Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer

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Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte - Tanja Langer


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wie sich auch ihr Kleid an ihrem Körper hob und senkte, dabei über die Haut streichelte, das war etwas anderes als das blöde Hocken vor der Waschmaschine zu Hause, wenn sie die Wäsche herauszerrte und in den daneben stehenden Trockner stopfte. Das Flattern der Haare im Wind, das Flattern der Wäsche, sie tastete nach Streichhölzern, zündete eins an, erschrak. Am Tisch, in der Dunkelheit, saß Stefan.

      Bevor sie etwas sagen konnte, begann er leise zu sprechen:

      „Er heult im Rhythmus des Meeres, hörst du das? Klatsch, klatsch, klatsch. Wie die Brandung, so schlägt er an die Hauswand, klatscht auf die Zypressen, überall. Heute pfeift er nicht so laut wie letzte Nacht.“

      Sibylle hatte die Kerzen angezündet. Sie setzte sich, griff nach dem Pullover, der über der Stuhllehne hing, zog ihn über. Die Wärme des Heizofens hing nur noch als Erinnerung im Raum.

      „Die Zypressen schützen das Haus gar nicht vor dem Wind“, sagte Stefan, „er kommt nie von dieser Seite. Wenn wir bei uns zu Hause wären, käme es uns gar nicht kalt vor, was?“ Er lachte, stand auf, holte zwei Gläser und die angebrochene Weinflasche von der Kommode.

      „Oder magst du lieber etwas Heißes?“

      „Etwas Heißes“, sagte Sibylle, „ja, etwas Heißes, ich bin von diesem Tag noch ganz durchgefroren, und im Schlafzimmer ist es eisekalt.“

      „Ich mach dir eine heiße Milch mit Honig.“

      Sibylle nickte, verwirrt. Sie hatte sich noch nie mit Stefan allein in einem Zimmer befunden, höchstens mal bei Eva und Stefan zu Hause, wenn sie in der Küche etwas für ihre Familienessen vorbereiteten. Sie mustert ihn verstohlen, während er den Topf leise auf den Herd stellt, das Gas anzündet, Tassen aus dem Schrank holt. Sie sieht Stefan, der sich vorbeugt, und denkt an die Zypressen. Sie waren gepflanzt worden, in einer Reihe, und einfach hochgewachsen, so alt wie sie selbst, Holz, voller Wasser in den feinen Maserungen, Treibstoff, Geruch. Stefan war auch hochgewachsen, schlank, bis auf den Bauchansatz. Er hatte kurzes, dichtes dunkelbraunes Haar, ein schmales Gesicht, in dem der weiche, große Mund herausstach. Jetzt liegt ein Schatten über dem Gesicht; der Bart von einem Tag.

      „Ich denke nach“, sagt er. „Sie bauen vielleicht das Orchester ab.“

      „Oh“, sagt Sibylle.

      „Ich könnte unterrichten, an der Hochschule, zusätzlich. Zur Sicherheit, falls es mich trifft. Andererseits haben sie mir vorgeschlagen, die erste Klarinette zu übernehmen. Klingt widersprüchlich, ist aber so.“

      „Das freut mich, das Angebot.“

      „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich würde weniger Zeit haben.“

      „Hm.“

      „Wegen der Proben, der Verantwortung, den Stunden und all dem. Der jetzige erste Klarinettist zieht nach New York, deshalb. Matthias und ich verstehen uns blendend, blind könnte man sagen. Ich weiß nicht, ob ich seinen Platz einnehmen will. Es ist eine sonderbare Vorstellung.“

      Er rührt in der heiß werdenden Milch.

      „Wenn du Stunden geben müsstest, würde das auch Zeit kosten“, sagt Sibylle. „Wovor hast du also Angst?“

      „Ich weiß nicht. Vor dem Neid vielleicht, der vielen Arbeit, es ist jetzt schon viel. Es sind schwierigere Partien, in manchen Stücken jedenfalls, und als erste Klarinette bist du regelrecht ausgesetzt in den Solopartien. Du kannst dir keinen Fehler erlauben.“

      „Aber es sind sicher schöne Partien, die du dann spielen könntest. Das macht doch auch Spaß, oder?“

      Und sie reden miteinander, trinken Milch mit Honig, ein Kindergetränk, das sie oft zubereiten, nur nicht für sich selbst, ein wenig sonderbar, in der Nacht, und draußen heult nun doch der Wind. Sie stellen fest, dass sie beide oft den zweiten Platz eingenommen haben, im Orchester, bei der Prüfung, im Krankenhaus und früher im Sport.

