Das Trauma des "Königsmordes". Moshe Zuckermann

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Das Trauma des


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Privilegiengesellschaft zur bürgerlichen Gesellschaft, vom absolutistischen Staat zum modernen Repräsentativstaat« begreifen, und daß auch sie das »Hauptergebnis der Revolution für die soziale Schicht der Bourgeoisie« in der »Errichtung des Staatsführungsmonopols« sehen.36 Es handelt sich hierbei freilich um ein vermeintliches Paradox: Zunächst muß vorausgeschickt werden, daß sich weder bei Marx noch bei Engels eine systematische Analyse der Französischen Revolution findet, und daß sich jedes Unterfangen, ihre Einstellung zu dieser darzustellen, zwangsläufig auf sporadisch auftretende, zuweilen aphoristische Äußerungen, die an verschiedenen Stellen ihrer Schriften verstreut sind, stützen muß.37 Beide begriffen sich ja selber nicht als ideographisch operierende Historiker; die spezifische historische Erscheinung oder Gestalt dient ihnen oft lediglich als pointiert symbolische Illustration einer Behauptung, die sich strukturell in ihre allgemeine Geschichtstheorie einfügt. Marx’ berühmtes Diktum in der »Heiligen Familie« gibt hierfür ein gutes Beispiel ab:

      Die »französische Revolution [hat] Ideen hervorgetrieben, welche über die Ideen des ganzen alten Weltzustandes hinausführen. Die revolutionäre Bewegung, welche 1789 im Cercle social begann, in der Mitte ihrer Bahn Leclerc und Roux zu ihren Hauptrepräsentanten hatte und endlich mit Babeufs Verschwörung für einen Augenblick unterlag, hatte die kommunistische Idee hervorgetrieben, welche Babeufs Freund, Buonarroti, nach der Revolution von 1830 wieder in Frankreich einführte. Diese Idee, konsequent ausgearbeitet, ist die Idee des neuen Weltzustandes.«38

      Es steht wohl außer Frage, daß dieser tolldreiste Sprung vom Cercle social des Jahres 1789 bis hin zur Revolution von 1830 – wobei ein Robespierre und ein Marat übergangen werden, dafür aber Roux (den Richard C. Cobb als »eine der sympathischsten Persönlichkeiten der Revolution« beschreibt, die gleichwohl kein »Vorläufer irgendeines politischen Glaubens des 19. oder 20. Jahrhunderts« gewesen sei) und Leclerc (von dem Cobb meint, er habe »kein wirkliches Verständnis für die Nöte des Volkes« gehabt39) ausdrückliche Erwähnung finden – nicht den Anspruch erhebt, den Verlauf der Französischen Revolution widerzuspiegeln; und dennoch sind in ihm wichtige Elemente der Marxschen Revolutionsinterpretation enthalten: Die Französische Revolution »treibt« die Idee eines neuen Weltzustandes hervor, deren Verwirklichung in eine unbestimmte Zukunft verlagert wird. D.h., Marx würdigt wohl die höchste Bedeutung der Revolution als Etappenstation auf dem Weg zum erstrebten Ziel der sozialen Revolution, er gibt sich jedoch keinerlei Illusion hin, was das in dieser Revolution unmittelbar Erreichte anbelangt.40 Wohl sieht er die Notwendigkeit einer politischen Revolution ein, ist sich aber auch ihrer Grenzen bewußt, wie seine Stellungnahme zur Pauperismusfrage deutlich genug bezeugt.41

      Auf der Grundlage dieses Ansatzes ist auch seine Einstellung den Jakobinern und dem Terror gegenüber zu verstehen: Die Jakobiner mußten jene (wohl immer noch) umstrittene Methode anwenden, weil die wahren Sieger der Revolution, dazu nicht fähig gewesen wären: »Die Schreckensherrschaft mußte […] in Frankreich nur dazu dienen, durch ihre gewaltigen Hammerschläge die feudalen Ruinen wie vom französischen Boden wegzuzaubern. Die ängstlich-rücksichtsvolle Bourgeoisie wäre in Dezennien nicht mit dieser Arbeit fertig geworden. Die blutige Aktion des Volkes bereitete ihr also nur die Wege.«42 In anderem Zusammenhang wird Marxens zwiespältige Beziehung zum Terror noch deutlicher: »Der ganze französische Terrorismus war nichts als eine plebejische Manier, mit den Feinden der Bourgeoisie, dem Absolutismus, dem Feudalismus und dem Spießbürgertum, fertigzuwerden.«43

