Tödliche Mutterliebe. Kirsten Sawatzki

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Tödliche Mutterliebe - Kirsten Sawatzki


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wie Aphrodite persönlich und Laura betrachtete sie mit einem Anflug von Neid. „Wie kann man am frühen Morgen schon so verdammt gut aussehen?“, schoss es ihr durch den Kopf. Ackermann zog merklich den Bauch ein und streckte die Brust heraus, was ihm das Aussehen von einem aufgeplusterten Hahn gab. Sie sah ihn abschätzig an, aber er tat so, als bemerkte er es nicht. Die Gerichtsmedizinerin begrüßte Laura und Ackermann höflich. Als sie näher kam, konnte Laura ihr dezentes Parfüm wahrnehmen, und den Geräuschen nach, die Ackermann beim Einatmen machte, roch er es auch. Dr. Salonis betrachtete das Opfer stumm. Laura konnte nicht erkennen, ob die Medizinerin geschockt war oder ob der Anblick dieser geschändeten und getöteten Frau sie kalt ließ. Die Pathologin stellte ihre Tasche ab und zog ein paar Latexhandschuhe heraus, die sie sorgfältig über ihre schlanken Hände zog. „Wann wurde sie gefunden?“

      Laura öffnete gerade den Mund, um zu antworten, als ein Kollege in die Tür trat und rief: „Es gibt noch eine Leiche!“

      Laura wirbelte herum und lief, gefolgt von Ackermann, dem Beamten der Spurensicherung im Tyvek-Anzug entgegen. „Was meinst du?“

      „Zwei Zimmer weiter ist so eine Art Falltür im Boden. Darin liegt eine Frau.“

      Sie folgten ihm. Das angrenzende Zimmer war wie die anderen Räume auch in Schwarz und Rot gehalten. An einer Wand stand der Metallkäfig, von dem Ackermann erzählt hatte, auf der anderen Seite des Raumes ein Gerät, das, wie Laura vermutete, ein Strafbock war. So ziemlich in der Mitte des Raumes stand eine Falltür offen.

      „Mensch“, stöhnte Ackermann, während er sich mit der flachen Hand an die Stirn schlug, „da bin vorhin drüber gelaufen!“ Laura ging in die Hocke. In einer etwa zwei Meter langen Grube lag eine Frau.

      Breite Lederriemen waren fest um ihren nackten Körper gezurrt. Ein Riemen war um ihre Schultern gebunden und hatte ihren Busen nach unten gequetscht, ein weiterer fesselte sie kurz über den Ellenbogengelenken, sodass ihre Arme fest an ihren Körper gepresst wurden. Der Nächste fixierte ihre Handgelenke an ihrer Hüfte. Ober- und Unterschenkel waren auch auf diese Weise zusammengebunden. Auf ihrem rechten Oberschenkel sah sie die beiden eingeritzten Zahlen. Ackermann sagte: „Die sieht ja aus wie Liz Taylor.“ Auch Laura war aufgefallen, dass diese Frau aussah, als käme sie aus einem anderen Jahrzehnt. Das Make-up auf ihrer makellosen blassen Haut und der knallrote Lippenstift, der die bläuliche Verfärbung ihrer blutleeren Lippen überdeckte, waren nahezu perfekt aufgetragen. Wären da nicht die kleinen, gräulichen Rinnsale gewesen, die von ihren Augen zu den Schläfen verliefen. Ein Zeichen dafür, dass sie geweint haben musste. Ansonsten wirkte sie wie jemand, der sich kürzlich sorgfältig geschminkt hatte. Ebenso sorgfältig frisiert war ihr schwarzes Haar, das in weichen Wellen ihr Gesicht zu umrahmen schien, vermutlich waren Unmengen von Haarspray der Grund dafür, dass die Frisur im Stil der Vierziger immer noch hielt. Sie sah fast aus, als würde sie schlafen. Auf ihrem Bauch lag der Lolli, den sie auch bei den anderen Frauen gefunden hatten. Ackermann meinte: „Ob das Anna Koch ist?“

      „Ja, ich glaube wir sollten mal die Streife fragen, ob sie diese Anna angetroffen haben. Außerdem sollten wir den Vermieter noch einmal befragen“, antwortete Laura leise. Fünf Minuten später standen sie vor der Haustür des Vermieters. Der Mann, der ihnen die Tür geöffnet hatte, war in den Dreißigern. Sein welliges dunkelblondes Haar fiel ihm über die breiten Schultern. Um den Hals trug er eine Lederschnur mit einem Anhänger, der aussah wie ein Keltenknoten. Mit seinem Bart und dem Gewand, das er trug, wirkte er wie jemand aus dem Mittelalter. Ackermann stellt Laura vor. „Herr Grimm, das ist Hauptkommissarin Braun, dürfen wir eintreten?“ Er machte einen Schritt zurück. „Ja klar, am besten hier links in die Küche.“

      Er ging den Flur entlang in Richtung Küche. Laura betrachtete im Vorbeigehen die Fotos an der Wand. Sie zeigten Menschen in mittelalterlichen Gewändern. Laura erkannte Grimm, der auf fast jedem Bild zusammen mit einer Frau mit sehr langem blondem Haar abgelichtet war. Über einer Truhe im mittelalterlichen Stil hingen Dolche und Äxte. Laura erinnerte sich an ihre Freundin Yvonne, die einmal in solch einem Gewand bei ihr geklingelt hatte, um sie abzuholen. Laura hatte sie ausgelacht, wie sie so dagestanden hatte in ihrem mittelalterlichen Kleid und mit der Haube auf dem Kopf. „Ich dachte wir gehen auf ein Burgfest und nicht zum Fasching“, hatte sie damals gerufen. Aber Yvonne hatte nur lächelnd geantwortet: „Los, steig ein, du wirst dich noch wundern.“ Auf der Burg Oberstein angekommen, hatte Laura feststellen müssen, dass fast alle Leute gewandet herumgelaufen waren. In Jeans und T-Shirt war sie geradezu aufgefallen. Sie waren in der Küche angekommen.

