Strohöl. Hansjörg Anderegg
Читать онлайн книгу.Das verstehst du doch.«
»Du hörst dich allmählich an wie ein karrieregeiler Ehemann, dem die Arbeit wichtiger ist als die Familie.«
»Sei doch nicht gleich eingeschnappt. Du arbeitest auch fast rund um die Uhr in deiner Hexenküche.«
»Das nennt man Labor, und es ist eine wissenschaftliche Einrichtung, die nichts mit Hexerei zu tun hat. Nebenbei sind meine Kollegen gerade damit beschäftigt, Julian zu beschäftigen.«
Sie erschrak. »Wieso? Warum ist er nicht in der Kita?«
»Er hatte am Morgen leicht erhöhte Temperatur. Nichts Schlimmes, du kannst dich gleich wieder beruhigen. Es ist schon vorbei. Jetzt baut er mit seinen Holzklötzchen unser Labor nach.«
»Ich möchte ihm kurz Hallo sagen.«
Sie hörte, wie Maria mit dem Kleinen sprach, dann sagte sie lachend:
»Er lässt dir ausrichten, er sei jetzt bei der Arbeit und habe keine Zeit. Ich soll dich ganz lieb grüßen.«
Der Junge war erst fünf. Gab es womöglich doch ein Problem mit ihrem Lebenswandel als freie Journalistin?
»Du bist also bei der NAPHTAG«, sagte Maria.
»Ja, und ich muss jetzt …«
»Sei vorsichtig. Du betrittst die Höhle des Löwen. Das ist dir hoffentlich bewusst.«
Die Höhle eines Löwen wäre möglicherweise weniger gefährlich als die Teppichetage in diesem Turm, dachte sie, denn was sie mit dem Vorstandsvorsitzenden zu besprechen hatte, würde ihm kaum Freude bereiten. Nach dem Anschlag am Bodensee dürften die Nerven in der Konzernleitung ohnehin blank liegen, nahm sie an.
»Frau Kaiser?«, sagte eine angenehme Altstimme.
Die Dame aus dem Vorzimmer des obersten Chefs grüßte zuvorkommend, als ginge es um einen wichtigen Geschäftstermin. Vielleicht stimmte das auch.
»Ich bringe sie zu Dr. Wolf. Bitte folgen Sie mir.«
Der Small Talk im Aufzug verlief ebenso makellos unaufdringlich, wie die Vorzimmerdame zurechtgemacht war. Emma kontrollierte heimlich ihr Äußeres im Spiegel, strich die Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich andauernd selbstständig machte, und zupfte den Rock glatt, um wenigstens optisch nicht abzufallen gegenüber Dr. Wolfs Vorzimmer. Die Dame geleitete sie in einen mit teuren, weißen Polstersesseln ausgestatteten Raum. Die Fensterfront bot ein spektakuläres Panorama der Stadt Leverkusen, das der Sky Lounge eines Fünf-Sterne-Hotels wohl angestanden hätte.
»Herr Dr. Wolf wird Sie gleich empfangen«, sagte die Vorzimmerdame. »Darf ich Ihnen etwas anbieten, Kaffee, Wasser?«
Sie begnügte sich mit Wasser und versuchte, sich aufs bevorstehende Interview zu konzentrieren. Es fiel nicht leicht in dieser Umgebung, wo alles drauf angelegt war, den Besucher durch Luxus und zur Schau gestellte Effizienz zu beeindrucken oder gar einzuschüchtern. Sie kannte solche Tempel, wo große Geschäfte abgeschlossen und eiskalte Intrigen ersonnen werden, von vielen Interviews in Banken, Versicherungen und Anwaltskanzleien. Sie selbst war keine Unbekannte in diesen Kreisen. Dennoch grenzte es an ein kleines Wunder, beim ersten Versuch vom großen Vorsitzenden persönlich empfangen zu werden. Sie kannte sein Gesicht aus Zeitungsartikeln und dem Geschäftsbericht. Der Mann, der auf sie zutrat, war allerdings einen Kopf kleiner, als sie sich vorgestellt hatte.
»Frau Kaiser, entschuldigen Sie die Verzögerung. Ein Anruf in letzter Minute, Sie wissen schon …«
Sie gab ihm lächelnd die Hand und ging dabei leicht in die Knie, um die hohen Absätze zu kompensieren.
»Ich bin froh, dass Sie so schnell Zeit für mich gefunden haben.«
»Ist doch selbstverständlich«, wehrte er ab. »Öffentlichkeitsarbeit überlasse ich nicht ausschließlich der Presseabteilung, und Sie sind schließlich keine Unbekannte in Ihrem Beruf, habe ich mir sagen lassen.«
Er führte sie in sein Büro, größer als Lounge und Vorzimmer zusammen, mit Glaswänden auf zwei Seiten.
