Aufstand in Berlin. Heinz-Joachim Simon

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Aufstand in Berlin - Heinz-Joachim Simon


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du von dem Kunstwerk?“, fragte er interessiert. Das Mädchen strich sich das lange Haar aus dem Gesicht und lachte. Sie ist einfach vollkommen, dachte Singer, als er ihre blitzenden Zähne sah.

      „Ein Happening, mehr nicht.“

      „Dafür haben sie Geld, und die Wärmestuben wollen sie schließen!“, donnerte Robert und sprang auf. Er stieß dabei fast den Tisch um.

      In vielen Großstädten gab es sogenannte Wärmestuben, wo sich die Berber, Stadtstreicher, Trinker und Obdachlosen tagsüber aufhalten konnten. Diese sozialen Einrichtungen stammten noch aus den Tagen, als man Deutschland das Wirtschaftswunderland nannte.

      Jonas drückte ihn auf den Stuhl zurück.

      „Beruhige dich, Robert. Schlimmer ist, dass sie auch die Suppenküchen schließen wollen.“

      „Suppenküchen?“, fragte Singer begriffsstutzig.

      „Wir nennen sie so. Unterstehen der Stadt. Wenn du dich dort meldest, bekommst du kostenlos eine Mahlzeit. Sehr oft Eintopf. Deshalb der Name.“

      „Stell dir vor, du hast nichts schnorren können und es gibt keine Suppenküchen mehr“, flüsterte Fränzchen entsetzt.

      Singer erinnerte sich nun. Die Zeitungen hatten darüber berichtet. Die Stadt war hoffnungslos verschuldet und überall wurde nach Einsparungsmöglichkeiten gesucht, und so war man unter anderem auf die Idee verfallen, die kostenlose Essensvergabe zu streichen. Noch war dies nicht endgültig entschieden, jedoch wurde die Öffentlichkeit bereits durch entsprechende Verlautbarungen darauf und auf die Streichung anderer sozialer Maßnahmen vorbereitet.

      „Mit dem Geld für diese Skulptur auf dem Pariser Platz könnten sie ein Jahr lang Suppen austeilen und jedem außerdem noch einen warmen Mantel für den Winter schenken“, grollte Fränzchen.

      „Ihr bringt keine Stimmen“, sagte Maja traurig.

      „Wir haben keinen Wert für die Gesellschaft“, stimmte Jonas zu.

      „Und dieses sogenannte Kunstwerk?“, fragte Hermann bitter.

      „Welchen Wert hat die Hand?“

      „Damit setzt sich der Regierende ein Denkmal“, antwortete Giulio. „Die Hand wird noch nach Jahren an die Regierungszeit unseres Bürgermeisters erinnern. Zu allen Zeiten haben sich die Mächtigen Denkmäler gesetzt.“

      „Dagegen ist auch nichts zu sagen“, erklärte Jonas. „Solange sie die Menschen nicht vergessen.“

      Doch er schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. Es war offensichtlich, dass er über irgendetwas angestrengt nachdachte.

      Das Gespräch versickerte. Alle starrten düster vor sich hin, wütend über ihre Ohnmacht und mit ein wenig Angst, was im Winter aus ihnen werden würde. Auch Singer machte sich Sorgen um seine Zukunft. Ihre Probleme erschienen ihm aber unendlich größer als seine eigenen. Maja ergriff unter dem Tisch seine Hand; er sah sie überrascht an und sie neigte zustimmend den Kopf und bestätigte so, dass sie seine Gedanken kannte. Trotz der Sorgen fühlte er sich jetzt wie zu der Zeit, als er mit rotem Pullover am Fehrbelliner Platz darauf wartete, dass das River Boat öffnete. Die Rolling Stones sangen: „You can never get what you want …“

      Du hast viel Glück, dass dir dies noch einmal widerfährt, dachte er dankbar. Er hatte sich verliebt. Ohne Jonas hätte er sie nie kennen gelernt.

      „Wir werden Gottes Hand dafür benutzen und mit ihr um die Suppenküchen kämpfen“, sagte der Weißbärtige plötzlich.

      „Schanek versteht die Hand mit dem Finger ja als eine Mahnung“, erinnerte sich Singer.

