Läufers Fall. Lothar Koopmann

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Läufers Fall - Lothar Koopmann


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„Wo nur der neue Trainer geblieben ist? Ungewöhnlich, nicht?“

      „Finde ich auch, die letzten Monate war Günni doch sonntags immer da, selbst in den Ferien.“

      „Ja, er sagte, er fahre nicht weg, da sei das Laufen eine prima Ablenkung vom Alltag.“

      „Was macht der eigentlich beruflich? Hat er mir nie erzählt. Dir?“

      „Ich glaube, der ist Ingenieur oder so, für Schiffsbau oder so.“

      „Was? Ein Österreicher als Schiffsbauer? Das ist ja wie Franz Klammer in der Sahara! Wüstenstaub am Abfahrtsski verdreht dir höchstens nur das Knie!“

      „Mann, du immer mit deinen Gedichten! Er hat wohl lange in Hamburg gelebt, um den Beruf ausüben zu können, mehr weiß ich auch nicht.“

      In der zweiten Reihe haben die beiden Frauen es sich in der Zwischenzeit bei ihrem Lieblingsthema gemütlich gemacht. Edeltraud fragt Melanie gerade nach ihrem besten Rezept für eingelegte Heringe, als sie sieht, dass ihnen ein Mann im seidenen Jogginganzug mit einem Rottweiler an der Leine entgegen kommt. „Ich muss mal in die Mitte da vorne“, ruft Edeltraud ihrer Nachbarin hektisch zu und sprintet einige Meter, um sich zwischen die beiden Führenden zu drängeln. „Keine Angst, der tut nichts“, will Kai-Uwe seine Frau beruhigen.

      „Das sagen sie alle, und: Der will doch nur spielen“, gibt sie verängstigt zurück.

      Der Mann hat Edeltrauds panisches Verstecken in der Mitte der ersten Reihe bemerkt und lässt bei der Begegnung ein lachendes: „Keine Angst, junge Frau, der tut nix“ hören, um dann interessiert stehen zu bleiben. Der Rottweiler knurrt böse, wahrscheinlich, weil es nicht weitergeht. „Das wissen Sie, aber weiß das auch der Hund?“, fragt Edeltraud besorgt nach hinten. Der Mann zieht kopfschüttelnd von dannen und zerrt das Tier hinter sich her. Edeltraud reiht sich wieder neben Melanie ein.

      Hinten geht es schweigsam zu. Manfred weiß, dass Edgar noch weniger als Melanie mit seinem italienischen Hobby anfangen kann, beide verweigern Interesse an den Erfolgen ihres heimischen aufstrebenden Zweitligisten, und Edgar kann und will mit einem Sportlehrer nicht über Mauern, Betonstürze und Estrich-Verlegung reden – so finden sie kein gemeinsames Thema, laufen einfach stumm nebeneinander her und hören dem Geplapper der Frauen zu, die sich mittlerweile den Themen Garten und Blumenpflege zugewandt haben. Edeltraud schwärmt von der bunten Pracht in ihrem kleinen grünen Paradies, und Melanie kontert, ihr Balkon sei auch ganz schön bepflanzt.

      Bald ist kurz vor dem dritten Kilometerschild der Regattarunde der Abzweig Richtung Mülheim erreicht, und der Trupp trottet gemächlich über die Wedauer Brücke, danach links und sofort wieder rechts in den Wald hinein. Nach kurzer Zeit überqueren sie die Autobahn A3 und halten sich dann halb rechts, um erst den Worringer Reitweg zu kreuzen und dann ganz leicht Richtung Rottweg aufzusteigen.

      Plötzlich meldet sich Kai-Uwe zu Wort und unterbricht die Frauen, die gerade intensiv diskutieren, ob Dahlien im Sommer schöner seien oder Fuchsien.

      „Hört mal, Jungs und Mädels, ich hab’ mir gerade was überlegt. Edeltraud ist ja im Moment wegen ihrer Achillessehne nicht so gut drauf. Was haltet ihr davon, wenn wir vor der Steigung Rottweg nach links in die Tannenstraße abbiegen und dann über den Ganghofer Weg wieder zurückkommen? Da geht es zwar auch bergauf, ist aber flacher und sicher gut für Edeltraud.“

      Manfred verzieht das Gesicht: „Auf der Strecko habe ich mir einmal fürchterlich den Knöchelo verstaucht, als ich an einer Grasnarbo hängen geblieben bin. Ich bin ehrlich gesagt überhaupt nicht dafüro.“

      Da das aber der einzige Vorbehalt bleibt und der Rest der Truppe die Änderung gut findet, biegt der Tross unter Manfreds Protesten nach links ab, die Tannenstraße hoch mit ihrer schwachen Steigung. Kai-Uwe wartet lange auf eine Bemerkung von Edeltraud und hat schon fast die Hoffnung aufgegeben, als sie sich doch meldet: „Prima Strecke, ganz ohne Hunde. Total einsam und absolut ruhig. Aber hier sind wir doch noch nie gelaufen, oder?“

      Die Männer können sie beruhigen; hier sei man schon mehrfach gelaufen, aber immer anders herum.

