Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer

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Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte - Tanja Langer


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ist bestimmt interessant.“

      „Vor allem, wenn du sie siehst. Das traust du denen gar nicht zu. Sie ist eine ganz biedere Frau, immer in geraden Röcken und Strickjacke, mit so einem komischen hellblauen Regenmantel mit Goldknöpfen. Sie hat einen kleinen Schreibwarenladen.“

      „Und er?“, fragte Eva.

      „Soll ich noch eine Flasche aufmachen?“ Ludwig war schon aufgestanden.

      „Er wirkt auch eher konventionell.“

      „Das tut offenbar nichts zur Sache.“

      Ludwig machte das Licht aus, nur die Kerzen auf dem Tisch und auf der Anrichte leuchteten. Alle hatten von der Sonne gereizte Gesichter.

      „Ich sehe sie in ihrem hellblauen Regenmantel zum Hermannplatz hinuntergehen“, begann Eva. „Sie geht die Straße hinab, vorbei an den Dönerläden, den Ramschläden, den Supermärkten. Sie hält den Mantel mit ihren Händen zu. Niemand würde vermuten, dass sie darunter nackt ist. Sie ist fünfzig Jahre alt, hat getöntes, gewelltes Kurzhaar, trägt sonst gerade Röcke und Strickjacken. Sie wirkt älter als diese intellektuellen Fünfzigjährigen, für die die Zeit stehen zu bleiben scheint. Viele Leute kommen in ihr Schreibwarengeschäft. Sie eilt die Straße entlang, als habe sie etwas einzukaufen, in der Mittagspause. Niemand achtet auf sie, der eine oder andere Kunde grüßt sie, mit den Augenbrauen, die in die Höhe gezogen werden, einem Nicken. Ihr Herz rast, auch nach einem Jahr, nach zwei Jahren. Sie kennt den Hintereingang, die Höfe, die sie durchqueren muss. Sie kann schließlich nicht jeden zweiten oder dritten Tag vorn zum Optiker hineinspazieren.“

      Eva trank einen Schluck, die anderen sahen sie gespannt an.

      „Sie sind beide verheiratet, seit Langem schon. Die Ehen sind nicht schlecht. So ist es. Sie kannten sich schon länger, als es anfing. Sie kam, weil sie eine Brille brauchte. Er sah ihr in die hellen Augen. Die Augen, ein wenig müde zunächst, wurden lebendig. Ein bisschen schüchtern am Anfang. Sie musste ihn ansehen, bei jeder Brille, die er ihr aufsetzte. Sie spürte seine trockenen Hände, er spürte ihr weiches Haar. Sie roch sein Aftershave, er ihren Geruch, das viele Papier, Sandelholz und etwas wie süße Marmelade. Sein Haar war ungepflegt im Nacken; er ließ es schneiden. Er besorgte Briefpapier bei ihr; sie holte die neue Brille. Sie kam wieder, nach zwei Tagen, bat ihn, den Bügel fester zu stellen. Er kaufte ein Stempelkissen und Büroklammern; sie benötigte ein Tuch zum Polieren der Brille. Er kaufte Filzstifte zum Auszeichnen der Ware; und ihr fiel nichts mehr ein. Sie legte die Brille mehrmals so zur Seite, dass sie hätte herunterfallen können. Ein Kunde hätte etwas darauf ablegen und sie zerbrechen können; nichts geschah. Eines Tages rannte sie ihn fast um, als sie mittags vom Bäcker kam. Er sah sie an, sie ihn, und sie gingen über Hinterhöfe in seinen über Mittag geschlossenen Laden. Hinten hatte er einen Ruheraum, mit einem alten, mit Cord bezogenen Sofa. Sie küssten sich. Sehr lang. Sie musste gehen, es war kurz vor halb drei. Sie fand den Weg am nächsten Tag allein. Und so ging es weiter. Er kannte jede Hautfalte von ihr, und sie wusste jede von ihm.“

      Alle schwiegen in den Raum hinein. Eva, dachten sie, oder auch nicht, was rührst du nur an diese Sachen.

      Denn die Paare reden über Gott und die Welt, doch über ihre Sehnsucht reden sie nicht. Das traut sich keiner zu sagen, was ihm fehlt, oder ihr, nach zehn Jahren zusammen oder fünfzehn, ist doch ’ne Menge, was uns verbindet, ist nicht schön, all die Trennungen, von denen man so hört, da sind wir anders, und das finden wir gut. Gibt doch auch Freundschaft und ’ne gewisse Zärtlichkeit und manchmal auch mehr, wir haben zweimal die Woche Sex, nur was für einen, und wir zweimal in drei Monaten, man sagt, das sind in jeder Ehe solche Phasen, leichte Beruhigung, leichte Flaute, o.k., das gibt sich wieder, dafür sind die Ferien ja auch da, was dagegen zu unternehmen. Und so gucken die beiden Paare, wie das bei den andern wohl so ist, und lauschen, ohne es zu wollen, was da passiert in der Nacht, und würden gern mal fragen, wie es so läuft, naja, im Bett, und überhaupt. Und sie trösten sich mit Blicken, das ist halt das Leben, was willst du mehr?

