Licht zwischen den Bäumen. Una Mannion

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Licht zwischen den Bäumen - Una Mannion


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Lichtung mit zwei Türmen. Der eine war ein riesiger Wasserturm aus Metall, ein massiges graues Gebilde, umringt von Eichen und Ahornbäumen. An manchen Tagen, wenn die Sonne am späten Nachmittag schon tiefer stand als das Blätterdach, warfen die Bäume perfekte Schatten auf die glatte Oberfläche, und der Turm schien fast ein Teil des Waldes zu werden. Der andere Turm war höher, ein bloßes Gerüst aus sich kreuzenden Metallteilen. Er sah aus, als würde er sich jeden Moment bewegen, seine Glieder ausstrecken und alle menschlichen Eindringlinge zerquetschen. Wir vermuteten, dass er irgendwie mit Strom zu tun hatte. Beide Türme waren von einem hohen Zaun umgeben, an dem oben in einem Winkel Reihen von Stacheldraht gespannt waren. Vergebens: Die Jugendlichen kletterten trotzdem darüber, sprangen dann hoch an die unterste Sprosse der Steigleiter des Wasserturms und zogen sich hinauf, um ihn zu erklimmen. Vor dem anderen Turm, der womöglich unter Strom stand, fürchteten sich alle.

      Von der anderen Seite der Lichtung hörte ich Stimmen und Gelächter, wahrscheinlich ein paar Jugendliche aus Phoenixville, die dort herumhingen, kifften und Bier tranken. An beiden Türmen blinkten rote Lichter, als Warnung für den Flugverkehr oder auch als Signal an andere Außerirdische.

      Letzten Winter waren Thomas und ich mit Jack Griffith hier oben gewesen, Thomas’ ältestem Freund am Berg. Seit Dads Beerdigung hatten wir ihn nicht oft zu Gesicht bekommen. Thomas ging kaum noch aus dem Haus, rief niemanden mehr zurück. Es war ein, zwei Tage nach Neujahr, in der Abenddämmerung; wir hatten noch Weihnachtsferien, und es schneite. Marie, Thomas und ich waren draußen und versuchten die Einfahrt freizuschippen, als Jack in einem kleinen Nissan Datsun herangerumpelt kam. Er habe jetzt den Führerschein, sagte er, und habe sich gedacht, Thomas und er könnten ein bisschen in der Gegend rumfahren, bevor die Schneepflüge kämen. Marie sagte zu Thomas, er solle ruhig mitfahren. Bevor sie in den Wagen stiegen, drehte Jack sich zu mir um und fragte, ob ich auch mitwolle, und ohne groß nachzudenken, sagte ich ja und kletterte auf den Rücksitz.

      Wir fuhren durch tiefen Schnee. Die Straßen waren leer, nirgends waren Reifenspuren zu sehen; nur die Bäume legten den Verlauf der Fahrbahn fest. Es war dunkel, und wir fuhren, geborgen in Jacks Datsun, über den Berg, während es um uns herum weiterschneite. Im Radio lief »The Logical Song« von Supertramp, und wir versuchten, die Horseshoe Trail Road hinaufzukommen, aber die Räder drehten durch, der Wagen rutschte immer wieder zurück. Jack bekam ihn nicht weiter die Straße hinauf, also hielt er an, wir stiegen aus und stapften zu Fuß hoch bis zum Wasserturm, um zu sehen, wie es dort, ganz oben auf dem Berg aussah, wenn alles weiß war. Zu dritt standen wir in der abendlichen Schneestille, mit kalten Gesichtern, inmitten dicker Flocken und blinkender Lichter, und ich fühlte mich glücklich. Ich weiß noch, wie ich zu Jack hinüberschaute und er auf einmal schön geworden war, das dunkle Haar, die roten Wangen. Ich sah ihm an, dass auch er glücklich war, einfach nur, weil er hier mit uns stand. Seither war ich ein klein wenig verknallt in ihn, aber das hatte ich nicht mal Sage erzählt. Ich bekam ihn ja sowieso kaum zu Gesicht. Und Thomas auch nicht.

      Als ich am Turm vorbeiging, hörte ich noch mehr Gelächter, Glas splitterte, und ich rannte los, damit sie mich nicht entdeckten. Aber ich war noch nicht bis zu den Bäumen auf der anderen Seite der Lichtung gekommen, als sich in der Dunkelheit vor mir Schatten bewegten. Ich verlangsamte meine Schritte und ging auf die fünf oder sechs Jugendlichen zu, die, von Grasgeruch umweht, in einem lockeren Kreis zusammenstanden. Abbey Quinn machte einen Schritt auf den Weg hinaus.

      »Hey, Gallagher, bist du das? Wo willst du denn hin?«

      Ich blieb stehen. Ich mochte Abbey, aber die anderen, die bei ihr waren, machten mich befangen. »Hallo, Abbey. Ich gehe babysitten.«

      »Bei der bildschönen Mrs Boucher?« Abbey kicherte. Sie war bekifft.

      Ich schaute zu den anderen hinüber, versuchte, ihre Gesichter zu erkennen. »Ja.«

      »Ich hab gehört, es gibt jemanden, der Mrs Boucher besonders schön findet«, sagte sie und fing wieder an zu lachen.

      Ich wusste nicht, was sie damit sagen wollte, und zuckte nur die Achseln. Abbey legte mir den Arm um die Schultern. Getrunken hatte sie auch.

