DS-GVO/BDSG. David Klein
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Beruht die Verarbeitung zu einem anderen Zweck als zu demjenigen, zu dem die personenbezogenen Daten erhoben wurden, nicht auf der Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer Rechtsvorschrift der Union oder der Mitgliedstaaten, die in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz der in Artikel 23 Absatz 1 genannten Ziele darstellt, so berücksichtigt der Verantwortliche – um festzustellen, ob die Verarbeitung zu einem anderen Zweck mit demjenigen, zu dem die personenbezogenen Daten ursprünglich erhoben wurden, vereinbar ist – unter anderem
a) | jede Verbindung zwischen den Zwecken, für die die personenbezogenen Daten erhoben wurden, und den Zwecken der beabsichtigten Weiterverarbeitung, |
b) | den Zusammenhang, in dem die personenbezogenen Daten erhoben wurden, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den betroffenen Personen und dem Verantwortlichen, |
c) | die Art der personenbezogenen Daten, insbesondere ob besondere Kategorien personenbezogener Daten gem. Artikel 9 verarbeitet werden oder ob personenbezogene Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten gem. Artikel 10 verarbeitet werden, |
d) | die möglichen Folgen der beabsichtigten Weiterverarbeitung für die betroffenen Personen, |
e) | das Vorhandensein geeigneter Garantien, wozu Verschlüsselung oder Pseudonymisierung gehören kann. |
– ErwG: 50
– BDSG n.F.: §§ 23–25
1. Erwägungsgründe
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ErwG 50 benennt die Grundlagen der in Art. 6 Abs. 4 geregelten Zweckänderungen. Im Wesentlichen finden sich dort die Voraussetzungen, die auch im eigentlichen Text der Vorschrift niedergeschrieben sind. Teilweise enthält ErwG 50 aber auch darüber hinausgehende Ausführungen, die zum Verständnis und zur Auslegung der Vorschrift herangezogen werden können. Insbesondere wird statuiert, dass im Falle der Vereinbarkeit von neuen Zwecken und denen, für die die personenbezogenen Daten ursprünglich erhoben wurden, keine andere gesonderte Rechtsgrundlage erforderlich ist als diejenige für die Erhebung der personenbezogenen Daten.[416]
2. BDSG n.F.
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§ 4 BDSG regelt die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume. Hier ist eine strenge Zweckbindung vorgesehen (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 BDSG). Für einen anderen Zweck dürfen sie nur weiterverarbeitet werden, soweit dies zur Abwehr von Gefahren für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist (§ 4 Abs. 3 S. 3 BDSG).
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§§ 23 und 24 BDSG enthalten spezielle Regelungen zur Verarbeitung zu anderen Zwecken durch öffentliche Stellen (§ 23) sowie durch nichtöffentliche Stellen (§ 24). § 23 BDSG sieht einen sechs Ziffern umfassenden Katalog vor, nach dem eine Verarbeitung unter neuem Zweck zulässig sein kann. Die Regelung für nichtöffentliche Stellen (§ 24) ist merklich schlanker und erlaubt eine Verarbeitung zu einem anderen als dem ursprünglichen Zweck lediglich für die Gefahrenabwehr oder im Rahmen zivilrechtlicher Ansprüche. Nichtöffentliche Stellen werden ihre etwaigen im Wege einer Zweckänderung stattfindenden Verarbeitungsvorgänge demnach hauptsächlich an Art. 6 Abs. 4 zu messen haben (vgl. dazu unten Rn. 260 ff.).
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In diesem Licht liest sich auch § 48 BDSG, der die „Verarbeitung zu anderen Zwecken“ im Rahmen der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung, Verfolgung oder Ahndung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten erlaubt (vgl. dazu ab Rn. 280 ff.). § 48 BDSG befindet sich in Teil 3, den „Bestimmungen für Verarbeitungen zu Zwecken gem. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2016/680“[417] und ist daher nur im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und der polizeilichen Zusammenarbeit anwendbar.
3. Normengenese und -umfeld
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Schon der ursprüngliche Kommissionsentwurf für eine Datenschutz-Grundverordnung[418] sah in deren Art. 6 Nr. 4 die Möglichkeit einer „Weiterverarbeitung“ außerhalb des ursprünglichen Zwecks vor. Danach musste der Zweck der Weiterverarbeitung mit dem Zweck, für den die personenbezogenen Daten erhoben wurden, „vereinbar“ sein, andernfalls musste auf die Verarbeitung einer der in Abs. 1 genannten allgemeinen Rechtfertigungsgründe zutreffen. Die Norm unterstellte daher bei grundsätzlicher „Vereinbarkeit“ mit dem Ursprungszweck eine Weiterverarbeitungsbefugnis. Diese Systematik war so grundsätzlich schon in der DSRL 95/46/EG vorgesehen. Gleichwohl enthielt die Version des Berichterstatters eine komplette Streichung des Art. 6 Nr. 4 mit der Begründung, dass für eine Änderung des Zwecks „ohnehin einer der Rechtsgründe gem. Abs. 1 Anwendung finden muss. Auch die DSRL ermöglicht keine Änderung des Zwecks, so dass das Schutzniveau hier beibehalten werden sollte“.[419] Auch die Parlamentsversion sah diesen Passus dementsprechend nicht mehr vor. Die Version des Rates sah daraufhin wieder die ursprüngliche Formulierung der Kommission vor und ging noch darüber hinaus. Danach sollte die Weiterverarbeitung durch denselben für die Verarbeitung Verantwortlichen für nicht konforme Zwecke aufgrund der berechtigten Interessen dieses für die Verarbeitung Verantwortlichen oder eines Dritten rechtmäßig sein, sofern diese Interessen gegenüber den Interessen der betroffenen Person überwiegen. Das Parlament hatte jedoch immer wieder klargestellt, dass es kein Zurück hinter den Schutzstandard und damit insbesondere die Grundsätze der Richtlinie aus dem Jahr 1995 geben dürfe, sodass letztlich die Einigung auf die Kompatibilitätsgesichtspunkte des heutigen Art. 6 Abs. 4 erfolgte.[420]
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Die Norm ist im engen Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 lit. b zu lesen.[421] Dieser stellt den Grundsatz der Zweckbindung auf. Die Datenerhebung muss zu festgelegten, eindeutigen und legitimen Zwecken erfolgen und die Weiterverarbeitung muss in einer mit diesen Zwecken zu vereinbarenden Weise geschehen. Insofern stellt Art. 6 Abs. 4 eine Ausnahme zu dieser Regel