Herbarium, giftgrün. Gert Ueding

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Herbarium, giftgrün - Gert Ueding


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      »Dann viel Glück!«

      Die beiden Journalisten trennten sich und steuerten das Verlagsgebäude nach verschiedenen Richtungen an.

      Ihren Arbeitsplatz erreichte Sigrid Stern nach einigen Begrüßungen in Flur und Fahrstuhl. Sie fuhr den PC hoch, doch bevor sie ihre Beute sichern konnte, entdeckte sie die kleine Nachricht.

      »Der Schönheit Fürstenmajestät / wenn Deine hochaufragenden Beine / über mir / den Geist betäuben und die Sinne rasend machen.«

      Sie lächelte. Hans Seliger war ein verhinderter Poet, seine Preisungen ihres Körpers füllten zuhause eine ganze Schachtel, denn sie kamen zwar per Mail, doch schrieb sie sie gleich ab und löschte sie sofort. »Sozusagen aus Sicherheitsgründen«, hatte sie ihm nach seiner ersten Botschaft gesagt, die noch viel indiskreter war als die heutige, eine Reminiszenz an ihre erste Nacht. »Redaktionen leben schließlich davon, Geheimnisse zu lüften, gerade die verschlüsselten.«

      Er war ihr erster Informant in der Sache, die sie gerade verfolgte, gewesen. Er hatte in der Mensa Bruchstücke eines merkwürdigen Gesprächs mitbekommen. Zwei wissenschaftliche Mitarbeiter eines benachbarten Instituts, die er vom Sehen kannte, hatten sich beschwert, dass sie trotz ungewöhnlicher Überstunden »vom Gewinn nichts sähen«, obwohl es in ihrer Hand läge, »das Ganze hochgehen zu lassen«. Seliger hatte ihr vor Monaten davon erzählt. Später war ein Kollege auf ihn zugekommen und hatte von undurchsichtigen Geschäften in einem benachbarten Institut berichtet und da hatte sie Lunte gerochen.

      Sie lächelte in sich hinein. Ein wirklich gutes Team, sie beide, im Bett und auf der Jagd!

      Auf den gemeinsamen Abend freute sie sich schon jetzt.

      Am Morgen wachte Kersting von einem eintönig sich wiederholenden Klopfen auf, das er zunächst noch in seinen Traum hatte einbauen können (natürlich war es da Jana, die an seine Schlafzimmertür klopfte und verführerisch strahlend eintrat); dann aber verscheuchte die beharrliche Fortdauer des Geräuschs die anregenden Traumbilder.

      Wer wollte so früh etwas von ihm: halb acht zeigte die Uhr auf dem Büchertischchen neben dem Bett? Und warum benutzte der unbekannte Besucher nicht die Haustürklingel? Wobei ihm im selben Augenblick einfiel, dass der kleine weiße Knopf, den man schließlich drücken musste, vor ein paar Tagen herausgefallen war und er nicht mehr ans Reparieren gedacht hatte.

      Er setzte sich schnell auf, sprang, noch mit seinem Traumbild im Kopf, aus dem Bett und lief die Treppe hinunter. Eben wollte er die Haustür öffnen, da kam ihm noch rechtzeitig der Gedanke, dass die Ereignisse der letzten Tage zur Vorsicht rieten.

      »Ja, bitte, wer ist da?«

      Eine Frauenstimme: »Ich … also Sophie Jansen, wir haben uns …«

      Kersting ließ sie gar nicht aussprechen und öffnete. Vor ihm stand mit etwas verlegenem Gesichtsausdruck die Linguistin, die ihm von Verena Roeders Interesse an sprachmystischen Spekulationen erzählt hatte.

      »Oh, ich sehe … entschuldigen Sie, es ist noch sehr früh, aber seit wir über Verena gesprochen haben, komme ich innerlich nicht zur Ruhe. Ich habe die ganze Nacht über die letzte Begegnung mit ihr nachgedacht …«

      »Kommen Sie nur ruhig herein, wenn Sie mein Aufzug nicht stört. Ich mache uns schnell einen Kaffee.«

      Kersting führte seine Besucherin in die Wohnküche und verschwand, um Jeans und Pullover überzustreifen.

      Während er am Herd hantierte, entschuldigte sich Sophie Jansen nochmals für die frühe Störung. Er beruhigte sie mit ein paar Worten.

      Als sie einander gegenübersaßen, die großen Henkeltassen vor sich, ein paar Kekse hatte er auch noch gefunden, sah er sie fragend an.