      Sie machen Ausflüge und gehen auf den Markt, wo es frischen Fisch gibt, von den Fischern, Eimer voll, Sardinen, Wolfsbarsch, Makrelen, silbern schimmernd mit glasigen Augen, und russischen Salat und Salami und Käse, alles auf Sizilien gewachsen, geerntet und gerollt. Sie gehen ins schwefelhaltige Schwimmbad, und die Eheringe von allen werden blass vom bösen stinkenden Schwefel und bekommen erst später ihre Farbe zurück im stürmischen Wind am Meer, da sammeln sie Steine am Strand von Capo Bianco. Und überall wartet das Osterfest, überall Palmwedel und die Fenster geputzt und Schaufenster geschmückt, und – Mama guck doch mal so ein großes Ei! Fast so groß wie ich, schreit David – in glänzendes buntes Papier gewickelt, weil doch das Küken aus dem Ei schlüpft wie der Herr Jesus einst aus dem Grab, und nun so ein Riesenei, als hätten die Sizilianer Sorge, dass es dem Herrn Jesus in einem kleinen zu eng werden könnte, er soll es doch recht bequem haben, in diesem riesengroßen Ei, mit Schokolade und Pralinen drin, aber leider, leider, nein, so eins kaufen wir lieber nicht.

      Und Eva, die sich auskennt mit so was, wie sollte es auch anders sein, mit den vielen Großmüttern und Großvätern, Eva sagt, in Böhmen, da wirft man die Karfreitagseier übers Haus, dann ist es geschützt vor Donner, Sturm und Blitz, und die Eier vom Gründonnerstag, die faulen nicht, die helfen beim Zahnen und bringen Glück, und die Kinderchen, denen man sie schenkt, die lernen plappern wie die Hühner gackern, und alle gackern, weil sie spinnt, die Eva, und sie jonglieren mit den Eiern von den Hühnern der Signora und köpfen sie und bewundern den köstlichen tiefgelben Dotter. Und abends dürfen die Kinder die Hühner in den Stall treiben, und die Großen fragen sich lachend, wann er es wohl macht, der Hahn, mit den Hühnern. Zum Eierlegen begleitet er die Damen einzeln, aufgeregt und stolz, in den Pappkarton und einen alten Autoreifen.

      Da ist es! Am Morgen ist David hinunter, im Schlafanzug und ohne Socken in den Schuhen, obwohl es kalt ist und die Mama schimpft, wenn sie ihn so sieht, aber er will als Erster runter, und nun hockt er da im Stroh, das klebt, von braunen Sachen, die die Hühner machen, und da ist es, groß und von schönster Farbe, nicht so weiß oder braun wie zu Hause in den Pappschachteln, nein, zart und schimmernd liegt es da, mit einem Federchen dran und bisschen was Braunem und einem Hälmchen Stroh. Und David mit seinen dunklen Locken überm roten Gesicht und den wachen grünen Augen wagt es kaum, das Händchen auszustrecken, es könnt ja vielleicht doch ein Küken drinne sein, da kamen sie ja her, die Küken, aus der zerbrechenden Schale des Eis. Manchmal auch Dinosaurier und Schlangen, das wusste er, er war ja schon fünfeinhalb! Dieses Ei roch ein bisschen komisch, es kam aus dem Bauch der Henne ob es wohl aus dem Loch kam aus dem die Kacke kam oder einem anderen er war sich nicht so sicher ein bisschen eklig war das schon aber er kam auch aus Mamas Bauch und fand das nicht so eklig fand seine Mama schön und warm. Dieses Ei jedenfalls würden sie nicht zu essen kriegen! Und David nimmt das Ei mit allergrößter Vorsicht und trägt es klammheimlich und beflissen zu seinem Bett, zu seinem Kissen, und legt es darunter. Dort will er es brüten.

      · 4 ·

      Am Karfreitag fegten die Wolken über den Himmel und der Wind pfiff, als brächte er Schnee. Sie fuhren nach Caltabelotta auf den Berg hinauf, Kaltebulette brüllten die Kinder und schon wieder Autofahren, können wir nicht hier unten bleiben, aber als sie die knusprigen Croissants in die dicke süße Schokolade im Café Europeo tunkten, waren auch sie zufrieden. Vier Löffel, und sie waren satt. Die Männer aus dem Ort, den Festtagsvorbereitungen entflohen, tranken an der Theke Espresso und verwunderten sich, was nur los war mit diesem Wetter, in diesem vermaledeiten Jahr. Draußen stand ihnen der Atem vor dem Mund, und sie wickelten sich ihre neuen Schals um die Ohren wie die alten schwarzgekleideten Frauen im Dorf. Palmwedel steckten den Kreuzzug ab, die steinigen Wege hinauf zur Kirche, von der herab man weit über die Landschaft und das Meer sah. Ich wär so gern nach Caltanisetta, seufzte Sibylle, ich auch, rief Eva, zur Prozession mit Blasmusik und großen Figuren aus Pappmaché. Aber es ist zu weit, sagte Ludwig, und die Kinder würden schlappmachen, fügte Stefan hinzu, und so kehrten sie nach ihrem Frühstück nach Sciacca zurück.

      In Sciacca raste der Windgott wütend durch die Straßen, jagte zornig und eifersüchtig auf den jungen schönen Gottessohn seine Wolken über den finster grauen Himmel, fauchend und brüllend. Die alten Frauen trugen Wollmäntel und die jungen Jeansmäntel mit künstlichem


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