Tatort Oberbayern. Jürgen Ahrens

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Tatort Oberbayern - Jürgen Ahrens


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am nächsten Tag besuchen würde. Achim Wedel hatte ihr heute die Gästeliste gemailt. Erneut hatte Katharina festgestellt, dass beautiful Robert vor nichts zurückschreckte. Seinen Vater in die Sendung zu schleppen eine Woche nach dem Selbstmord seines Sohnes, das toppte ziemlich alle Geschmacklosigkeiten, die sich »Krise« seit ihrem Bestehen geleistet hatte. Oliver nickte zustimmend und nippte nachdenklich an seinem Rotwein: »Gibt es eigentlich von Adelhofer genaue Schilderungen, wie er diesen Winter in den Bergen überlebt hat? Wo er war, was er gegessen hat, wo er geschlafen hat, wie ihm der Finger abhandengekommen ist?«

      »Klar, das hat er erzählt, unendlich oft sogar. Feuermachen kann er natürlich als echter Bub aus den Bergen, er hat Tiere getötet und gegessen, mit dem Fell Umhänge hergestellt und Überzieher für die Füße. Wo er genau überwintert hat, sagt er nicht, nur dass es in der Watzmann-Region war. Die hat er sich ausgesucht, weil er sie von der Überquerung mit seinem Bruder gut kannte. Angeblich will er verhindern, dass sein Aufenthaltsort zu einer Pilgerstätte von Schaulustigen wird. Quasi als Umweltschützer behält er diese Info für sich. Er hat dafür vom Alpenverein und von Umweltinitiativen viel Lob bekommen.«

      »Und das mit dem Finger? Wie ist das passiert?«

      »Erfroren, fing an, langsam abzufaulen. Er hat ihn sich selbst abgeschnitten, um die restliche Hand zu retten.«

      »Messer hatte er also dabei?«

      Katharina schmunzelte über Olivers kriminalistischen Spürsinn. »Ja, ein Taschenmesser und sonst das, was ein normaler Bergsteiger für eine Eintageswanderung mitnimmt: Messer, Thermoskanne, Vliespulli, Regenjacke, zweites Hemd, zweite Socken und ein paar Kleinigkeiten.«

      »Hat er vorgeführt, dass er das wirklich kann, Tiere töten, Felle gerben, Feuer machen?«

      »Eigentlich bin ich die für die wilden Theorien«, grinste Katharina. »Wenn mein seriöser Freund überlegt, ob Adelhofer sich das alles nur ausgedacht hat, werde ich diese Spur selbstverständlich verfolgen. Vielleicht kann mir Alfred Birnhuber am Freitag einen Hinweis geben.«

      »Wie heißt der? Birnhuber? Klingt eher danach, als könnte er dir Hinweise auf das beste Weißbier im Chiemgau geben. Ich gehe jetzt jedenfalls nach Hause. Morgen früh um 8 habe ich einen Termin beim Augenarzt und möchte ausgeschlafen dort ankommen.«

      »Hast du ein Problem mit den Augen?« Katharina kannte die Antwort, aber es war klar, dass Oliver gefragt werden wollte.

      »Nee, nur ein Check, sollte man ja alle zwei Jahre machen. Ich muss danach auch schnell in die Kanzlei. Meine neue Klientin bekommt anonyme Drohbriefe und wir prüfen, ob Polizeischutz möglich ist. Wahrscheinlich nicht, vielleicht kriege ich sie dann zumindest dazu, vorübergehend ins Frauenhaus zu gehen.«

      Oliver verschwand und Katharina stellte überrascht fest, dass die Unterhaltung über Krankheiten heute quasi ausgefallen war. Seit ihrer Kindheit war sie es gewohnt, ihren Freund zu beruhigen, wenn er irgendwelche Symptome an sich feststellte und die sofort für eine schwere Krankheit hielt. Ihre Devise war eher »wird schon nichts sein«, was für Oliver oft die Rettung gewesen war. Welch ein Segen für beide, dass er ihr damals in der ersten Klasse durch die Haare gewuschelt hatte, dachte Katharina und trug die Weingläser in die Küche. Auf dem Weg ins Bad beschloss sie, Birgit um eine zusätzliche Recherche zu bitten: Was musste man können, um einen Winter in den Bergen zu überleben?

      »Monaco TV«, München

      »Die ganz links ist Rebekka Waldus mit dem toten Baby. Daneben sitzt Hubert Sauter, dessen Frau sich umgebracht hat. Und zwischen ihm und deinem Vater, das ist Christoph Lachstein, dessen Freundin ermordet wurde.«

      Es war 11 Uhr, Robert Adelhofer stand im Studio von »Krise« hinter der Deko und bekam von der Chefin vom Dienst die Gäste vorgestellt.

      Die saßen in schwarzen Ledersesseln rund um einen ovalen Glastisch, auf dem Wassergläser standen und eine Vase mit weißen Calla.

