige Anpassung beim Kind: Wenn man selbst Außengesteuertheit vorlebt, wenn man sein Kind unter Druck setzt und wenn man seinem Kind nichts zutraut.
Wenn man selbst Außengesteuertheit vorlebt
Wir sollten nicht vergessen, dass unsere Art, auf äußere Einflüsse zu reagieren, für unsere Kinder in mehrfacher Hinsicht ein Beispiel ist. Die Art unseres Handelns, Fühlens und Denkens entscheidet über das Selbstgefühl unserer Kinder, da sie durch uns lernen, wie man in der Außenwelt zurechtkommt: Mit uns verknüpfen sie ihre Zukunftsvorstellungen. Das kann einem ziemlich Angst machen. Und da die meisten von uns bis zu einem gewissen Grad außengesteuert sind, suchen auch wir Bestätigung bei anderen. Wenn wir also nicht aufpassen, geben wir mit unserem Verhalten ein Beispiel übermäßiger Anpassung ab.
Zuviel Anpassung dem „richtigen Image“ zuliebe
Unsere Kinder erfassen mit Leichtigkeit die leisesten Anzeichen von Außengesteuertheit. Wenn wir uns zum Beispiel ständig abkämpfen, um uns sozial besser zu stellen und nach oben zu kommen, werden unsere Kinder das bemerken. Wir schuften täglich rund um die Uhr, damit wir durch ständige Neuanschaffungen unseren Erfolg beweisen können. Wir versuchen, die richtigen Dinge zu sagen, die richtige Kleidung zu tragen, die richtige Ausstattung zu besitzen, den richtigen Job zu ergattern, den richtigen Status zu haben, im richtigen Augenblick die Ellenbogen zu benützen, alles nur, um im Konkurrenzkampf ums soziale Ansehen der Sieger zu sein. Unsere Kinder durchschauen unser Verhalten ganz genau. Und da sie oft nur unser erweitertes Ich darstellen, lassen wir sie entsprechend mitmarschieren.
Wie können wir also diese ungesunden Verhaltensweisen stoppen und uns aus dieser Tretmühle befreien? Wir könnten versuchen, unser Tun zu hinterfragen, und so oft wie möglich nach unseren Motiven forschen: Tun wir dies, weil wir es für richtig halten, oder nur deswegen, weil wir gesellschaftliches Ansehen gewinnen wollen? Wir sollten diesen inneren Dialog auch hin und wieder laut führen und vor unseren Kindern unsere Pläne und Motive erwägen. Indem wir sie an unseren Entscheidungsfindungen teilhaben lassen, beflügelt das ihren eigenen inneren Dialog. Sie lernen eigenständig Betrachtungen und Abwägungen durchzuführen.
Überbewertung bedingter Anerkennung
Vielleicht ist es unser größtes Anpassungsmotiv, dass wir uns zu sehr von bedingter Liebe und Anerkennung abhängig machen. Diese Abhängigkeit wird zum Beispiel deutlich, wenn wir uns nach Strich und Faden fertig machen, nur weil wir in der Arbeit in einer Kleinigkeit versagt haben. Wir glauben dann, überhaupt keine Liebe verdient zu haben, weil wir bestimmte Erwartungen, die wir selbst oder andere an uns stellen, nicht erfüllt haben. Wenn unsere Kinder mitbekommen, wie wir uns selbst herabsetzen, vermitteln wir ihnen den Eindruck, wir seien Ausgestoßene oder Verlierer, die keine Liebe verdienen. Wie sollten sie dann nicht zu dem Schluss kommen, dass die äußeren Einflüsse mächtiger sind, als ihr inneres Wesen?
Um keine solchen unterschwelligen Botschaften mehr zu vermitteln, sollten wir Selbstherabsetzungen möglichst vermeiden. Statt etwa zu sagen: „Warum habe ich Idiotin dem Chef nicht bloß ein teureres Geburtstagsgeschenk gemacht. Jetzt ist Cindy befördert worden und nicht ich!“ wäre es wesentlich günstiger, wenn wir sagen: „Mensch, ich habe wirklich mit der Beförderung gerechnet. Aber immerhin habe ich mein Bestes gegeben, und das war gut so. Sicher ergibt sich bald etwas anderes. Ich werde weiter mein Möglichstes tun.“ Auf diese Weise werden unsere Kinder merken, dass wir uns an das halten, was wir gut gemacht haben, statt uns an dem zu orientieren, was andere von uns halten. In anderen Worten, sie werden lernen, über das nachzudenken, was in