Licht zwischen den Bäumen. Una Mannion

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Licht zwischen den Bäumen - Una Mannion


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zusammenzulegen, während Thomas staubsaugte. Sie hatten die Arbeiten übernommen, die eigentlich Ellen erledigen sollte. Beatrice war sieben, fünf Jahre jünger als Ellen und sieben Jahre jünger als ich. Und Ellen hatte recht, unsere Mutter verwöhnte sie, das machten wir im Grunde alle, aber trotzdem war sie kein nerviges Kind und stand nicht gern im Mittelpunkt. Ich setzte mich neben sie auf das Sofa und faltete ein Schuloberteil.

      »Ich weiß gar nicht, warum Ellen so sauer auf mich war.« Beatrice sah mich an. In ihrem Mund klaffte eine Lücke, wo ihr zwei Milchzähne ausgefallen waren. Ihr lockiges Haar war dicht hinter den Ohren zu zwei dicken Zöpfen gebunden.

      »Sie war nicht sauer auf dich. Du kannst nichts dafür, Bea.«

      »Und wenn sie sich jetzt verläuft oder von einem Auto angefahren wird?«

      »Ihr wird schon nichts passieren. Wir sind es doch alle gewohnt, im Dunkeln über den Berg zu laufen. Sie kennt die Straßen. Hilf Marie, nach ihr Ausschau zu halten, ja?« Beatrice nickte.

      Thomas rief über den Staubsaugerlärm hinweg: »Was ist denn das für eine Arbeitsmoral? Weiterfalten, aber dalli! Links, zwo, drei, vier!« Sofort strahlte Bea wieder und rollte ein paar Socken zusammen.

      »Ich muss los. Ruft mich auf jeden Fall bei den Bouchers an, wenn sie wieder da ist.« Ich ging noch einmal die Treppe hoch, um unserer Mutter Bescheid zu sagen. Ihre Zimmertür war abgeschlossen. Ich klopfte. »Ich bin dann jetzt weg, Mom.« Sie reagierte nicht.

      Im Flur kam mir Marie entgegen, die nach unten wollte. »Lass sie besser in Ruhe.«

      »Ich sage ihr ja nur, dass ich jetzt gehe.« Am liebsten hätte ich mit voller Kraft gegen die Tür getreten. Ich ging zurück in unser leeres Zimmer und nahm mir Ellens Mappe, sah die Blätter durch und suchte die mit den grünen Kreisen: das schemenhafte Selbstportrait, die Familie ohne Eltern, ein paar Skizzen zu einem Hirsch, nur Kopf und Geweih, alle mit Bleistift gezeichnet, in unterschiedlichen Graustufen. Das waren keine süßen Kinderzeichnungen; sie wirkten nüchtern, abgeklärt und traurig. Mir war klar, dass Ellen in ihrer Klasse die absolute Ausnahme sein musste. Ich nahm den Brief, die Broschüre, das Empfehlungsschreiben und die Blätter. Mom musste das wissen. Ich ging zurück zu ihrem Zimmer, kniete mich auf den Teppich und schob alles einzeln unter ihrer Tür durch. Dann brach ich auf.

      Unser Haus am Berg hatte mehrere Ebenen. Insgesamt waren es vier, mit kurzen Treppen von jeweils fünf Stufen dazwischen. Es gab vier Schlafräume. Das Zimmer unserer Mutter, Beas Kammer und das Zimmer, das ich mir mit Ellen und Marie teilte, lagen auf derselben Ebene. Beas Zimmer war wirklich klein und grenzte direkt an das unserer Mutter. Thomas hatte ein großes Zimmer ganz oben. Ich liebte dieses Haus und den Wald ringsherum. Wir waren kurz nach Ellens Geburt an den Berg gezogen. Vorher hatten wir in Ardmore gewohnt. Ich glaube, unser Vater hat sich am Berg nie richtig wohl gefühlt. Er war nicht wie die anderen Väter dort. Das lag nicht nur an seiner Arbeit; er war schon nach dem fünften Schuljahr, das unserer amerikanischen fünften Klasse entsprach, von der Schule abgegangen. In Irland, erzählte er uns, war das für Kinder, die auf Bauernhöfen aufwuchsen, ganz normal gewesen. Sie mussten mitarbeiten. Und mein Vater arbeitete härter als jeder andere Mensch, den ich kannte. Er war nur offenbar nicht in der Lage, Geld zurückzulegen.

      Vor Beatrices Geburt hatten unsere Eltern eine Mal-zusammen-und-mal-getrennt-Phase durchlaufen, aber als sie zur Welt kam, war er schon ausgezogen. Danach sahen wir ihn nicht mehr so oft, aber ich half ihm noch immer beim Rasenmähen und Laubrechen. Er blieb in der Gegend um Philadelphia und hatte wechselnde Wohnsitze, aber es hielt ihn nirgendwo lange. Dann bot ihm ein entfernter Verwandter Arbeit und Unterkunft in der Bronx an, wo er eine Firma für Garten- und Landschaftsbau betrieb. Ein einziges Mal hatten wir ihn dort besucht – Marie, Thomas, Ellen und ich. Wir waren an der 30th Street Station, dem Zentralbahnhof, in Philadelphia in den Zug gestiegen, und er hatte uns an der Penn Station in Manhattan abgeholt. Er stand oben an der Rolltreppe, als wir vom Bahnsteig hinauffuhren. Nach der Arbeit hatte er geduscht und ein Hemd und eine Krawatte angezogen, ganz altmodisch, so wie er es auch, als er noch bei uns wohnte, immer gemacht hatte, wenn wir irgendwohin gingen. Nie sah man ihn in Freizeitkleidung wie die Väter meiner Freundinnen. Er besaß keine Jeans, keine leichten Hosen oder Shorts. Nicht einmal Turnschuhe, die auch einfach nicht zu ihm gepasst hätten. Er trug klassische weiße T-Shirts, aber nichts mit Aufdruck und beim Rasenmähen Arbeitshosen. Sein lockiges Haar war immer zurückgekämmt und seitlich gescheitelt.