»Ich hoffe, man hat Sie nicht falsch über mich orientiert.«
Damit beendete sie die unverbindlichen Höflichkeiten und kam zur Sache.
»Wie ich telefonisch angekündigt habe, arbeite ich seit einiger Zeit an einem umfassenden Bericht über Fracking Vorhaben in Deutschland. Ihr Konzern ist maßgeblich an der Erschließung solcher Erdgasvorkommen beteiligt, die vor allem in grünen und linken Kreisen der Bundesrepublik mit großer Skepsis verfolgt wird.«
Dr. Wolf lächelte wie ein gutmütiger Vater, der seiner Tochter zum x-ten Mal geduldig erklärt, weshalb sie nicht mehr Taschengeld erhält.
»Sie drücken das sehr milde aus«, sagte er. »In Wahrheit haben uns gewisse Kreise den Krieg erklärt.«
»Der Anschlag.«
Er nickte. Seine Betroffenheit wirkte echt.
»Gibt es schon Hinweise auf die Täterschaft?«
»Die Ermittlungen laufen.«
»Es ist ein unglücklicher Zufall, dass wir uns ausgerechnet kurz nach dem Anschlag auf das Versuchsgelände am Bodensee zum Thema Fra-cking unterhalten.«
»Ist es das?«, fragte er mit ironischem Lächeln. »Gibt es so etwas wie Zufälle bei Ihren Recherchen?«
»Oh ja, mehr als mir lieb ist, aber lassen Sie uns über die neue Art der Erdgasförderung sprechen. Rohstoffe vor der eigenen Haustür betrachten Sie als ein enorm wichtiger Schritt in die Zukunft. Stimmt dieser Eindruck?«
Der Steilpass behagte ihm. Er bejahte entschieden und begründete die Strategie wortreich. Sie gab vor, eifrig Notizen zu machen, doch ebenso gut hätte sie die entsprechenden Abschnitte aus dem Geschäftsbericht abschreiben können. Ihre dreißig Minuten waren beinahe um, als sie endlich Gelegenheit bekam, zum Angriff überzugehen.
»Ich entnehme den Ertragszahlen in Ihrem letzten Geschäftsbericht, dass die unsichere politische Lage im Nahen Osten und die Spannungen mit Russland Anlass zu großer Sorge für die petrochemische Industrie hierzulande sind«, stellte sie fest. »Das bedeutet doch, dass der Konzern unter großem Druck steht, alternative Rohstoffquellen wie Fracking zu erschließen. Stimmen Sie dem zu?«
Er versuchte, die Tatsache zu verharmlosen, doch die etwas herablassende Haltung wirkte nicht mehr so überzeugend wie bei ihrer Ankunft. Sie ließ nicht locker:
»Der Konzern wird also mit allen Mitteln versuchen, das Fracking Projekt Kranich zum Erfolg zu führen.«
Die Behauptung machte ihn für kurze Zeit sprachlos.
»Unterstellen Sie uns unlautere Methoden?«, fragte er schließlich verärgert. »Ist es das, worauf Sie hinaus wollen?«
»Ich unterstelle Ihnen gar nichts, aber wie würden Sie die Aussagen in diesem Bericht deuten?«
Der Augenblick der Wahrheit war gekommen. Sie schob ihm zwei Kopien über den Tisch. Die kritischen Stellen waren gelb markiert.
»Diese Seiten stammen aus einem Bericht an die Kranich Projektleitung«, bemerkte sie dazu.
Er reagierte erstaunt. Nach sorgfältiger Lektüre fragte er mit kaum unterdrückter Erregung:
»Woher haben Sie das?«
Sie war nicht psychologisch geschult, aber die Erfahrung sagte ihr, dass der Vorstandsvorsitzende der NAPHTAG diesen Bericht nicht kannte. Noch etwas schloss sie aus seiner Reaktion: Die Angaben im Bericht entsprachen höchst wahrscheinlich den Tatsachen. Dr. Wolf fiel es schwer, Haltung zu bewahren. Nur mit Mühe gelang ihm, zur alten Selbstsicherheit zurückzufinden. Er blickte auf die Uhr und erhob sich abrupt.
»Der nächste Termin«, sagte er kopfschüttelnd. »Ich muss unser Gespräch leider abbrechen. Sie entschuldigen mich.«
Er verabschiedete sie hastig. Sie stand schon an der Tür, als er die zwei Blätter hochhob und rief:
»Ich