Gol. Friedrich Schmidt-Roscher
Читать онлайн книгу.Der private Sicherheitsdienst prüfte sorgfältig. Erst nach ein paar Minuten sprang die Schleuse mit einem Summen auf, und sie konnte das Coban betreten. Die Frau von Max de Lima lebte im 19. Stock.
Paulo Mineiro hatte sie nach Hause geschickt. Wenn er sich mit dem Umziehen beeilte, konnte er noch rechtzeitig zum Hauptgang in dem libanesischen Restaurant sein.
Die Kommissarin drückte auf die Klingel. Eine weibliche Stimme fragte. „Was wollen Sie?“
Sie hielt ihren Polizeiausweis vor das Kameraauge. „Mein Name ist Gabriella Gil. Ich bin Kommissarin bei der Polícia Civil und möchte mit Ihnen sprechen. Darf ich reinkommen?“
Die Tür summte. Kurz darauf stand sie einer zierlichen Frau mit lockigen Haaren gegenüber. Ihr Lächeln und das helle Leinenkleid machten sie jünger als sie vermutlich war. „Worum geht es?“
„Können wir uns zu dem Gespräch einen Augenblick setzten?“
Die Frau nickte und lief barfuß den Flur entlang. Sie deutete auf ein Sofa und nahm selbst auf einem gepolsterten Hocker Platz. Von dem Panoramafenster hatte man einen grandiosen Blick auf die Lichter der Stadt.
„Also, was wollen Sie von mir?“ In ihrer Stimme lag Ungeduld.
Gil nahm Platz. „Leider ist es eine ernste Angelegenheit. Sie sind Luiza Vargas de Lima?“
Die Frau nickte. „Bitte sprechen Sie! Ich erwarte noch Gäste.“
Jetzt bemerkte Gil, dass im Esszimmer ein Tisch gedeckt war. Sie räusperte sich. „Ich habe leider eine traurige Nachricht. Max de Lima, Ihr Ehemann, ist tot.“
Vargas de Lima reagierte anders, als Gil gedacht hätte. „Er ist nicht mehr mein Ehemann. Wir leben seit Jahren nicht zusammen.“ Sie stand auf und holte aus der Küche eine Packung Zigaretten. Sie zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. „Entschuldigen Sie bitte. Vielleicht denken Sie, ich habe kein Gefühl. Ich bin natürlich traurig, dass mein Ehemann tot ist. Doch ehrlich gesagt, es berührt mich nicht, nicht besonders. Er war schon lange tot für mich. Verstehen Sie das?“
Gil schüttelte langsam den Kopf. Gerne hätte sie auch eine Zigarette geraucht. Sie versuchte sich zu konzentrieren und sagte: „Können Sie es mir bitte erklären?“
Die Frau holte sich einen Aschenbecher, nahm hastig einige Züge. Dann drückte sie die Zigarette wieder aus und öffnete die Tür zum Balkon. „Die letzten Jahre mit Max waren schwierig, extrem schwierig. Die Öffentlichkeit kennt ja nur den erfolgreichen Sportjournalisten und rasenden Reporter. Seit wir verheiratet sind, war er viel unterwegs. Am Anfang fand ich das interessant, aber mit den Kindern war es ein unmöglicher Zustand. Er hat Karriere gemacht, und ich blieb zuhause. Der Kinder wegen.“
Die Frau lief einige Schritte Richtung Küche. Dann fragte sie: „Wollen Sie etwas trinken? Ich hole mir einen Martini.“
Gabriella Gil hätte lieber eine Zigarette genommen. Aber sie sagte nur: “Für mich bitte ein Glas Wasser!“
Die Frau machte sich in der Küche zu schaffen, dann kehrte sie mit zwei Gläsern zurück.
Gil nahm einen Schluck Wasser und versuchte sich zu konzentrieren. „Leider muss ich Sie als Zeugin zu dem Tod befragen. Es gibt Hinweise, dass er ermordet wurde. Ich habe ein kleines Aufnahmegerät mitgebracht. Kann ich unser Gespräch aufzeichnen?“
Ihr Gegenüber nickte. „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen helfen kann. Wir hatten die letzten Jahre kaum noch Kontakt.
