Strohöl. Hansjörg Anderegg

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Strohöl - Hansjörg Anderegg


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hatte. Das Lager war nicht mehr zu retten. Die Feuerwehr richtete ihre Strahlrohre und Schaumkanonen auf die nahen Stahltanks und Druckleitungen, um weiteren Schaden zu verhindern. Sie rief aus Leibeskräften. Die Rufe verhallten ungehört im Zischen und Prasseln des Feuers. Glühende Balken verbogen sich singend. Ein Knall wie von einer zweiten Explosion fuhr ihr in die Glieder, dass sie ein paar Schritte rückwärts taumelte, gerade rechtzeitig, um dem Stahlträger auszuweichen, der zwei Meter vor ihren Füßen auf den Boden krachte. Zitternd wich sie weiter zurück. Die Flammen sprangen auf einen Eimer über. Der Inhalt explodierte in einem grellen Blitz, der die Umgebung für einen Sekundenbruchteil taghell erleuchtete. Sie sah es dennoch deutlich: die schwarze Sonnenblume, das Zeichen der Umweltaktivisten, deren Anführer Barbarossa war. Nur er konnte es ans Tor gesprayt haben.

      »Barbarossa!«

      Verzweifelt rannte sie an der brennenden Fassade entlang, direkt in die Arme eines Feuerwehrmannes.

      »Sie sind verletzt«, sagte er. »Ich bringe Sie zum Notarzt.«

      »Barbarossa«, antwortete sie.

      Ihr verängstigtes Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen erschreckte ihn.

      »Sie stehen unter Schock«, schloss er messerscharf, griff ihr unter die Arme und führte sie weg aus der Gefahrenzone.

      Sie hing an ihm wie ein Sack Kartoffeln vom nahen Acker, während sie die Umgebung verzweifelt nach einer Spur ihres Begleiters absuchte.

      »Er muss hier irgendwo sein«, murmelte sie kaum verständlich.

      »Vermissen Sie jemanden? Waren Sie in der Halle, als es passierte?«

      »Barbarossa war da.«

      »So wird das nichts.« Er schulterte sie mit dem Rettungsgriff. »Schlingen Sie die Arme um meinen Hals. Halten Sie sich fest. Geht das?«

      Er trug sie im Laufschritt huckepack zum Rettungswagen, wo er sie in die Arme des Sanitäters gleiten ließ. Ohne ein weiteres Wort rannte er zum Löschtrupp zurück, um das Phantom Barbarossa zu suchen. Der Notarzt stellte sich als Frau in ihrem Alter heraus. Kaum hatte sie begonnen, Fragen zu stellen, erregte eine zweite Gruppe Nothelfer ihre Aufmerksamkeit. Ein scheinbar lebloser Mann lag auf der Trage. Sie stand bei ihnen, bevor sie den Rettungswagen erreichten.

      »Barbaros…«

      Der Schwerverletzte war nicht ihr Begleiter. Ein zweiter Unbekannter hing bereits im Auto am Tropf, Sauerstoffmaske über Mund und Nase. Er war bei Bewusstsein. Sie beugte sich zu seinem Ohr hinunter.

      »Haben Sie einen Mann mit rotem Haar und Vollbart in der Halle gesehen?«

      Er blickte sie mit zugekniffenen Augen an und stöhnte. Die Ärztin zog sie ärgerlich beiseite.

      »Was fällt Ihnen ein?«

      Sie murmelte eine Entschuldigung und entfernte sich. Der Verletzte hatte ihre Frage beantwortet. Sein Kopfschütteln war nicht zu übersehen gewesen.

      »Warten Sie!«, rief die Ärztin. »Ihre Wunde am Kopf muss versorgt werden. Bleiben Sie stehen.«

      Sie wankte weiter wie eine Schlafwandlerin auf die Gruppe Zuschauer zu, die sich von Minute zu Minute vergrößerte. Barbarossa war untergetaucht. Eine andere Erklärung fiel ihr nicht ein. Die Gaffer hatten keinen roten Vollbart gesehen. Von Weitem bemerkte sie, wie die Polizei Barbarossas Auto durchsuchte. Das Fahrzeug konnte sie sowieso vergessen – ohne Zündschlüssel. Sie war zwar geübt, in rechtlichen Grauzonen zu operieren, aber die Kunst des Autoknackens beherrschte sie nicht. Vielleicht wartete er aufs erste Schiff nach Konstanz Wallhausen. Sie brauchte dringend einen Transport zum See. Ein Zuschauer im Trainingsanzug, der genug gesehen hatte, nahm sie mit nach Überlingen.

      Kein Barbarossa weit und breit. Einmal mehr hörte sie die zwei Akkorde von Mötörhead auf seinem AB. Sie verzichtete auf eine weitere Nachricht. Der feine Herr blieb wie vom Erdboden verschwunden. Er würde ihr einiges zu erklären haben. Kein Zweifel: Es war ihr dümmster Einsatz seit Langem.