      Robert überblickte die Szenerie zufrieden und sagte:

      »Gute Arbeit, Requisite, Redaktion, Regie. In der kurzen Zeit die Sendung dem Anlass gemäß hinzubekommen – Kompliment. Übrigens haben wir heute hohen Besuch. Darf ich vorstellen, Katharina Langenfels von »Fakten«. Sie wird dabei sein, weil sie eine große Story über mich, äh, über uns schreibt. Drum, höflicher Ton bitte, Ronnie, kein Gebrülle aus der Regie. Nicht durchs Bild laufen mit einer Flasche Wasser, Tanja. Und nicht schlafen an der Kamera, Bernd!« Den Gesichtern der Angesprochenen war deutlich anzusehen, was sie von Adelhofers Einlassungen hielten. Der selbst schien es allerdings nicht zu bemerken. Er nahm Katharina am Arm und führte sie weg von seiner Studiomannschaft.

      »Frau Langenfels, es freut mich, dass Sie sich die Zeit nehmen, bei meiner Sendung zuzusehen.«

      »Na, das ist wohl das Mindeste, wenn man über Robert Adelhofer schreibt. Außerdem ist es eine besondere Sendung heute. Ich hoffe, ich bin keine zu große Belastung für Sie. Sie haben ja keine leichte Aufgabe vor sich.« Dezent befreite sie sich aus Roberts Griff, der weiter ihren Arm festhielt.

      Robert schien das nicht wahrzunehmen. Er schaute sie ernst an: »In keinem Fall sind Sie eine Belastung für mich. Eher das Gegenteil. Ich freue mich sehr, dass wir uns so schnell wiedersehen. Kommen Sie nach der Aufzeichnung in meine Garderobe. Vielleicht tauchen noch Fragen auf. Die beantworte ich Ihnen gerne.«

      »Mal sehen, Herr Adelhofer, danke. Ist sicher für Ihren Vater nicht leicht, heute hierherzukommen, oder?« Einen kurzen Moment glaubte Katharina, ein verunsichertes Flackern in seinen Augen wahrzunehmen.

      »Das habe ich natürlich auch gedacht. Ich hätte das niemals von meinem Vater verlangt. Er wollte unbedingt in die Sendung. Ich habe noch versucht, es ihm auszureden, aber keine Chance. Ich glaube, das ist für ihn Teil der Verarbeitung.«

      Katharina nickte und nahm sich vor, am Freitag Alfred Birnhuber nach dem alten Adelhofer und dem Verhältnis zu seinen Söhnen zu fragen.

      Sie ging in den Zuschauerbereich. Die üblichen weiblichen Adelhofer-Fans waren natürlich reichlich anwesend, die Zahl der Schönheitsoperierten im Raum überstieg deutlich den Gesamtschnitt in der Bevölkerung, davon war Katharina überzeugt. Sie sah viele enorme Körbchengrößen, die in großzügig dekolletierten Oberteilen zur Schau gestellt wurden, viele auffällig geschminkte Gesichter und toupierte Frisuren – irgendwie musste frau es ja schaffen, beautiful Robert aufzufallen. Und es gab biedere Mittfünfziger- und -sechzigerinnen, die wohl eher mitleiden wollten mit den Schicksalen wildfremder Menschen. Bei der einen oder anderen Dame lagen die Taschentücher bereit. Am Rand einer Stuhlreihe sah Katharina ein Transparent mit der Aufschrift »Robert und Max, wir trauern mit euch«. Sie selbst hatte man in der ersten Reihe platziert, wo sie sich hinsetzte und nun das bizarre Publikum im Rücken hatte.

      Robert Adelhofer legte eine routinierte Probe hin, erklärte den Gästen, dass er die Fragen an sie erst in der Sendung stellen würde, damit sie nicht zweimal durch diese schwierige Situation durchmüssten. Er ergriff kurz die Hand der Mutter, die ihr Kind verloren hatte, strich dem Witwer über den Arm, vermied aber jegliches Gespräch.

      Tränen will er natürlich erst in der Sendung sehen, dachte Katharina.

      Max Adelhofer war noch nicht da, zumindest das hatte ihm sein Sohn wohl erspart. Nach einer halben Stunde war die Probe vorbei und das Studio so ausgeleuchtet, dass später jede Gefühlsregung bestmöglich und in Großaufnahme gezeigt werden konnte. Robert Adelhofer verschwand hinter den Kulissen, sein Vater wurde hereingeführt. Er setzte sich mechanisch auf den noch freien Sessel und schaute vor sich hin. Die übrigen Gäste wurden noch mal im Gesicht abgepudert – Max Adelhofer hatte dies offenbar bereits hinter sich –, dann begann die Aufzeichnung. Katharina vermutete, dass die Verantwortlichen sich nicht trauten, »Krise« live zu senden. So konnten zu heftige Passagen rausgeschnitten oder bei zu wenig Tränen ein Gespräch noch mal rührseliger wiederholt werden. Heute würde dies vermutlich nicht nötig sein.

      Robert Adelhofer betrat – dem Anlass entsprechend begleitet von getragener Musik – das Studio.

      Er trug einen


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