      „Wollen Sie sich setzen?“, Grimm zeigte auf einen Tisch mit zwei Bänken aus massivem Kiefernholz. Laura schaute sich in der Küche um. Sie fühlte sich in eine andere Zeit versetzt. Sie nahmen auf den Holzbänken Platz. Grimm lehnte sich an die Arbeitsplatte der Küchenzeile. Er war blass. Auf der Arbeitsplatte stand neben einer Flasche Absinth ein halb leeres Glas, daneben ein Aschenbecher, in dem einige Stummel lagen. Zigarettenrauch hing in der Luft und Laura wünschte sich, er würde ein Fenster öffnen. Sie räusperte sich und sah ihn direkt an, wobei sie blind in ihrer Handtasche nach etwas zum Schreiben kramte.

      „Herr Grimm, erzählen Sie uns bitte noch einmal genau, was sie wissen. Wer hat die Wohnung gemietet? Wie funktioniert das mit Ihren Gästen?“

      Es dauerte einen Moment, ehe er antwortete. Dann sagte er leise:

      „Meine Frau und ich sind Anhänger von BDSM und hatten uns ein entsprechendes Zimmer eingerichtet. Meine Mutter wohnte in der Wohnung unter uns. Als sie vor drei Jahren starb, hinterließ sie mir das Haus. Zur gleichen Zeit wurde ich arbeitslos, dadurch hatte ich plötzlich mehr Zeit, als mit lieb war. Mir kam die Idee, aus der Wohnung meiner Mutter eine SM-Wohnung zu machen. Der Laden im Erdgeschoss gehört auch uns. Hier habe ich einen Sexshop mit Versandhandel eingerichtet. Außerdem Räumlichkeiten für Workshops. So habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht und war gleichzeitig nicht mehr arbeitslos. Wir nutzen diese Wohnung auch, wenn sie nicht vermietet ist. Da in unserer Region solche Spielwiesen nicht an jeder Ecke zu finden sind, ist unsere Black Flat fast immer ausgebucht.“ Er machte eine kurze Pause. „Wir haben eine Internetseite eingerichtet, über die die meisten Leute die Wohnung buchen. Aber auch Kunden aus dem Laden oder von den Workshops buchen direkt bei mir. Die Wohnung wird ausschließlich privaten Nutzern angeboten. Ausnahmen sind Fotografen. Man kann die Wohnung stundenweise oder auch für mehrere Tage mieten.“ Er holte tief Luft und lief zum Küchenfenster, um es zu öffnen. Laura atmete dankbar die kühle Morgenluft ein. „Wollen sie vielleicht einen Kaffee?“ Ackermann nickte. Auch Laura war froh über das Angebot. Grimm schob nacheinander zwei Tassen unter den Auslass eines Kaffeevollautomaten. Aromatischer Kaffeeduft stieg Laura in die Nase. Dankbar nahmen beide die Tassen entgegen. Grimm fuhr fort: „Frau Koch hat die Wohnung vor drei Tagen online für den Abend gebucht und auch gleich im Voraus bezahlt.“ Er schluckte und seine Stimme begann zu zittern. „Sie kam gestern Abend wie vereinbart gegen halb sieben in den Laden, um den Schlüssel zu holen. Sie sagte, dass sie noch auf eine Freundin warten würde, und bat mich, das Hoftor die Nacht über offenzulassen, damit sie jederzeit gehen könnte. Den Schlüssel sollte sie in die Metallschüssel im Flur legen und die Abschlusstür einfach zuziehen. Als ich heute Morgen kam, um die Wohnung für die nächsten Gäste herzurichten, fand ich diese Frau.“ Er atmete geräuschvoll aus.

      „Haben Sie gestern Abend etwas gehört oder bemerkt?“ fragte Laura. „Ein Fahrzeug auf dem Parkplatz oder jemanden, der durchs Treppenhaus ging?“

      Grimm schüttelte langsam den Kopf. „Nein, gar nichts. Außerdem waren meine Frau und ich gestern Abend im Kino. Wir sind erst kurz vor Mitternacht nach Hause gekommen. Auf dem Parkplatz stand nur der Honda von Frau Koch, der ja immer noch da steht. Außerdem muss ich erwähnen, dass die Wohnung gut isoliert ist.“ Er seufzte. „Selbst wenn ich Schreie gehört hätte, hätte ich mir nichts dabei gedacht, da Lust und Schmerz ja manchmal doch nah beieinander liegen.“

      „Wie sieht Anna Koch aus?“, wollte Ackermann wissen. Grimm nahm einen Schluck von seinem Kaffee, ehe er antwortete: „Wie Dita von Teese. Sehr hübsch. Dunkle Haare. Kleidung im Stil der vierziger Jahre.“

      „Ist Ihnen an ihr etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“, fragte Ackermann, während er einen weiteren Schluck Kaffee trank. Grimm überlegte: „Wir haben alle unsere


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