Intuitiv gesund. Werde dein eigener innerer Arzt!. Dr. med. Christina Barbara Petersen

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Intuitiv gesund. Werde dein eigener innerer Arzt! - Dr. med. Christina Barbara Petersen


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Ärzte – Healthy Docs. Gleichzeitig habe ich festgestellt, dass es nicht nur Ärzte betrifft. In allen sozialen Branchen arbeiten Menschen bis zum Ausgebranntsein. Im Folgenden möchte ich näher darauf eingehen, warum das so ist.

      In keinem anderen Bereich verkaufen sich so viele Menschen unter Wert wie im sozialen. Lange Zeit habe ich mich gefragt, warum Mediziner (oder auch Mitarbeiter in anderen sozialen Berufen wie z. B. Pfleger, Sozialarbeiter usw.) das mit sich machen lassen.

      Klar, Gesundheit ist das höchste Gut, und man kann die Arbeit am Menschen nicht mit Büroarbeit vergleichen, vor allem deshalb ist ein Verweigern oder Nicht-Antreten des Dienstes aus moralischer Sicht nur schwer zu rechtfertigen. Trotzdem ist mir aufgefallen, dass ein Großteil des medizinischen Personals seine eigenen Bedürfnisse weder erfüllt noch wahrnimmt. So bin ich auf das Thema Arztgesundheit gestoßen, und mir ist klar geworden, dass viele Mitarbeiter im medizinischen System eine besondere Persönlichkeit haben. Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, dass ich von einer in Stein gemeißelten Tatsache spreche. Vielmehr geht es mir um meine eigenen Erfahrungen und Eindrücke, die ich im Laufe meiner mittlerweile 35 Jahre im Kontakt mit anderen Menschen gesammelt habe.

      Der Begriff »Helfersyndrom« geht auf den Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer zurück, der bereits 1977 in seinem Buch »Hilflose Helfer« davon berichtete. Ein vom Helfersyndrom Betroffener ist mit seiner Aufmerksamkeit nicht bei sich selbst, sondern bei den Befindlichkeiten seiner Mitmenschen. Wenn er einem Kranken hilft, geht es ihm besser. Das Helfen bzw. Gebraucht-werden-Wollen wird zur Sucht. Laut dem Modell von Schmidbauer hat ein vom Helfersyndrom Betroffener ein geringes Selbstwertgefühl und ist auf seine Helferrolle fixiert. Die Hilfsbereitschaft geht bis zur Aufopferung und Vernachlässigung der eigenen Gesundheit, Hobbys, Familie und Freunde. Dadurch kann es zum Burn-out oder zur Depression kommen. Zu den Risikogruppen zählen die genannten Personen, die dann gehäuft zur entsprechenden Berufswahl greifen. Den Persönlichkeitsstrukturen liegen häufig biografische Erfahrungen zugrunde, die den Eigenwert des Betroffenen infrage stellen.

      Menschen mit einer Helfermentalität wählen aus folgendem Grund häufig unterbewusst einen Helferberuf: Wenn sie immer nur bei den Bedürfnissen der anderen sind, müssen sie ihre eigenen »Themen« nicht sehen, es erlaubt ein »Ausblenden« der eigenen »Baustellen«.

      Das Bedürfnis zu helfen ist grundsätzlich etwas Positives und ein natürlicher und gesunder menschlicher Wert. Das gilt auch dann, wenn zeitweilig eigene Interessen hintangestellt werden. Es gilt, eine gesunde Balance zwischen Geben und Nehmen zu entwickeln und beim Helfen auch die eigenen Wünsche, körperlichen Bedürfnisse und Grenzen sowie auch den Nutzen und die Bedürfnisse desjenigen, dem man Hilfe zukommen lässt, zu beachten. Verliert der Helfende das Bedürfnis des anderen wie auch seine eigenen Wünsche, Ziele und körperlichen Grenzen aus dem Blick und hilft vor allem deshalb, um die eigene Person aufzuwerten, wird sein Helfen pathologisch.

      Während solidarische Hilfe sich am Nutzen des Hilfeempfängers orientiert, ist pathologische Hilfe auf unbewusste psychologische Bedürfnisse des Helfers ausgerichtet.2 Meist wird das Muster, sich von der Anerkennung durch andere abhängig zu machen, bereits in der Kindheit erlernt. Betroffene halten sich nur dann für liebenswert und wertvoll, wenn sie sich opfern und dafür Bestätigung durch andere bekommen und so eine Aufwertung ihres Selbst erfahren (Märtyrerrolle). Dabei verlernen sie, ihre eigenen Wünsche, Bedürfnisse und körperlichen Grenzen zu sehen wie auch selbst Hilfe anzunehmen.3 Ein wirksamer Helfer, im Sinne eines reifen und partnerschaftlichen Verhaltens, wird dem Opfer »nur« zur Selbsthilfe verhelfen. Falls notwendig, wird er das Opfer auch aus der Schusslinie nehmen, aber ihm immer nur so weit Hilfe geben, bis die Person sich wieder selbst helfen kann.

