Herbarium, giftgrün. Gert Ueding

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Herbarium, giftgrün - Gert Ueding


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Himmel, über den einige weißgelockte Wolken strichen. ›Und der Himmel, so weit, so weit.‹ Doch ihm fehlte die Ruhe, die tote Verena ließ ihn nicht los. Er kannte den Kulturredakteur des ›Schwäbischen Tagblatts‹, der über seine Ausstellungen geschrieben und mit ihm vor einigen Wochen ein ›Interview im Atelier‹ gemacht hatte. Er musste einen plausiblen Grund finden, um an den Namen der Freundin, vielleicht sogar an ihre Adresse zu kommen; die neuen Datenschutzregeln erschwerten solche Recherche.

      Er habe (könnte er sagen) von ihr einige Skizzen gemacht, einmal habe sie ihm sogar einen ganzen Nachmittag gesessen, die Porträtzeichnung, die daraus entstand, solle nun in eine Ausstellung in … (besser nicht zu nah), in … Bonn gehen, er brauche ihr Einverständnis, habe aber die Adresse verlegt … Ja, so müsste es gehen.

      Er hatte Glück und erreichte Uwe Sprenger in der Redaktion.

      »Aber wie kommen Sie denn auf die Idee, dass ich Ihnen da helfen könnte?«

      »An jenem langen Nachmittag, als ich eine ganze Reihe von Skizzen von ihr machte, haben wir auch über den Tod ihrer Freundin Verena gesprochen; sie erwähnte, dass sie vom ›Tagblatt‹ interviewt worden war.«

      »Ich erinnere mich. Wir haben in der Konferenz damals darüber debattiert, ob wir das Gespräch wirklich machen sollten. Ich war dafür nicht zuständig, der Kollege Kurz ist unser Uni-Mann. Ich frage ihn und rufe zurück.«

      Ausgerechnet! Hermann Kurz kannte er flüchtig, er war ihm einige Male begegnet. Ein kleingewachsener Giftzwerg und unangenehmer Zeitgenosse, der seinen Ehrgeiz dareinsetzte, andere »zu packen«, wie er sich ausdrückte. Was nichts anderes hieß, als sie durch Fangfragen, scheinbare Freundlichkeit und geheucheltes Verständnis reinzulegen. Dass er mit der gewünschten Information herausrückte, bezweifelte Kersting. Zumal, wenn er vom Fragesteller erfuhr: die Antipathie war gegenseitig.

      Das Telefon schepperte (es stand noch auf der leeren Obstschale, wohin er es gedankenlos abgelegt hatte). »Der Kollege ist unterwegs, aber unsere Sekretärin hat schnell in die Mails gesehen. Jana Olivier wohnt hier, in der Nauklerstraße, irgendeine Nummer offenbar in den 40ern, jedenfalls stand hinter der 4 ein Fragezeichen.«

      Kersting bedankte sich. Auf Sprengers Frage nach der Ausstellung spielte er ihre Bedeutung herunter: eine kleine Galerie in Bonn, die Auswahl an Zeichnungen und Graphiken werde auch nicht sehr umfangreich ausfallen. Eröffnung sei erst Ende nächsten Jahres geplant.

      Er sah auf die Uhr, es war noch früh am Tage. Vor zehn konnte er wohl kaum versuchen, diese Jana zu treffen – soviel wusste er noch von studentischer Zeiteinteilung. Noch dazu mitten in den Semesterferien. Aber im Haus hielt ihn auch nichts. Also vorher noch in einen Baumarkt, die Scheinwerfer kaufen. Eine gute Taschenlampe mit dreißig Zentimeter langem Schaft fand er auch. Mit den vier Batterien geladen, war das eine veritable Keule. Nach einigem Zögern legte er noch einen schweren Schraubenschlüssel in den Einkaufswagen.

      Es dauerte dann noch einige Zeit, bis er das richtige Haus in der Nauklerstraße gegenüber einer Reinigung gefunden hatte. Er blickte die Fassade hoch, vier Stockwerke, darüber noch einige Mansarden. Wie es nach der Klingel-Reihenfolge aussah, wohnte Jana Olivier wohl in einer von ihnen. Die Haustür hatte einen Schnappverschluss, der nicht gesperrt war, so dass er die Tür nur aufzudrücken brauchte. Ein ziemlicher Aufstieg, denn tatsächlich entdeckte er das gesuchte Türschild mit ihrem Namen erst an einer Tür ganz oben. Eine Klingel fehlte, er klopfte.

      Erst jetzt fiel ihm ein, dass er sich gar keinen Vorwand für seinen Besuch überlegt hatte, da war es auch schon zu spät. Die Tür öffnete sich, jedenfalls so weit, wie es die Sicherheitskette erlaubte. Der Halbdämmer des Flures reichte aus, um das Gesicht wiederzuerkennen, das er sich nach dem Zeitungsphoto eingeprägt hatte. Und doch war die Überraschung groß.