      »Dass Verena in meinem Seminar war, wissen Sie. Ich mochte sie, sie war eine Stütze in den meisten Diskussionen, immer gutvorbereitet, belesen weit über die Pflichtlektüre hinaus. Wenn wir uns außerhalb des Seminars trafen, also … natürlich in meiner Sprechstunde, haben wir manchmal weiter diskutiert, so engagiert war sie. Wenn sie auf irgendein neues Problem gestoßen war, wollte sie meine Meinung darüber wissen.«

      Während Sophie Jansen erzählte, rutschte ihr Blick immer wieder nach oben an die Decke, was Kersting schon bei ihrer früheren Begegnung irritiert hatte, weil er ihm unwillkürlich folgte: als sei dort tatsächlich etwas zu sehen.

      »Ich habe auch von allen gehört, dass sie eine außergewöhnlich fleißige, wissenschaftlich interessierte Studentin war«, warf er ein. »Das hat aber kaum etwas mit ihrem Tod zu tun?«

      »Nein. Sicher nicht und auch nicht damit, dass ich Sie so früh am Morgen störe«, ergänzte sie mit etwas künstlichem Lächeln. »Was mir keine Ruhe lässt, war einer ihrer Besuche vor fast einem Jahr in meiner Sprechstunde. Sie war gerade aus der Provence zurück, wo ihre Freundin tödlich verunglückt war. Ich war eine der ersten, die sie hier aufsuchte, um davon ausführlich zu erzählen, noch vor ihren Eltern in Bremen.«

      »Was hat sie beunruhigt?«

      »Sie machte einen ganz widersprüchlichen Eindruck, versprach sich oft. Fast so als fühle sie sich, wie soll ich sagen, verantwortlich für den Unfall.«

      »Verwunderlich ist das nicht.«

      »Ja sicher. Aber der Bericht war so seltsam, oder vielmehr die Art, wie sie redete. Ihre Freundin, das wissen Sie, war von einer hohen Mauer abgestürzt, als sie ein Photo von ihr machen wollte, jede Hilfe kam zu spät. Beunruhigt haben mich bei ihrer Erzählung vor allem zwei Dinge: die detaillierte Genauigkeit, mit der sie den Hergang schilderte …«

      »Nun, das war wohl Folge der Verhöre durch die französische Polizei, da wurde sie sicher wieder und wieder nach dem genauen Hergang gefragt.«

      »Sollte man da nicht meinen, sie meidet es, sich nun Schritt für Schritt hier wieder das ganze Geschehen vor Augen zu führen? Mir kam es vor, als wollte sie sich rechtfertigen. Vielleicht, dass sie nicht rechtzeitig die Gefahr sah, dass die Idee für diesen Standort auf der alten Stadtmauer von ihr kam – sie behauptete zwar das Gegenteil – ich weiß es nicht.«

      »Nun, diffuses Schuldbewusstsein ist in solchem Fall nicht ungewöhnlich.«

      »Sie fühlte sich aber gar nicht schuldig. Das war das zweite, was mich befremdete. Sie berichtete ganz sachlich, unbeteiligt, wie man ein Ereignis schildert, das interessant ist, aber nicht persönlich berührt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

      »Könnten verdrängte Motive dafür verantwortlich sein? Wie war das Verhältnis der beiden Frauen?«

      »Sie waren weitläufig verwandt, glaube ich.«

      »Mochten sie sich?«

      »Sonst wären sie wohl kaum miteinander in den Urlaub gefahren.«

      »Sie sprachen von zwei befremdlichen Eindrücken.«

      »Ja, da war noch etwas … Kaum fertig mit ihrem Unfallbericht, kam sie auf ihre sprachlichen Beobachtungen, auf die Unterschiede des Okzitanischen (das sind die in der Provence gesprochenen Sprachen), in Marseille und Nizza. Wo sie mit alteingesessenen Leuten hatte sprechen können. Da änderte sich der Ton ihrer Stimme, da war sie plötzlich ganz dabei.«

      »Scheint mir auch psychologisch plausibel.«

      »Mag ja sein. Aber alles zusammen genommen … Nicht bloß besorgt, fast verstört wirkte sie, als sie von einem fünfjährigen Jungen berichtete, der das Unglück mitangesehen haben müsste (er habe an einem Fenster gestanden), aber sich an nichts erinnern wollte. Komisch fand ich auch, dass sie es geradezu auffällig vermied, von dem Ehemann zu sprechen, geschweige mit ihm. Als ich sie darauf ansprach, wich sie aus, sie habe ihn brieflich gebeten, ihr eine Frist einzuräumen, sie könne ihm jetzt nicht gegenübertreten.«

      »Liebe Frau Jansen, das ist doch verständlich, beides verständlich!«

      »Schon. Der eigentliche Stein des Anstoßes kam zum Schluss. Um ihr Mut zu machen, doch mit dem Ehemann zu sprechen, sagte ich darauf so etwas wie: Decker, obwohl ausgefuchster Jurist, sei in


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