      „Das fällt mir zum ersten Mal auf“, sagt Stefan, „jetzt, wo du es sagst, und jetzt, wo mir zum ersten Mal ein erster Platz angeboten wird.“

      „Meinst du, wir waren nicht gut genug, um die Ersten zu sein?“, fragt Sibylle. „Oder glaubst du, wir hatten eine Hemmung? Was denkst du, warum sind wir immer auf dem zweiten Platz gelandet?“

      „Vielleicht sind wir nicht ehrgeizig genug. Vielleicht würde uns der dritte Platz glücklicher machen“, sagt Stefan, „dann hätte man nicht das dumme Gefühl, knapp vorbei ist auch daneben.“

      Sibylle lacht. „Aber jetzt hast du doch Glück!“

      „Das ist so eine Sache mit dem Glück“, sagt Stefan und denkt an die langen Heizungsrohre in den unterirdischen Gängen der Oper, die nach altem Osten riechen, nach Linoleum und Kohleöfen, obwohl gar nicht mit Kohle geheizt wird.

      Und plötzlich denkt Sibylle, dass sie eine elende Hochstaplerin ist. Dass sie genauso lügt wie die Frauen nach der Geburt, wenn sie sagen, alles war prima, und erst nach genauem Fragen über Dammrisse reden, über ihr Gefühl zu versagen, wenn Wehenverstärker die Geburt beschleunigen mussten oder sie aus Angst vor dem Schmerz um eine Periduralanästhesie gebeten hatten, um es hinterher bitter zu bereuen. Warum nur denke ich das, denkt sie weiter, er denkt so etwas sicher nicht. Er übt jeden Tag, er macht etwas Richtiges. Ich hingegen … Sie streicht sich nervös über ihr kurzes Haar. Betrachtet seine muskulösen feinnervigen Hände.

      „Du hast recht, ich bin bestimmt nicht ehrgeizig genug“, sagt sie und fragt sich, ob das denn wirklich stimmt, genau in diesem Augenblick, sie hat es sich immer so zurechtgelegt, was sie da gerade nach außen hin behauptet. Sie selbst hatte bei ihren Geburten nach ihrer Mutter geschrien. Mama. Aah ist gut, hatte die Hebamme gesagt, ob Allah oder Mama ist egal, Hauptsache Aah, das macht das Becken weit. In der Klinik hatten viele Frauen nach Allah gerufen. Es war allerdings eher ein diskretes Stöhnen als ein Schreien gewesen. Was für schöne Kinder Sie haben, Signora, hatte heute ein Passant zu ihr gesagt.

      „Weißt du was“, platzt es plötzlich aus ihr heraus, „ich finde es grässlich, dass wir gestern die Prozession mit der Madonna verpasst haben. Ich fühle mich regelrecht unerlöst!“

      „Unerlöst?“ Stefan zieht die Augenbrauen hoch.

      „Lach ruhig.“

      „Ich lach gar nicht.“

      Sibylle lacht.

      „Stimmt“, sagt sie. „Du lachst gar nicht. Nach der Trauer müsste irgendwie die Freude kommen, die Versöhnung. Obwohl ich doch gar nicht mehr glaube, aber so habe ich das blöde Gefühl, auf der dunklen Seite der Geschichte stecken geblieben zu sein.“

      Stefan lächelt und nickt. „Ich verstehe, was du meinst.“

      „Außerdem habe ich mich wahnsinnig über meine Mutter aufgeregt. Ich habe sie gestern angerufen und ihr von der Prozession erzählt, ich dachte, sie würde sich freuen, früher lag ihr immer daran, dass wir in die Kirche gehen, dass wir die Kinder taufen und das alles, aber weit gefehlt! Weißt du, was sie gesagt hat?“

      „Na?“

      „Da seid ihr ja wohl mehr aus kulturellem Interesse hin! Ganz spöttisch!“

      „Naja“, sagt Stefan langsam, „ist ja vielleicht nicht ganz falsch.“

      Über schwierige Mütter spricht er nicht so gern, schon gar nicht mitten in der Nacht. „Mach dir nichts draus, vielleicht –“

      „Ich weiß auch nicht. Ich rege mich immer so auf über sie.“

      „Barmherzigkeit, Verzeihen, Frieden, lieber Jesus, gib uns …“

      Jetzt lachen sie beide. Genau, denken sie, wir brauchen alle ein bisschen Barmherzigkeit.

      „Weißt du, was Lucie gesagt hat? Lucie hat gesagt: Ostern ist eine Geschichte von Krankheit, Mitleid und Tod. Vollkommen ernst.“

      „Was für ein ulkiges Kind.“

      „Ja.“

      Und


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