      Marx’ Zugang ist also seinem Wesen nach funktioneller Natur. Die tatsächlichen historischen Ereignisse erhalten ihren wahren Stellenwert erst im nachhinein, wenn sich sozusagen die Beendigung einer Zwischenetappe im Gesamtprozeß einschätzen läßt. Die unmittelbare Funktion des Terrors (die Absicherung des Sieges der Revolution), auf die Engels in späten Jahren in einem Brief an Kautsky hingewiesen hat44, interessiert Marx in geringerem Maße, denn es handelt sich für ihn hierbei lediglich um die unmittelbare Rettung der politischen Revolution. Man kann daher geteilter Meinung sein über Avineris Behauptung, Marx habe den Terror »aufs höchste« verurteilt; er hat gleichwohl zweifelsohne recht in seiner Feststellung, daß Marx’ Auffassung zufolge, »der Terror sich aus dem Wesen des jakobinischen Versuchs erklärt, eine politische Ordnung zu verwirklichen, der die sozio-ökonomischen Grundlagen fehlten, welche allein eine solche Verwirklichung ermöglichen können«, und daß demnach allein »das Fehlen dieser Grundlagen es dazu brachte, daß das politische Instrument (d.h. der Terror) zum einzigen Weg wurde, die Veränderung zu vollziehen.«45

      Andererseits – und dies ist wohl Marx’ wahres Anliegen – enthüllt sich für ihn in den Jahren 1793-94 ein neuer Klassengegensatz, welcher seine Bedeutung daraus gewinnt, daß mit ihm in der Französischen Revolution jener »Schatten« der Bourgeoisie, das Proletariat, als ein durch eigene Aspirationen und Forderungen gekennzeichnetes Kollektivsubjekt zum Vorschein kommt.46 Aber auch in dieser Hinsicht kennt er die historischen Grenzen recht genau: »Als die französische Bourgeoisie die Herrschaft der Aristokratie stürzte, machte sie es dadurch vielen Proletariern möglich, sich über das Proletariat zu erheben, aber nur, insofern sie Bourgeois wurden.« Er folgert also: »Jede neue Klasse bringt […] nur auf einer breiteren Basis als die der bisher herrschenden ihre Herrschaft zustande, wogegen sich dann später auch der Gegensatz der nichtherrschenden gegen die nun herrschende Klasse um so schärfer und tiefer entwickelt.«47

      Diese Synthese zwischen dem Noch-nicht-Daseienden und dem andeutungsweise Im-Kommen-Begriffenen ist es, die die Bewertung der politischen Ergebnisse der Französischen Revolution bei Furet und Richet von der Marxens unterscheidet. Den französischen Historikern zufolge stellen diese Ergebnisse, wie wir hervorgehoben haben, die Verheißung an die Welt dar, wohingegen sie dem deutschen Denker vor allem als Symptom der objektiven sozialen und wirtschaftlichen Beschränkungen des sie hervorbringenden Zeitalters gelten, so wichtig sie auch sonst sein mögen. Mehr als auf die Französische Revolution ist Marx’ Interesse auf die sozialistische gerichtet48; sofern er überhaupt der Bezugnahme auf »historische Helden« bedarf, ist sein Augenmerk auf die embryonale Symbolik der Gestalten eines Roux oder eines Leclerc beziehungsweise auf die verhaltene Pionierhaftigkeit Babeufs gerichtet – diese sind ihm die historischen Wegzeichen des Kommunismus, welcher in seiner Zeit noch keinerlei Realität besitzt außer der ideellen Wirklichkeit einer Vision des »neuen Weltzustandes«, deren Wurzeln er aber freilich, wie schon gesagt, in der Französischen Revolution findet.

      Da jedoch eine Verwirklichung des Kommunismus ohne Proletariat doch objektiv nicht möglich ist, die Bewußtwerdung des Proletariats sich aber nur in der gesellschaftlichen Praxis des bürgerlich-kapitalistischen Systems vollziehen kann, stellt sich die Frage nach dem Stellenwert der Französischen Revolution bei Marx und Engels von einem anderen Aspekt: Ist die Revolution als »historischer Bruch« oder lediglich als katalysierende Station auf der Achse einer langfristigen historischen Kontinuität zu begreifen?49

      Die Problemstellung in einer solchen dichotomischen Auslegung ist für sie offenbar bedeutungslos. Engels z.B. erklärt: »Während in Frankreich der Orkan der Revolution das Land ausfegte, ging in England eine stillere, aber darum nicht minder gewaltige Umwälzung vor sich. Der Dampf und die neue Werkzeugmaschinerie verwandelten die Manufaktur in die moderne große Industrie und revolutionierten damit die ganze Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft.«50 Zwar bezeichnet Engels auch die Veränderung der ökonomischen Grundlage als »Umwälzung«, es ist indes wohl unverkennbar, daß es sich hierbei um einen ungleich weniger explosiven und dramatischen Prozeß als bei der politischen Revolution handelt, eben um eine »stillere Umwälzung«, und es läßt sich noch hinzufügen: Sofern der da erst ansetzende Verbreitungsprozeß jener »neuen Werkzeugmaschinerie« gemeint ist, so muß man ihn als einen graduell fortschreitenden, in seinem Wesen evolutionären Prozeß begreifen. Was sich hier historisch als Parallelverlauf darstellt, sind im Grunde Faktoren einer engen dialektischen Beziehung, die man letztlich nicht auseinanderhalten kann. Der springende Punkt ist, daß eine Veränderung in den materiellen Grundlagen der Gesellschaft determinant ist für die Modifizierung der Lebensweise und des aus ihr resultierenden Klassenbewußtseins. Der Funke zu der sich im politischen Kampf objektivierenden Revolution entspringt


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