DS-GVO/BDSG. David Klein
Читать онлайн книгу.href="#ulink_7c3d6e84-7fde-57fc-aa7d-11e95c5352e8">Abs. 2
a) Mitgliedstaatlicher Gestaltungsspielraum
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Den Mitgliedstaaten steht es nach Abs. 2 offen, spezifischere Bestimmungen für öffentliche Aufgaben beizubehalten oder einzuführen. Diese kommen dann neben der DS-GVO zur Anwendung. Demnach können die Unionsmitglieder Rechtsetzung betreiben, um die Anwendung der entsprechenden Vorschriften im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 lit. c und e zu konkretisieren und konturieren. Im Ausgangspunkt belässt die DS-GVO dem deutschen Gesetzgeber einen erheblichen normativen Gestaltungsspielraum. Dies ergibt sich bereits aus ErwG 10. Er räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, spezifischere Regelungen für die Anpassung anzuwendender Verordnungsregeln zu erlassen und auch die Voraussetzungen für die Verarbeitungen auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 lit. c und e zu bestimmen.[365]
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Es handelt sich also bei Art. 6 um eine weit gefasste Öffnungsklausel im Unionsrecht, die den Mitgliedstaaten für die Verarbeitung personenbezogener Daten im öffentlichen Interesse innerhalb des Gestaltungsspielraums der DS-GVO weitgehende gesetzgeberische Entscheidungsprärogativen zuschreibt. Weil die DS-GVO selbst an vielen Stellen offen formuliert ist, liegt der Gedanke nahe, dass Konkretisierungen durch nationales Recht gerade dort erwünscht sind, wo Öffnungsklauseln sie erlauben.[366]
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So kann festgelegt werden, wie der Verantwortliche zu bestimmen ist, welche Art von personenbezogenen Daten verarbeitet werden, welche Personen betroffen sind, welchen Einrichtungen die personenbezogenen Daten offengelegt werden, für welche Zwecke und wie lange sie gespeichert werden dürfen und welche anderen Maßnahmen ergriffen werden, um zu gewährleisten, dass die Verarbeitung rechtmäßig erfolgt.[367] Der Regelungsspielraum soll nach dem Wortlaut sicherstellen, dass die in Art. 6 Abs. 1 genannten Rechtmäßigkeitstatbestände in jedem Mitgliedstaat zur vollen Geltung kommen und dass – mitunter mit Hilfe spezifischer, nationaler Regelungen – kein Vollzugsdefizit entsteht.[368] Gleichwohl ist der von den Mitgliedstaaten freiwillig zu regelnde Bereich insoweit beschränkt, als er innerhalb des Regelungsspektrums der DS-GVO verbleiben muss und Abweichungen verbietet.[369]
b) Konkretisierung des öffentlichen Interesses durch die Mitgliedstaaten
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Im Hinblick auf den Begriff des öffentlichen Interesses entspricht Art. 6 Abs. 1 lit. e, Abs. 2 und 3 dem Art. 7 lit. e DSRL. Herauszustellen ist dabei, dass bereits die Auslegung und Interpretation des Begriffs des öffentlichen Interesses aus Art. 7 lit. e DSRL den Mitgliedstaaten oblag.[370] In der Konsequenz können auf Grundlage von Art. 7 DSRL erlassene mitgliedstaatliche Datenschutzregeln grundsätzlich beibehalten werden.[371] Gleichwohl sind diese auf ihre Vereinbarkeit mit Abs. 2 abzugleichen.
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Für das Verständnis des öffentlichen Interesses i.S.d. DS-GVO obliegt es somit nach wie vor den Mitgliedstaaten den Wertungsspielraum durch die hinreichende Konkretisierung auszufüllen und für dementsprechende Datenverarbeitungen nationale Rechtsgrundlagen zu schaffen.
c) Öffnungsklausel nur für den öffentlichen Sektor?
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Die Ausübung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt, muss nicht notwendig durch öffentliche Stellen erfolgen. Denkbar erscheint etwa das Angebot von Dienstleistungen zur Daseinsvorsorge, welches von im Wettbewerb befindlichen Unternehmen privatrechtlicher Natur erbracht werden kann. Für die Wahrnehmung einer Datenverarbeitung im öffentlichen Interesse besteht ein strikt funktionaler Ansatz, indem allein auf die öffentliche Funktion abgestellt wird, unabhängig davon, ob sie durch öffentliche oder nichtöffentliche Stellen wahrgenommen bzw. ausgeübt wird.[372]
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Das BVerwG hat in einem Urteil entschieden, dass die Öffnungsklauseln des Art. 6 Abs. 2 und 3 für Verarbeitungen nach Art. 6 Abs. 1 lit. e Videoüberwachungen privater Verantwortlicher nicht erfassen.[373] So sei nach der Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen einer Aufgabenwahrnehmung in öffentlichem Interesse oder in Ausübung öffentlicher Gewalt keine zusätzliche Abwägung mit den Interessen der Betroffenen vorgesehen. Aufgrund des hohen Stellenwerts des informationellen Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen lasse sich dieser Umstand nur rechtfertigen, wenn der Anwendungsbereich des Tatbestands entsprechend seinem Wortlaut auf behördliche oder staatlich veranlasste Verarbeitungsvorgänge beschränkt wäre.
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Privatpersonen könnten sich auf Art. 6 Abs. 1 lit. e DS-GVO demnach nur berufen, wenn ihnen die Befugnis, auf personenbezogene Daten zuzugreifen, im öffentlichen Interesse oder als Ausübung öffentlicher Gewalt übertragen wurde. Sie müssten dann anstelle einer Behörde tätig werden. Dies setzt einen wie auch immer gestalteten staatlichen Übertragungsakt voraus. Eine Privatperson könne sich nicht selbst zum Sachwalter des öffentlichen Interesses erklären. Insbesondere sei sie nicht neben oder gar anstelle der Ordnungsbehörden zum Schutz der öffentlichen Sicherheit berufen. Beim Schutz individueller Rechtsgüter, seien es ihre eigenen oder diejenigen Dritter, verfolgten sie keine öffentlichen, sondern private Interessen[374]
d) Unionsrechtskonforme Nutzung dieser Öffnungsklauseln
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Die Öffnungsklauseln der DS-GVO sind im Kern Ausdruck der Achtung der Union vor den mitgliedstaatlichen Kompetenzen im Sinne des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung sowie des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 5 Abs. 2 und 3 EUV.[375]
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Die unionsrechtskonforme Nutzung der Öffnungsklauseln ist maßgeblich davon abhängig, wie sich das Verhältnis zwischen der unmittelbar geltenden DS-GVO und den nationalen Bestimmungen darstellt. Die Öffnungsklauseln der DS-GVO erinnern an die Umsetzungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten im Sinne einer Richtlinie. So gesehen, stellt die DS-GVO einen Hybrid aus Richtlinie und Verordnung dar.[376] Folglich können die Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofes zur Beurteilung der Frage der Unionsrechtswidrigkeit von nationalen Umsetzungsakten im Falle einer Richtlinie jedenfalls dort analog herangezogen werden, wo sich der Richtliniencharakter realisiert. Danach hängt die Beurteilung der EU-Rechtskonformität im Kern maßgeblich von der Regelungsdichte sowie einer Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Richtlinie ab.
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Für die Unionsmitglieder gilt es bei Nutzung der Öffnungsklauseln innerhalb der Regelungsdichte der DS-GVO zu verbleiben. Ferner ist das Schutzniveau der Grundverordnung als Maßstab für einzelstaatliche Regelungen zu