      »Du solltest mal ’n bisschen öfter herkommen. Würde dir guttun. Mit Sage.«

      »Ich versuch’s«, sagte ich. »Aber jetzt muss ich los. Bis dann.« Und damit ging ich weiter den Weg entlang.

      Er endete an der Straße, in der die Bouchers wohnten, und ich wandte mich nach links, hangabwärts. Hinter dem Haus der Bouchers lag eine Nike-Raketenbasis im Besitz der US-Regierung. Weil Philadelphia zu den wichtigsten Städten der USA gehörte, war es von vielen solcher Stützpunkte umgeben, die angeblich angreifende Raketen orten und Abwehrgeschosse abfeuern konnten, um sie zu treffen und zu zerstören. Einige der Stützpunkte hatten den Radar, die anderen hatten die Raketen. Ich wusste nicht, wie es bei unserem war. So oder so, es bedeutete, dass der Atomkrieg in greifbare Nähe gerückt war, dass wir zum Ziel werden konnten und im Boden unter uns Raketen lagerten. Nuklearwaffen und Radioaktivität machten mir Sorgen. Vor ein paar Jahren, nach dem Reaktorunfall auf Three Mile Island, mussten viele Menschen evakuiert werden. Wir hörten im Autoradio von Dads Pickup davon, auf dem Heimweg von der Schule. Harrisburg lag nur anderthalb Stunden Fahrt von uns weg, Luftlinie weniger. Ich hatte mir vorgestellt, wie die Menschen zu Fuß flüchteten und sich angsterfüllt nach dem Unsichtbaren umdrehten, das die Luft mit sich trug, wie alles von einer Verseuchung ausgelöscht werden konnte, die man nicht einmal sah. Es hieß, die Stützpunkte hätten schon seit den Sechzigerjahren ausgedient. Waren also auch die Boden-Luft-Raketen entfernt worden, oder ruhten sie immer noch hier unter der Erde? Das wusste niemand.

      Mrs Bouchers Haus lag mehrere hundert Meter abseits der Straße, an einem steilen Abhang, und war vom Anfang der Zufahrt aus praktisch nicht zu sehen. Auf dem Weg nach unten sah ich die durch die Bäume zerschnittenen Lichter des Hauses. Ich nahm mir vor, Mrs Boucher zu erzählen, was mit Ellen passiert war. Vielleicht würde sie sich ja mit mir und den Jungs ins Auto setzen und den Berg hinunterfahren, um auf der Straße nach ihr Ausschau zu halten. Oder ich würde mit den Jungs im Haus bleiben, und sie könnte sich auf die Suche machen. Ich wusste, sie würde uns helfen. Aber kaum stand ich vor der Haustür, öffnete Mrs Boucher mir bereits; ich kam nicht einmal zum Klopfen. Sie hatte sich einen leichten Schal um die Schultern gelegt und schon nach Handtasche und Schlüssel gegriffen. Sie trat einen Schritt zurück, um mich einzulassen, nahm aber die Hand nicht von der offenen Tür.

      »Hallo, Libby. Entschuldige, ich bin heute sehr in Eile. Die Jungs sind schon im Schlafanzug. Im Gefrierfach steht Eis. Ich habe Schoko-Mint für dich besorgt.« Ich zögerte kurz, bevor ich ins Haus trat. Mrs Boucher sah mich an. »Alles in Ordnung?«

      »Ja, alles bestens. Danke. Auch für das Eis. Heute war der letzte Schultag vor den Sommerferien«, setzte ich noch hinzu, als würde das irgendetwas erklären. Ich ging an ihr vorbei in die Diele.

      »Ach, das Paradox der Freiheit«, sagte Mrs Boucher, als wäre ihr alles klar. »Wir sehen uns später, wenn ich zurück bin.« Und damit zog sie die Haustür hinter sich zu.

      Warum hatte ich ihr nichts erzählt? Ich fasste nach der Klinke, um die Tür zu öffnen, sie zurückzurufen, ihr zu sagen, dass wir Hilfe brauchten. Aber ich fand es schrecklich, andere um etwas zu bitten. Vielleicht würde sie ja auf ihrem Weg den Berg hinunter an Ellen vorbeifahren. Ich rief mir all die Leute vor Augen, die auf dem Heimweg an Ellen vorbeifahren könnten. Irgendwer würde doch sicher anhalten. In ihrer Schuluniform war sie leicht zu erkennen.

      Ich spielte mit den Jungs und brachte sie dann ins Bett. Bruce, dem Zweijährigen, las ich Gute Nacht, Mond vor, Peter, dem Fünfjährigen, Peter Hase. Bruce nuckelte am Daumen und kuschelte sich an mich. Er hatte eine Mondlampe in seinem Zimmer, und als ich an der Stelle war, wo dem Zimmer Gute Nacht gesagt wird, schlief er längst. Nach dem Vorlesen nahm Peter gern selbst das Buch, um die Bilder noch einmal ganz genau zu betrachten. Ich tat so, als wäre auch er ein Hase, wir rieben zum Gute-Nacht-Sagen die Nasen aneinander und ich ermahnte ihn, sich noch schön das Fell zu putzen und zum Schlafen die Ohren anzulegen.

      Dann ließ ich ihn allein und ging nach oben ins Wohnzimmer. Die ganze Zeit lauschte ich angestrengt auf das Telefon. Um zehn nahm ich den Hörer ab, um zu überprüfen, ob das Freizeichen zu hören war, und legte ihn dann


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