Gol. Friedrich Schmidt-Roscher

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Gol - Friedrich Schmidt-Roscher


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klar doch. Spielen wir uns ein?“

      Die 72 Jahre sah man dem Mediziner nicht an. In der Realität wirkte er nicht ganz so jung wie im Fernsehen. Der Mannschaftsarzt war ein Angriffsspieler. Seine Schmetterbälle gingen zunächst deutlich an der Platte vorbei und Forte musste sich oft bücken. Mit zunehmender Spieldauer wurde sein Gegenüber ein gleichwertiger Partner. Schweiß lief Forte den Rücken herunter. Sein Körper hatte sich noch nicht an die subtropischen Verhältnisse in Porto Seguro gewöhnt

      Nach dem umkämpften Match, das der Seelsorger in drei Sätzen gewann, tranken sie ein Glas Wasser und einen Espresso zusammen.

      „Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen“, sagte der Arzt unvermittelt. „Damals habe ich lieber Tischtennis als Fußball gespielt.“

      „Im Predigerseminar war die Tischtennisplatte manchmal wichtiger als langweilige Vorträge. Mit meinem Freund Richard habe ich in der Mittagspause immer gespielt.“ Forte verschwieg, dass sie später sogar einmal um Beerdigungen spielten. „Ich wundere mich, dass Sie nicht bei der Mannschaft in Mexiko sind.“

      „Ich bin erst heute um die Mittagszeit eingetroffen. Dort in Mittelamerika war mit der Mannschaft alles in Ordnung. Nur bei Khedira gibt es noch ein Fragezeichen.“ Der Arzt schaute auf den Atlantik. „Haben Sie eigentlich davon gehört, dass der WM-Pokal verschwunden ist? Stellen Sie sich vor, wir Deutschen gewinnen endlich die Weltmeisterschaft und dann gibt es gar keinen Pokal.“ Der Arzt lachte.

      „Woher haben Sie die Nachricht?“

      „Es ist ein Gerücht unter Funktionären. Der Franz hat es mir heute beim Mittagessen erzählt.“

      „Und der hat es von Platini“, scherzte Forte.

      „Sogar vom Oberboss persönlich. Doch bei dem Schweizer weiß man manchmal nicht, ob er es ernst meint oder einen Jux macht. Sehen wir uns später beim Abendessen? Danke fürs Spiel.“ Er reichte Forte die Hand.

      Nachdenklich ging der Seelsorger in sein Zimmer. Er stellte sich unter die Dusche. Dann fuhr er sein Laptop hoch und schaute im Postfach nach E-Mails. Samuel schickte ihm ein Foto vom letzten Training. Er schaute auf die Uhr. 17:10 Uhr, das hieß in Deutschland war es nun 22:10 Uhr. Er meldete sich bei Sabine über Skype. Doch sie war nicht online. Vielleicht war sie mit einer Freundin im Kino und hatte die Kinder zu seinen Eltern gebracht. In Shorts setzte er sich an den Schreibtisch.

      Noch eineinhalb Stunden bis zum Abendessen um 19 Uhr. Er überlegte, was er nächste Woche bei der kleinen Andacht sagen konnte. Einmal die Woche gab es eine Andacht im deutschen Quartier. Das hatte sich der Fußballpräsident so gewünscht. Durch das offene Fenster hörte er den Atlantik rauschen. An dieses Geräusch musste er sich in der Ferienanlage gewöhnen. Er freute sich schon auf die Anreise der Nationalspieler. Dann sollte ein ökumenischer Gottesdienst gefeiert werden. Er nahm seine Bibel und suchte nach der Stelle im 1. Korintherbrief, in der Paulus das Leben der Christen mit einem Wettkampf verglich. Auf einem Zettel notierte sich Forte ein paar Stichworte. Er war nicht bei der Sache.

      Immer wieder musste er an den Umschlag denken. Der Mann hatte sich nicht bei ihm gemeldet. Sollte er ihn aufbewahren oder der Polizei geben? War der Fremde ein Verbrecher oder ein unschuldiges Opfer? Mit wem konnte er darüber sprechen? Vielleicht sollte er sich mit dem Sicherheitschef Hans-Joachim Klein in Verbindung setzten. Er holte den weißen Umschlag aus der Schreibtischschublade heraus und wog ihn in der Hand. Seine Neugierde siegte. Forte holte aus seinem Koffer sein Schweizer Taschenmesser und öffnete den Umschlag. In ihm befand sich ein weiterer zusammengefalteter grauer Umschlag. Als er diesen öffnete fiel ein Schlüssel heraus und ein kleines weißes Blatt Papier, das aus einem Notizblock stammte. Der Schlüssel konnte zu einem Bankfach gehören oder einem Tresor. Auf dem Zettel befanden sich in vier Reihen Buchstaben und Zahlen. Die Schrift war schwer zu lesen. Forte nahm ein Blatt Papier und notierte sich, die vier Zeilen:

      AP118

      MA718

      ZA117

      EF623

      Forte grübelte. Es war eine Botschaft. Aber für wen? Und was sollte es bedeuten? Und was war mit dem Schlüssel? So viel er auch überlegte, er fand keine Lösung. Sein Magen rumorte. In einer halben Stunde gab es Abendessen.

