DS-GVO/BDSG. David Klein
Читать онлайн книгу.target="_blank" rel="nofollow" href="#ulink_2d06e0ee-33be-5e81-8ed8-dd522be64da6">Abs. 4 „gedeckt“ ist. Teilweise wird vertreten, dass aufgrund der Regelungssystematik und des Wortlauts von Abs. 4 allein der Kompatibilitätstest eine zweckändernde Datenverarbeitung noch nicht zu einer rechtmäßigen Datenverarbeitung machen könne, sondern einer der Erlaubnistatbestände des Art. 6 Abs. 1 lit. a bis f vorliegen müsse.[435] Art. 6 Abs. 4 sei demnach nur eine Auslegungsregel für das Tatbestandsmerkmal der Vereinbarkeit in Art. 5 Abs. 1 lit. b. Folglich bezöge sich Art. 6 Abs. 4 sodann allein auf die Vorgabe der Zweckbindung einer Datenverarbeitung, nicht aber auch auf die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen nach Art. 6. Dafür spricht insbesondere die Entstehungsgeschichte der Norm, aus der sich ergibt, dass auch eine nach Abs. 4 zweckkompatible Weiterverarbeitung von Daten stets zusätzlich noch einer gesonderten Rechtsgrundlage bedarf und der Gesetzgebungsprozess von Anfang an dadurch bestimmt war, dass für das Europäische Parlament bei der Zweckänderung der Schutzstandard der DSRL unter keinen Umständen gemindert werden durfte.[436]
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Demgegenüber steht die Auffassung, dass es im Falle der zweckändernden Weiterverarbeitung keiner gesonderten Rechtsgrundlage bedarf.[437] Hiernach stützt sich die Weiterverarbeitung grundsätzlich auf die Rechtsgrundlage der ursprünglichen Verarbeitung. Hierfür spricht ErwG 50 S. 1 und 2. Danach ist im Falle der Vereinbarkeit der Zwecke „keine andere gesonderte Rechtsgrundlage erforderlich als diejenige für die Erhebung der personenbezogenen Daten“. Diese Formulierung wird teilweise als „redaktioneller Fehler“ gewertet.[438] Die Regelungssystematik von Art. 6 Abs. 4 spricht allerdings gegen ein Versehen des Verordnungsgebers an dieser Stelle.[439]
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Letztlich ist davon auszugehen, dass Art. 6 Abs. 4 selbst keinen Erlaubnistatbestand für eine zweckändernde Weiterverarbeitung darstellt.[440] Dementsprechend bedarf es im Falle einer zweckändernden Weiterverarbeitung stets einer eigenständigen Ermächtigungsgrundlage nach Abs. 1.[441] Die Kompatibilität der Zwecke entscheidet lediglich darüber, ob der ursprüngliche Erlaubnistatbestand, etwa die Einwilligung, auch für die Weiterverarbeitung gilt oder ob ein eigenständiger, ggf. abweichender, Tatbestand aus Art. 6 Abs. 1 für die Weiterverarbeitung heranzuziehen ist.[442] Art. 6 Abs. 4 enthält somit die Kriterien für die Beurteilung der Vereinbarkeit der Zwecke vor dem Hintergrund des Grundsatzes aus Art. 5 Abs. 1 lit. b. Danach stellt eine Weiterverarbeitung im Falle kompatibler Zwecke keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Zweckbindung dar.[443] Rechtsfolge aus Art. 5 Abs. 1 lit. b und Art. 6 Abs. 4 ist, dass die Weiterverarbeitung auf den Erlaubnistatbestand der Erhebung der personenbezogenen Daten gestützt werden kann, weil kein Verstoß gegen den Grundsatz der Zweckbindung vorliegt.[444] Die Prüfung der Kriterien und Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 4 entscheidet daher nur über die Zulässigkeit der Zweckänderung.[445] Da es sich dadurch bei Art. 6 Abs. 4 letztlich um eine Auslegungsregel handelt, bleibt für die Rechtmäßigkeit der Weiterverarbeitung stets Art. 6 Abs. 1 maßgeblich.[446]
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Daneben stellt sich die Frage, ob Art. 6 Abs. 4 nur im Rahmen einer Datenverarbeitung nach Art. 6 oder auch bei einer Verarbeitung sensibler Daten nach Art. 9 Anwendung finden kann (dazu auch Art. 9 Rn. 20). So könnte zum einen davon ausgehen sein, dass Art. 9 erhöhte Verarbeitungsvoraussetzungen normiert und daher ein eigenständiges Regelungssystem darstellt, das einen Rückgriff auf Art. 6 und dessen Abs. 4 ausschließt.[447] Gleichwohl nimmt die Mehrheit der Stimmen an, dass Art. 9 die Vorschrift des Art. 6 und damit auch Art. 6 Abs. 4 nicht verdrängt, sondern die Normen vielmehr kumulativ Anwendung finden.[448] Insbesondere ErwG 51 S. 4 stellt klar, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verarbeitung zusätzlich zu den speziellen Anforderungen an eine Datenverarbeitung auch die allgemeinen Grundsätze und andere Bestimmungen der Verordnung gelten sollen, insbesondere hinsichtlich der Bedingungen für eine rechtmäßige Verarbeitung und nimmt dadurch zumindest indirekt auch Bezug auf Art. 6 und dessen Abs. 4.[449] Festzuhalten bleibt somit, dass zumindest für die erstmalige Datenverarbeitung ein Erlaubnistatbestand nach Art. 9 zur Rechtfertigung der Datenverarbeitung notwendig ist und dabei auch die Voraussetzungen von Art. 6 zu berücksichtigen sind. Anschließend kann auch Art. 6 Abs. 4 neben Art. 9 Anwendung finden, wenn dadurch das durch Art. 9 intendierte Schutzniveau nicht ausgehöhlt wird. Freilich ist der Weg über Art. 6 Abs. 4 auch bei der Verarbeitung sensibler Daten versperrt, wenn die datenverarbeitende Stelle die Datenverarbeitung auf Art. 9 Abs. 2 lit. a und die Einwilligung stützt. Dies geht aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 4 hervor. In diesem Falle ist eine entsprechende wirksame Einwilligungserklärung durch die betroffene Person einzuholen, die die Datenverarbeitungsvorgänge rechtfertigt. Der Weg über eine Rechtfertigung der Datenverarbeitung im Rahmen von Art. 6 Abs. 4 steht daher nur dann offen, wenn der Verantwortliche die Datenverarbeitung auf einen gesetzlichen Erlaubnistatbestand (etwa Art. 9 Abs. 2 lit. b–j) stützt.
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Fraglich ist zudem, ob Art. 6 Abs. 4 durch seine Formulierung eine eigenständige Öffnungsklausel enthält, durch die die Mitgliedstaaten die Zulässigkeit von Zweckänderungen gesetzlich normieren können.[450]