      „Na also. Wir werden mit der Hand an die Menschlichkeit mahnen. Wir werden die Öffentlichkeit daran erinnern, dass man nicht einerseits Geld für Kunstwerke, für Subventionen der Opernhäuser ausgeben und andererseits die Suppenküchen schließen darf. Du wirst sehen, die Menschen werden uns verstehen. Man wird uns helfen.“

      „Versprich dir nicht zuviel davon. Sie sind nicht so wie du“, sagte Maja traurig. „Es ist ihnen gleichgültig, was mit euch geschieht. Ihr lebt nicht wie sie. Es mangelt ihnen an Empathie. Für die guten Bürger seid ihr nur Tagediebe und Schmarotzer. Sie werden euch nicht helfen.“

      Doch Jonas widersprach energisch: „Oft sind die Menschen gleichgültig, habgierig und dumm. Und doch gibt es die Bibel, den Koran und die Lehren Buddhas. Erinnert euch, wie viel Spenden zusammenkamen, als es darum ging, den Tsunamiopfern zu helfen. Wir sollten es versuchen.“

      „Was müssen wir tun?“, fragte Hermann und beugte sich eifrig über den Tisch. Seine Hand lag offen und fordernd vor Jonas, als wolle er das, was dieser nun sagen würde, ergreifen und sich dadurch retten.

      „Wir sollten die Hand oder noch besser das Rote Rathaus in die Luft sprengen“, fuhr Robert dazwischen.

      „Lass den Unsinn“, wies ihn der Weißbärtige zurecht.

      Zum erstenmal erlebte Singer, dass Jonas auch ungehalten und barsch reagieren konnte.

      „Damit würden wir uns nur so verhalten, wie sie es von uns erwarten. Nein, wir sollten bei der Einweihung dabei sein und darauf hinweisen, was die Hand bedeutet.“

      „Aber wie willst du das anstellen?“, fragte Maja, noch immer nicht überzeugt.

      „Darüber muss ich noch nachdenken. Aber morgen werde ich es wissen.“

      „Gut. Wir werden hingehen. Vielleicht wird die Hand dadurch doch noch zu etwas Bedeutsamem.“

      Sie redeten noch lange darüber, wie sie die Einweihung der Hand zu einer Demonstration für die Berber nutzen konnten. Und je später es wurde, desto phantasievoller wurden die Vorschläge. Robert wollte Stinkbomben und Feuerwerkskörper hochgehen lassen, Luischen mit Kolleginnen vor das Adlon ziehen. Friedel wollte den Herren vom Senat Brieftaschen stehlen und Hermann schlug vor, statt mit Hüten nun mit Suppenschüsseln Unter den Linden zu schnorren. Es war Giulio, dessen beweglichen Geist die Idee entsprang, die auch Jonas zusagte.

      „Wir hängen an dem ausgestreckten Finger einen großen Kessel auf. Mit der Inschrift: Vergesst die Armen nicht. Finger weg von den Suppenküchen.“

      „Oha, Nachfahre des göttlichen Leonardo, des begnadeten Michelangelo Buonarotti, das ist die Lösung“, rief Jonas und drückte Giulio an sich. „Das werden wir tun. Die ganze Welt wird darüber reden. Eugen, was meinst du? Wird sie das aufregen?“

      „Zweifellos. So etwas bringt Schlagzeilen.“

      „Und Maja, was meint unsere schöne Maja?“

      „Ich bin dafür.“

      „Aber wie wollen wir es anstellen?“, fragte Hermann mit seinem Sinn für das Praktische.

      „Ganz einfach. Wir nageln den Kessel auf die Fingerspitze! Wenn er nicht aus massiver Bronze besteht, wird es gehen“, schlug Fränzchen vor.

      „Ist er nicht“, bestätigte Singer.

      „Der Finger soll einige Meter hoch sein“, gab Maja zu bedenken.

      „Ich bin schon ganz andere Mauern hochgestiegen“, sagte Friedel schmunzelnd.

      „Nicht mit einem Kessel.“

      „Nein. Aber Fränzchen wird mir helfen. Wir werden gemeinsam den Finger hochklettern.“

      Singer bestellte noch eine Runde vom Dunklen und der Weißbärtige nickte ihm zu.

      „Du hast heute einen guten Grund dein Geld auszugeben. Du erlebst den Anfang einer neuen Bewegung. Die Berber, die Weggeworfenen wehren sich.“

      „Wir werden aus der Hand ein Kunstwerk machen, das etwas bewirkt. Der Traum jedes Künstlers. Ich weiß nur nicht, ob sich Schanek darüber freuen wird“, sagte Maja lachend.

      Eine Runde wurde von der nächsten abgelöst und das Bewusstsein etwas Großes gedacht und eingeleitet zu haben, sprach aus ihren Gesichtern. Singer


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