      »Dad ist halt Fünfzigerjahre«, sagte Marie immer voller Stolz. Sie meinte, es sei doch komisch, dass erwachsene Männer in den USA sich inzwischen anzögen wie kleine Jungs, sie besäßen überhaupt keine Eleganz mehr.

      Wir fuhren mit der U-Bahn bis nach Woodlawn in der Bronx, wo er jetzt wohnte. Die Häuser standen dicht beieinander, mit Maschendrahtzäunen dazwischen. Straßen und Höfe wirkten nackt. Es gab keine Bäume, nur ein paar versprengte, kümmerliche Sträucher, und mir kam es seltsam vor, dass mein Vater an einem Ort so ganz ohne Blätter lebte. Vor den Häusern, in deren Gärten wir ihm bei der Arbeit geholfen hatten, lag das Laub manchmal so hoch, dass es mir bis zur Taille reichte, wenn ich hindurchwatete. Dann schaltete Dad den Laubbläser ein, und die Blätter wirbelten um uns herum auf und fielen wieder herab. In der Bronx hatte er eine möblierte Einraumwohnung gemietet, wie er es nannte, ein Zimmer, das an ein anderes Haus grenzte, aber seinen eigenen Eingang hatte. Unter dem Fenster war eine kleine Küchenzeile. Auf einem Elektroherd mit zwei Kochplatten bereitete er zum Abendessen Steak mit Kartoffelbrei für uns zu. Es gab ein winziges Bad mit Dusche und ein Sofa, das ihm auch als Bett diente. Er holte den Schaumstoff, den er hinter dem Fahrersitz seines Pickups lagerte, und rollte ihn auf dem Boden aus, und so verbrachten wir die Nacht, wir vier und er, zusammen in diesem einen Zimmer in der Bronx. Er hatte extra für unseren Besuch neue Teller und neues Besteck gekauft, damit wir zu fünft essen konnten. Bis heute denke ich beim Einschlafen noch manchmal an diese Nacht. Wir alle zusammen, wie wir dort im Dunkeln lagen und redeten, gemeinsam atmeten, in diesem einen Zimmer.

       3

      Ich trat in die Dunkelheit hinaus. Dort, wo die Rasenflächen an den Wald grenzten, schimmerten die Leuchtkäfer. Die Nachtluft war warm und fühlte sich nach Sommer an. Die Bouchers wohnten auf der anderen Seite des Bergs; zu Fuß etwa zwanzig Minuten. Auf dem Weg musste ich am Haus der Addisons vorbei, dem »Manson-Haus«. Die Addisons waren aus Kalifornien an den Berg gezogen und wohnten eine Straße weiter oben als wir. Kurz nach ihrem Einzug fingen die Leute an zu reden. Es hieß, Mr Addisons Firma habe in Kalifornien Mammutbäume gefällt, deren Holz dann nie verarbeitet und irgendwann im Pazifik versenkt worden sei, und sein Name stehe ganz oben auf der »Todesliste«, die Charles Manson im Gefängnis geschrieben hatte. Ein paar Jahre zuvor hatte ein Mitglied der Manson-Familie versucht, Präsident Ford zu töten, um die Mammutbäume Kaliforniens zu retten. Niemand konnte sagen, ob an den Gerüchten um Mr Addison etwas dran war. Marie besaß eine Ausgabe von Helter Skelter, und ich hatte sie gelesen. In der Mitte gab es einen Bildteil mit Fotos. Ich betrachtete sie aufmerksam, versuchte, die Gesichter der jungen Frauen zu entschlüsseln, die sich Mansons Gruppe angeschlossen hatten, prägte sie mir ein, für den Fall, dass mir jemals eine von ihnen hier begegnete. Noch immer ging ich automatisch schneller, sobald ich einen VW-Bus sah.

      Das Haus der Addisons lag tief im Wald. Je näher ich ihm kam, desto langsamer wurde ich, machte mich zum Sprint bereit. Die Außenbeleuchtung war mit einer Art Sensor ausgestattet und wenn nachts jemand vorbeiging, schaltete sie sich ein und tauchte das Haus und den umliegenden Wald in gleißendes Licht. Ich wechselte die Straßenseite, um sie nicht auszulösen, und ungefähr fünf Meter vor dem Grundstück rannte ich los, lief, so schnell ich konnte, gut hundert Meter weit, und dabei malte ich mir die Mörderinnen aus, die im Wald lauerten. Ich schaute über die Schulter zurück, um zu sehen, ob ich irgendwie verfolgt wurde. Oben an der High Point Road gab es eine Abkürzung direkt durch den Wald, die am Wasserturm vorbeiführte und zum Horseshoe Trail gehörte. Es war dunkel, aber ich kannte den Weg. Ich war schon so oft hier entlang gerannt. Gelbe Rechtecke, die an die Baumstämme gemalt waren, kennzeichneten den Wanderweg und leuchteten im Dunkeln kurz auf, wenn ein Splitter Mondlicht darauf fiel. Ich fand diese Markierungen immer sehr beruhigend; wie in einem Märchen zeigten sie mir, dass ich noch auf dem richtigen Weg war. Aber heute schwappte eine Welle der Panik über


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