      „Sagte ich doch, so rum noch nie“, erwidert Edeltraud und nimmt die Dahlien-Fuchsien-Diskussion mit Melanie genau an der Stelle wieder auf, an der sie unterbrochen worden war.

      Kurz nach dem Vogelherdweg ergibt sich das nächste vorhersehbare Ereignis: Edeltraud muss in die Büsche – dringend. Manfred Pechner findet die angepeilte Stelle wenig geeignet und fordert sie auf, noch ein wenig weiter zu laufen. Sie werde es sicherlich bald bereuen, kaum Sichtschutz zu haben. Edeltraud verweigert das aber aus verständlichen Gründen. „Lauft ihr ruhig langsam weiter – ich komme gleich nach.“

      Für durchschlagende Explosionsfälle hat sie immer einen kleinen Vorrat sorgsam gefaltetes Toilettenpapier in der Jacke, so dass sie sich generalstabsmäßig versorgt nach rechts in den Wald kämpfen kann, um im Unterholz oder im Reich der Farne garantierten Sichtschutz zu finden.

      Die restlichen fünf Läufer drosseln das Tempo und traben nach zweihundert Metern im Kreis weiter, um auf die Waldgängerin zu warten. Plötzlich hören sie hinter sich einen gellenden Schrei und bleiben erschrocken stehen. „Da wird sich doch wohl kein Hundo im Gebüscho versteckt und dann Edi angesprungen haben?“, frotzelt Manfred.

      „Komm, lass, sie wird einen Grund haben, so zu brüllen“, verteidigt Kai-Uwe seine Frau und will ihr entgegenlaufen, um nach dem Rechten zu sehen.

      Doch da kommt sie schon auf den Tannenweg gestürmt, an ihrer roten Laufjacke gut zu erkennen, und schreit weiter, wild mit den Armen rudernd.

      „Kann einer was verstehen?“, fragt Melanie besorgt.

      „Irgendwas mit roter, wahrscheinlich bloß ein rötlicher Dackelo oder bei dem Kracho ein Reho“, vermutet Manfred mit gelangweiltem Augenaufschlag und hochgezogenen Brauen.

      Als Edeltraud schreiend und weinend mit hochrotem Kopf im Sprinttempo näher kommt, ist sie deutlich zu verstehen: „ Ein Toter, ein Toter, da vorne im Wald liegt ein Toter!“

      3

      „Was ist los? Ein Toter? Wo?“ Die Panik seiner Frau hat sich auf Kai-Uwe übertragen. Im Halbkreis umringt die Gruppe ihre Laufkollegin, die sich zitternd mit den Händen auf den Knien abstützt.

      „Mir ist schlecht, mein Kreislauf ...“, schluchzt Edeltraud, immer noch keuchend und weinend.

      „Was ist passiert?“, will Manfred Pechner wissen. „Ein Totero?“

      „Als ich mich im Wald hingehockt hatte, habe ich ihn gesehen.“

      „Weno?“

      „Den Schuh, genau neben mir unter dem Farn. Und dann das Bein und dann...“ Edeltrauds Stimme versagt, und Tränen laufen über ihr Gesicht.

      „Und danno?“

      „Dann habe ich gesehen, dass neben mir ein Mann auf dem Boden lag, halb von Farn verdeckt. Er lag auf dem Bauch und hat sich nicht bewegt.“

      „Bist du sicher, dass der tot ist? Vielleicht ist dem auch nur schlecht“, drängelt Paul unwirsch. „Nicht jeder, der am Boden liegt, wurde von dem Tod besiegt.“

      „Ich bin vor Schreck aufgesprungen und habe dabei den Schuh berührt. Der Mann ist tot, sag ich dir, mausetot, sonst hätte der doch reagiert, als ich geschrien habe.“

      „Klingt überzeugend“, unterstützt Kai-Uwe seine Frau. „Kommt, wir gehen mal gucken, was da los ist.“

      „Ich gehe nicht mit, da kriegen mich keine zehn Pferde wieder hin“, wehrt Edeltraud ab und setzt sich protestierend auf einen großen Findling am Weg. „Geht ihr nur, ich bleibe hier.“

      „Darf ich mit oder soll ich bei dir bleiben?“, fragt Melanie schüchtern.

      „Geh nur, ich komme schon zurecht.“

      Die Gruppe trabt gemeinsam zweihundert Meter zurück, bis sie die Stelle erreicht, an der Edeltraud sich nach links in den Wald geschlagen hatte. Vorsichtig


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