      Kapitel 11

      Samstag, 7. Juni, Mittagszeit in Curitiba

      Von São Paulo nach Curitiba waren es 353 Kilometer auf der Autobahn. Wenn man gut durchkam und die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit nicht so genau nahm, konnte man die Fahrt in knapp drei Stunden schaffen. Capitão Mineiro brauchte mit Kommissarin Gil im Nissan Geländewagen der Polícia Civil do Estadio de São Paulo fast fünf Stunden. Dabei überschritt er mehrfach die Höchstgeschwindigkeit von 130 Kilometern und hielt nur einmal an einer Tankstelle für einen Espresso an.

      Schon bei der Fahrt aus der Stadt waren die Polizisten in einen Stau auf dem achtspurigen Autobahnring geraten. Selbst mit Blaulicht kam Mineiro nur schleppend voran. Die Straßen waren einfach verstopft. Der gestiegene Wohlstand der Mittelklasse machte sich auf den Autobahnen bemerkbar. Als sie die Mautstation hinter sich gelassen hatten, griff Gil nach der Akte auf dem Rücksitz und blätterte sie durch.

      „Kanntest du diesen Max de Lima?“

      Mineiro schüttelte den Kopf. „Nicht persönlich. Aber vom Fernsehen. Vor vier Jahren bei der Weltmeisterschaft in Südafrika berichtete er für „O Globo“ aus dem Quartier der Nationalmannschaft.“

      „Er war also richtig berühmt.“

      „De Lima war ein bekanntes Gesicht. Bis vor ein paar Jahren. Dann ist er abgesackt.“

      „Wie abgesackt?“

      „Der Fernsehsender hat ihm gekündigt. Keine Ahnung warum. Auf jeden Fall war er seinen Job als Sportreporter los.“

      Der Nissan überholte am Berg einen Sattelschlepper. Die Straße führte an einem Laubwald vorbei.

      „Hier steht, dass die Leiche des Sportreporters am Freitagmorgen um 6:27 Uhr vom Sicherheitsdienst einer Firma im Süden Curitibas entdeckt wurde. Der Tote lag unterhalb eines Fabrikgebäudes.“

      „Es war nicht klar, ob es Selbstmord, Unfall oder Mord war. Zunächst dachten die Ermittler an Selbstmord. Aber es gibt keinen Brief und die Stellung des zerschmetterten Körpers war ungewöhnlich.“

      Gil schaute zum Fenster hinaus. Auf der linken Seite lag ein einsames Gehöft. Ein paar Kühe standen auf der Weide. Die Temperaturanzeige des Autos zeigte 17 Grad an. Sie blätterte weiter in der Akte. „Die Ermittler in Curitiba scheinen eher von Mord auszugehen. Das Gebäude ist zehn Meter hoch. Eine Sicherheitsleiter führt hinauf. Es ist unklar wie de Lima auf das Gelände der Firma Bosch Brasilia kommen konnte. Es fehlt der Bericht der Pathologie.“

      „Warum sollte ein Mann aus São Paulo sich in Curitiba umbringen?“ Mineiro grinste.

      Auch heute trug er wieder seine Uniform. Gil war zur Jeans mit bequemem Shirt umgestiegen. „Gibt es schon Hinweise auf die Täter?“

      „Im Bericht nicht. Den habe ich gestern Nachmittag zugesandt bekommen. Möglicherweise sind die Kollegen schon weiter.“

      „Was sagt deine Frau zu dem Einsatz am Samstag?“

      „Hör mir bloß auf! Sie war stinksauer und machte ein böses Gesicht. Heute Abend sind wir zum 50. Geburtstag einer Freundin meiner Frau in ein libanesisches Restaurant in Zentrum eingeladen. Schon vor einem Monat haben wir zugesagt. Monica befürchtet, dass ich es nicht rechtzeitig schaffe.“

      Um 12:32 Uhr trafen die beiden Ermittler in der Zentrale der Polícia Civil in Curitiba ein. Der moderne Zweckbau aus den siebziger Jahren war vor zehn Jahren durch einen futuristischen Anbau ergänzt worden. Der wachhabende Polizist war über die Besucher informiert und wies ihnen den Weg.

      Als sie anklopften, machte ihnen Hauptkommissar Antonio Coelho die Tür auf.

      „Dann muss der Fall ja wirklich wichtig sein, wenn sogar


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