      Sie erschrak ob der Fratze, die sich im ersten Licht des Tages im Fenster einer Bäckerei spiegelte. So durfte keine Mutter eines Fünfjährigen aussehen, wollte sie ihr Kind behalten. Sie strich sich das Haar notdürftig mit den Fingern glatt, worauf das eingetrocknete Blut auf der Stirn wie Besenreiser hervortrat.

      Als das Schiff endlich ablegte, fiel ihr Äußeres dem Personal und den wenigen Fahrgästen kaum noch auf. Sie stand während der kurzen Überfahrt an der Reling und starrte unentwegt ins Wasser, damit niemand auf den Gedanken kam, mit ihr über die Explosion in der nahen Fracking Anlage zu sprechen. Kaum hatte sie festen Boden unter den Füßen, sprang sie ins nächste Taxi. Im letzten Moment unterdrückte sie die automatische Ansage »Paradies«, wo sie mit der jüngeren Schwester und dem kleinen Julian wohnte, die wie immer nichts von ihrem nächtlichen Ausflug ahnten. Sie durfte noch nicht nach Hause zurückkehren. Erst musste sie wissen, in welches Schlamassel sie geraten war.

      »Mittelzell, Reichenau«, sagte sie und schloss die Augen.

      INSEL REICHENAU

      »Hier wollen Sie aussteigen?«, fragte der Taxifahrer verwundert.

      Das einsame Holzhaus an der Feldstraße glich eher einem verlassenen Stall denn einem Wohnhaus. Von der Straße aus war der üppige Garten mit den Hängematten und dem Froschteich nicht zu sehen. Sie drückte dem Fahrer einen Zwanzigeuroschein in die Hand.

      »Stimmt so«, sagte sie und stieg aus.

      Sie wartete, bis er außer Sichtweite war, bevor sie das Haus betrat. Bauer Lorenz rammte sie beinahe unter der Tür, so eilig hatte er es, sein Haus zu verlassen.

      »Die spinnen doch alle zusammen«, knurrte er.

      »Was ist denn los?«

      »Ihre Kollegen schwirren im Haus herum, als hätte ich ins Wespennest gestochen. Dabei starren sie auf ihre Handys und haben Stöpsel in den Ohren, dass sie kein Wort verstehen.«

      »Ein Wespennest?«

      Lorenz nickte. »Unter dem Dach. So was kommt halt vor auf dem Land. Ihr könnt mich ja anrufen, wenn ihr euch beruhigt habt, falls euch das Nest dann immer noch stört.«

      Damit trat er ins Freie und schlug die Tür zu. Während sie den Traktor wegfahren hörte, bereitete sie sich geistig aufs doppelte Wespennest im Haus vor. Barbarossas Truppe bestand aus überzeugten Umweltschützern, Aktivisten für eine bessere Zukunft, wie sie sich bezeichneten, grüner als jede grüne Partei. Die vier Männer und zwei Frauen, alle mindestens zehn Jahre jünger als sie, hatten sich im notdürftig zu Wohnungen umgebauten Stall von Bauer Lorenz als Studenten eingenistet. Bei Dreien stimmte die Berufsbezeichnung ungefähr, obwohl sie bisher nicht herausgefunden hatte, was die Kollegen eigentlich studierten. Jedenfalls trieben sie sich regelmäßig auf dem Campus der Uni Konstanz herum. Dort hatte sie den Anführer dieser weltfremden Ökologen entdeckt. Er wäre ihr nicht aufgefallen, hätte er nicht mit seinen intimen Kenntnissen der Versuchsanlage bei Überlingen geprahlt. Solches Wissen war Gold wert für ihre Recherche. Deshalb spielte sie jetzt die Judith im Wespennest. Die andern Drei, alles Männer, hatten nie ein Abitur geschafft. Dennoch konnten sie einen nächtelang mit Theorien über die Gefahren von Genmais, Kernenergie und Fracking zutexten, als hätten sie ein Leben lang nichts anderes studiert.

      Sie stieß die Tür auf, an der die schwarze Sonnenblume prangte. Barbarossa war nicht da. Sobald die erste junge Frau den Blick von ihrem Handy lösen konnte, riss sie sich die Stöpsel aus den Ohren und schrie sie an:

      »Wo ist er?«

      Im Nu waren die Smartphones mit der Live Berichterstattung aus Überlingen nicht mehr wichtig. Die Gruppe umringte sie, dass sie kaum Platz fand, sich zu setzen.

      »Ich habe angenommen, Barbarossa sei bei euch«, sagte sie betont kühl, obwohl sie ein Kribbeln im Bauch spürte, als hätten die Wespen dort genistet.

      »Was erzählst du für einen Schwachsinn«, rief ein anderer. »Ich denke, du wolltest unbedingt mit ihm nach Überlingen. Wo wart ihr denn, als der ganze Dreck in die Luft flog?«

      Bevor


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