„Gespräch mit Luiza Vargas da Lima am 7. Juni 2014 in ihrer Wohnung“, sprach die Kommissarin ins Aufnahmegerät. „Sie haben gerade erzählt, dass Sie mit Ihrem Mann kaum mehr Kontakt hatten.“
Die Witwe trank den Martini aus und sagte: „Vor etwa dreieinhalb Jahren hatte Max großen Stress. Ja, auch mit mir. Nach einem Streit lebte ich einen Monat bei meinen Eltern. Noch mehr Stress gab es beim Fernsehen. Sie wollten, dass er noch mehr macht. Mit den Quoten waren sie nicht zufrieden. Es gab einen neuen Chef, mit dem Max nicht mehr klar kam. Das Übliche eben. Dann fand man Unregelmäßigkeiten bei der Spesenabrechnung. Um es kurz zu machen: Max begann zu trinken. Am Anfang habe ich nichts gemerkt. Irgendwann fiel mir auf, dass er schon morgens einen gewissen Pegel brauchte, um in die Gänge zu kommen. Ich machte ihn darauf aufmerksam. Er stritt es ab. Wir zankten uns. Es war schrecklich! Waren Sie schon einmal mit einem Alkoholiker zusammen?“ Vargas de Lima wischte mit einem Papiertaschentuch Tränen aus ihrem schönen Gesicht. Trotz ihrer 52 Jahre hatte sie sich etwas Mädchenhaftes bewahrt. „Die Sache ging über Monate. Getrennte Schlafzimmer. Irgendwann ist er für mich gestorben. Er wurde gefeuert. Ich habe mich von ihm getrennt. Für ihn brach natürlich eine Welt zusammen. Das war vor etwas mehr als zwei Jahren.“
„Wohnten sie noch zusammen?“
Die Frau schüttelte energisch ihren Kopf. „Das wäre nicht gegangen. Max hat mir sogar gedroht. Er musste ausziehen und ein neues Leben beginnen. Erstaunlicherweise ist ihm das irgendwann ganz gut gelungen. Max hat die Kurve gekriegt. Meine Söhne sagen, er hat mit der Sauferei vollkommen aufgehört.“
„Hatten Sie noch Kontakt mit ihm?“
„Nein, das ging nicht. Wir haben es auch nach der Trennung nochmal versucht. Auch wegen unserer erwachsenen Kinder. Seit ungefähr sechs Monaten haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Wir waren 27 Jahre verheiratet, eine lange Zeit. Die Scheidung habe ich eingereicht, doch er hatte noch nicht eingewilligt. Vielleicht hatte er noch Hoffnung.“ Sie strich sich die Haare hinter den Kopf. „Manchmal habe ich von den Kindern etwas von ihm gehört.“
„Leben Ihre Kinder bei Ihnen?“
Vargas de Lima lächelte: „Nur der Jüngste. Ernesto studiert Medizin im 2. Semester und lebt noch hier bei mir. Die beiden übrigen haben ein eigenes Leben. Der Älteste hat mit dem Vater gebrochen. Michele, der Mittlere, stand noch in Kontakt mit ihm, besonders seitdem er mit seiner Frau ein Kind hat. Auch Ernesto traf sich hin und wieder mit seinem Vater.“ Sie atmete tief durch: „Die Nachricht von seinem Tod wird ihn treffen. Er war so froh, dass es Max wieder besser ging.“
„Wie kam es dazu, dass es ihm wieder besser ging?“
„Da müssen Sie meine beiden Söhne fragen. Einzelheiten kenne ich nicht. Ernesto hat nur einmal erzählt, dass er jetzt bei so einer Sekte wäre und regelmäßig in die Kirche ging.“ Sie zündete sich wieder eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. Dann eilte sie zur Terrassentür und rauchte dort weiter. „Max und die Kirche! Das war früher undenkbar. Er ging nur an Weihnachten in die Messe oder bei der Kommunion unserer Söhne. Religion war seiner Meinung nach etwas für Kinder. Diese Christen scheinen ihm Halt gegeben zu haben. Er hörte mit dem Trinken auf. Und er fand Arbeit bei dem Sender ‚Nova Vida‘.“
„Wann haben Sie Ihren Mann zum letzten Mal gesehen?“
Ihr Gegenüber zögerte. „Das weiß ich nicht. Wir haben uns bestimmt seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen. Das letzte Mal waren unsere Anwälte dabei. Es galt, das mit dem Unterhalt zu regeln.“
„Können Sie mir die Telefonnummer von Michele und Ernesto geben?“
Vargas da Lima klemmte die Zigarette in ihren Mundwinkel, ging zum Wohnzimmerschrank und schrieb zwei Mobilnummern auf einen gelben Haftzettel.
Gil steckte den Zettel in ihren Rucksack. Sie dachte nach und fragte: „Wissen Sie etwas von seinen aktuellen Projekten? Haben Sie gehört, in welchen Bereich er gerade recherchiert hat?“
Die braune Frau dachte einen Augenblick nach. Gil hatte das Gefühl, dass ihr ein Gedanke kam. Dann klingelte die Türglocke. „Keine Ahnung. Fragen Sie meinen Sohn. Dio mio, jetzt habe ich meinen Gast ganz vergessen! Und ich bin noch gar nicht ganz fertig.“ Hastig drückte sie die Zigarette aus und trug die beiden Gläser zur Spülmaschine. „Bitte, Sie müssen jetzt gehen. Ich erwarte einen wichtigen Besuch.“
Gil drückte auf die Stopptaste des Aufnahmegerätes, packte es in ihre Tasche und verabschiedete sich. An der Tür begegnete sie einem älteren Mann mit graumelierten Haaren und maßgeschneidertem Anzug. Der Sechzigjährige