      Das Thema Arztgesundheit rückte erst im Jahre 2017 durch eine Fortbildung der Ärztekammer zu diesem Thema, die von Herrn Professor Dr. med. Braun und Herrn PD Dr. Langs gehalten wurde, in meinen Fokus. Den Begriff der Arztgesundheit gibt es noch gar nicht so lange, und im Internet ist nicht viel dazu zu finden. Daraus leite ich ab, dass die Begrifflichkeit erst in das Bewusstsein der Menschen rücken muss. Das kann etwas Zeit in Anspruch nehmen. Meines Erachtens ist das Thema sehr wichtig. Denn die Ärzte befinden sich nach wie vor in einer Schlüsselposition und erfüllen eine Vorbildfunktion. Deshalb stellen sie bildlich gesehen die Wurzel dar. Wenn die Wurzel einer Pflanze nicht gesund ist, kann die ganze Pflanze nicht gesund sein. Deshalb ist es so unglaublich wichtig, an der Wurzel anzusetzen und den Ärzten wieder zu mehr Gesundheit zu verhelfen, damit wir alle davon profitieren.

      Ich habe bei einigen Ärzten (und auch anderem medizinischem Fachpersonal) besondere Persönlichkeitsmerkmale festgestellt, die gehäuft auftreten:

      image Hoher Selbstanspruch

      image Perfektionismus

      image Hohe Leidensbereitschaft

      image Mangelnde Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge

      image Ausgeprägte Empathie und fehlende Abgrenzung

      image Großes Verantwortungsgefühl

      image Neigung zu schlechtem Gewissen und Schuldgefühle

      Die Kombination dieser Eigenschaften in Verbindung mit den immer höher werdenden Anforderungen der Arbeit führt dazu, dass Ärzte anfällig dafür sind, sich selbst nicht wahrzunehmen und sich für andere aufzuopfern. So sind sie wenig bei sich und ihren eigenen Bedürfnissen, dafür mehr im Außen und bei den Bedürfnissen der anderen. So verlieren sie das Gefühl zum eigenen Körper, d. h. sie akzeptieren die eigenen Bedürfnisse nicht, sondern kämpfen dagegen an. Sie haben nicht gelernt, die körpereigenen Signale wahrzunehmen, und sind viel zu sehr im Kopf. Das führt dementsprechend schneller zur Selbstaufgabe, einer Verausgabung der eigenen Kräfte und damit zum Burn-out.

      Dieser Prozess wird durch die aktuelle Situation des Fachkräftemangels noch verstärkt.

      Schwierigkeiten, vor denen wir Mediziner stehen, sind die alten Glaubenssätze, die als ungeschriebene Gesetze in den Kliniken von Generation zu Generation weitergegeben wurden: Der Mythos vom unverwundbaren Helfer ist so tief verankert, dass wir ungern Schwäche zeigen. Gerade die eigene Verwundbarkeit ist ein schambehaftetes Thema. Dazu kommt, dass in Zeiten des Fachkräftemangels nur ungern Kollegen »im Stich« gelassen werden. Daher gehen wir Ärzte lieber krank zur Arbeit, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Genau diese Verhaltensweise wurde uns bereits im Studium eingeimpft, denn wer Fehlzeiten durch Krankheiten hatte, musste das Semester wiederholen.

      Wir wurden also so »erzogen«, in dem System wie »fleißige Ameisen« zu funktionieren. Es gab weder Kurse noch Vorgesetzte, die uns lehrten, auf uns selbst und unsere eigene Gesundheit zu achten. Im Gegenteil: Wir wurden konsequent geschult, die Bedürfnisse und Probleme der Patienten wahrzunehmen, um dann eine Hilfestellung anzubieten. Dieser einseitige Fokus führte dann weitergehend dazu, dass wir unsere eigenen Bedürfnisse vernachlässigten. Meines Erachtens fehlt im Studium die Basis: die Selbstfürsorge. Nur derjenige, der seine eigenen Bedürfnisse kennt, sie beachtet und sich versorgen kann, kann dann im nächsten Schritt anderen helfen.

      Eine Herausforderung, vor der wir Mediziner stehen, ist die moralische Verpflichtung. Einem Hilfsbedürftigen steht aus moralischer Sicht Hilfe zu – das geht sozusagen vor. Da melden sich sonst ganz schnell das schlechte Gewissen und die Schuldgefühle. Und auch die eigene Verwundbarkeit spielt wieder eine Rolle: Ich möchte ja schließlich


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