      Das grob gerasterte Schwarz/Weiß des Photos auf der Zeitungsseite hatte zwar die Konturen, doch nichts von dem Leben wiedergegeben, das ihn da frisch und ausdrucksvoll, zugleich mit fragender Miene entgegenblickte. Der Maler, der in Kersting sofort erwachte, wusste nicht, was ihn auf Anhieb mehr ergriff, das kräftige, doch lichtvolle Blond der schulterlangen gelockten Haare, der intensive Blick aus blaugrauen Augen oder der sanfte, doch kräftige Schwung der Lippen.

      »Wie mit Liebe gearbeitet …«, entfuhr es ihm.

      »Waas meinen Sie?«

      Gedehnt vor Erstaunen, wuchs die Frage auf doppelte Länge. Kersting, der sie immer noch unverwandt bewundernd ansah, begriff die Komik der Situation, sagte lachend:

      »Natürlich Sie, ich meine Sie.« Wodurch sich ihre Verwirrung nicht minderte, so dass er die Gelegenheit beim Schopf ergriff.

      »Ich möchte Sie malen!« Einen Augenblick fürchtete er, sie hielte ihn für verrückt und schlüge die Tür zu.

      »So, Sie möchten mich malen. Das werden Sie nicht hier draußen tun wollen!«

      Sprach’s, schob den Riegel zurück und öffnete die Tür ganz. Was nun wieder Kersting verblüffte. Jana Olivier, sie war es, ganz ohne Zweifel, und sie war es nicht, so leer erschien dagegen das graue Zeitungsphoto in seiner Erinnerung. Sie geht unbefangen vor ihm her, in Jeans und weißem T-Shirt, was beides ihre schmale Taille, den Hüftschwung und die langen kräftigen Oberschenkel aufregend in Szene setzt. Geradewegs führt sie ihn in ein großes Zimmer, das durch einen breiten hohen Schrank offenbar zweigeteilt ist. Die Rückseite zieren drei große Poster: das Plakat einer Cezanne-Ausstellung aus der Tübinger Kunsthalle mit einer Wiedergabe der »Großen Badenden«, ein Ausstellungsplakat von Horst Janssen mit einem Stilleben aus verfallenden Blumen. Das dritte, eine surrealistische Landschaft, deren Hügel, Wälder und Buschwerk sich zu menschlichen Gliedern auswachsen und das er auf Anhieb niemandem zuordnen kann. Eine Wand voller Bücher, zwischen den beiden Fenstern ein Schreibtisch vollgepackt mit Computer, Papierstapeln und Büchern. In jeder Ecke die typisch studentischen Accessoires: ein noch halbvoller Rucksack, aus dem eine leere Wasserflasche ragt, eine Laptop-Tasche, Postkarten mit Waechter-Cartoons, Photos.

      »Glauben Sie nicht, dass ich Sie hereingelassen hätte, wenn ich nicht wüsste, wer Sie sind«, sagt sie und zeigt mit einer einladenden Armbewegung auf einen der drei mit Stoff bespannten Sessel, die aussehen wie Liegestühle für einen Garten. Als sie beide sitzen, fällt Kersting immer noch keine Erklärung für seinen Überfall ein. Das helle Licht des vorgeschrittenen Vormittags fällt auf die junge Frau. Er hätte einen Stift, er hätte Farben gebraucht, um auszudrücken, was er sieht und empfindet. Er ist sprachlos. Sie zum Glück nicht.

      »Sie sind Max Kersting, haben der Universität eines Ihrer Bilder zum Freundschaftspreis überlassen, die ›Gelehrtenrepublik‹, die Sie aus lauter Ansichten der Alten Aula gebaut haben. Bei der Übergabe habe ich dann auch Sie gesehen … Warten Sie …«

      Seine Gastgeberin durchforstet einen Stapel Papiere auf einem niedrigen Tisch neben sich, der zwei Holzkisten vereint. Sie zieht ein Photo hervor, zeigt ihm die Ablichtung seines Bildes.

      »Ich habe mir einen Abzug machen lassen, für die Studentenzeitung, die digitalen »OnlineNotizen«, auch etwas dazu geschrieben. Es gefällt mir gut, Ihr Bild.« Und indem sie das Photo wieder auf den Tisch legt: »Immer noch!«

      Kersting will es noch nicht gelingen, auf die Höhe des Augenblicks zu kommen. Also redet er drauflos.

      »Was für einen unerwarteten Namen Sie haben, bei der erstaunlichen Farbe Ihres Haares, ob ich das jemals hinbekomme?«

      »Sie wollen also wirklich …?«

      »Ja, ja, schon lange.« Er sagt es, erschrickt und begreift im selben Moment, dass ihn seine Lüge aus der Morgenstunde jetzt eingeholt hat. Was er Sprenger am Telefon vorgeflunkert, ist in seinem Kopf Realität geworden, der Vorwand zur ausgemachten Sache. Janas bass erstaunter Gesichtsausdruck, das komische Geflecht der Geschichte, die in diesem Augenblick ihre Fortsetzung findet, machen ihn lachen.

      »Ich muss Ihnen die ganze Geschichte erzählen.«

      Das tat er denn auch, vom Festmahl im Museum angefangen. Nicht immer der Chronologie getreu, zunächst stockend, dann immer flüssiger.

      »Und jetzt bin ich hier. Und ich will


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