Aufstand in Berlin. Heinz-Joachim Simon

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Aufstand in Berlin - Heinz-Joachim Simon


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      „Breitschmidt glaubt, dass dein Vater mich als Kronprinzen auserkoren hat“, antwortete er lachend.

      „Nein. Das hat er nicht. Du bist ihm zu weich.“

      „Ach so? Hat er sich so über mich geäußert?“

      „Nein. Aber ich kenne meinen Vater und weiß, wie er sich seinen Nachfolger vorstellt.“

      „Da wird er noch lange suchen müssen. Solche Kotzbrocken gibt es nicht mehr häufig.“

      „Du bist ungerecht. Wir verdanken ihm so viel.“

      „Du verdankst ihm viel.“

      „Eugen, was ist mit dir? Du bist so aggressiv.“

      „Das versuche ich selbst gerade herauszubekommen.“

      Ihr Wagen kam nun angerauscht und Singer gab dem Wagenmeister ein anständiges Trinkgeld und dieser lüftete seine Mütze. „Immer zu Diensten, Herr Singer.“

      Helen wollte sich hinter das Steuer setzen. Ohne dass sie darüber sprechen mussten, war zwischen ihnen ausgemacht, dass sie auf dem Rückweg nach einer Feier oder in diesem Fall der Vernissage den Wagen steuerte.

      „Ich habe noch eine Verabredung“, gestand er verlegen.

      „Du hast was?“ Ihre Augen waren nun sehr schmal und funkelten erbost.

      „Ja. Mit Schneider vom Marketing“, log er und wusste, dass er dabei nicht sehr überzeugend wirkte. Er konnte nie gut lügen.

      „Ich muss herausbekommen, ob Breitschmidt mit ihm bereits gesprochen hat und eine Veränderung der Ziele angekündigt hat“, machte er mit den Lügen weiter.

      „Muss das wirklich sein?“, fragte sie. Es blieb unklar, ob sie das Treffen mit Schneider meinte oder seine allzu offensichtliche Lüge. Mit einer resignierenden Bewegung warf sie ihre Handtasche ins Wageninnere.

      „Bei der Preminger hast du noch von einem schweren Tag gesprochen. Es ist halb elf.“

      „Ich treffe ihn im Borchardt“, erwiderte er, ohne auf ihre Feststellung einzugehen. Aber die klare Ortsangabe schien sie zu beruhigen.

      „Wann bist du zu Hause? Du weißt doch, ich kann nicht einschlafen, wenn du nicht da bist.“

      „Es kann zwei Stunden dauern. Du kennst doch Schneider. Ehe der zum Thema kommt, vergeht einige Zeit“, log er verzweifelt. Er konnte ihr nicht sagen, dass er mit ein paar Stadtstreichern verabredet war. So weit war er noch nicht.

      „Die Preminger“, sagte sie plötzlich. „Triffst du dich etwa mit ihr? Habt ihr deswegen so aneinander geklebt? Du, ich warne dich! Ich lasse mir das nicht bieten.“

      „Hör auf, Helen! Du weißt genau, dass sie nicht mein Typ ist. Ich habe keine Lust mich in die endlose Reihe ihrer Geliebten einzureihen.“

      „Na gut, wann kommst du nach Hause?“ Sie war jetzt bereits milder gestimmt und zeigte, dass sie entschlossen war ihm zu glauben.

      „Spätestens um zwei bin ich zurück. Spätestens.“

      „Na gut. Und morgen reden wir über die Geschichte mit Breitschmidt. Kommt nicht infrage, dass du dich von ihm ausmanövrieren lässt.“

      „Das will er gar nicht. Es geht ihm nur darum, dass ich mitmache. Er würde froh sein, wenn ich auf die Forderung des Aufsichtsrats eingehen würde. Vor ein paar Wochen hätte ich es getan.“

      „Und warum kannst du es heute nicht tun?“, fragte sie mit einer Stimme, die erkennen ließ, dass sie bereits ungeduldig wurde und ihn für einen trotzigen kleinen Jungen hielt, der partout ein anderes Spielzeug wollte.

      „Ich weiß es nicht.“

      Aber das war nicht ganz die Wahrheit. Er wusste bereits, was anders war: Er war nicht mehr bereit, alles um jeden Preis mitzumachen.

      „Gemeinsam werden wir auch das überstehen.“

      Ihre Loyalität rührte ihn. Doch dieses Gefühl währte nur kurz. Als sie ihm sagte, dass ihr Vater ihnen schon helfen würde, wurde Singer wütend.

      „Lass deinen Vater aus dem Spiel! Er würde mir nur einen ähnlichen Job besorgen wie den, den ich bereits habe. Ab einer bestimmten Stellung sind die Spielregeln überall die gleichen.“

      „Du bist wirklich etwas durcheinander! Wenigstens darin hatte Breitschmidt recht. Vielleicht würde dir ein kurzer Urlaub helfen. Fliegen wir doch nächste Woche nach Nizza. Ein paar Tage im Colombe d’Or in St. Paul de Vence haben dir noch jedesmal gut getan.“

      „Diesmal ist es nicht das.“

      „Ich werde trotzdem mit Vater reden“, beharrte sie.

      „Auch er wird mich nicht umstimmen.“

      „Aber Eugen, was willst du denn machen?“

      Sie machte sich Sorgen um ihn. Nicht deshalb, weil materielle Sorgen auf sie zukommen könnten. Dies lag außerhalb ihres Vorstellungsvermögens. Sie machte sich Sorgen, weil er sich anders benahm als die Leute, die sie sonst kannte, anders als er sich jahrelang verhalten hatte und natürlich darüber, was all die Bekannten und ihre Freundinnen sagen würden.

      „Es wird mir schon etwas einfallen“, antwortete er.

      Es klang nicht sehr überzeugend. Er hatte keine Ahnung was er tun würde, wenn er nicht mehr Vorsitzender der Singerwerke war.

      „Hoffentlich das Richtige“, sagte sie kühl und stieg in den Mercedes, schlug kräftig die Tür zu und ließ den Wagen an. Sie fuhr vorsichtig den Wagen vom Straßenrand und reihte sich in den nächtlichen Verkehr auf dem Boulevard ein. Selbst jetzt um diese Zeit waren noch viele Autos unterwegs.

      Sie war eine gute Fahrerin. Er erinnerte sich an ihre erste Zeit, an ihre Ausflüge an den Nikolassee und daran, wie sie an lauen Juniabenden in ihrem roten Porsche den Kurfürstendamm heruntergefahren waren, um dann später im Baronet, einer kleinen Bar in der Schlüterstraße, Cocktails zu trinken und noch später im „Big Apple“ nach ‚Twist and shout‘ zu tanzen. Sie hatten eine gute Zeit gehabt, aber die war lange her.

      Langsam ging er den Boulevard hoch und auf den Alexanderplatz zu. Tief in Gedanken, in der Vergangenheit verstrickt, achtete er nicht auf die Passanten, die ihn überholten. Er dachte an den jungen Mann, der er einmal gewesen war und der, vom Sonnenlicht beschienen, der Welt ein herausforderndes Lächeln geboten hatte. Vom Bahnhof Friedrichstraße hörte er das Rauschen der S–Bahn.

      5

      Als er das Georgsbräu betrat, beschlug seine Brille. Er musste stehenbleiben und sie abnehmen. Eine Weile stand er blinzelnd im Eingang. Es roch nach Bier. Hinter der Theke sah er kupferne Kessel. Das Georgsbräu braute sein eigenes Bier. Hinter einer Nebelwand sah er jemanden herankommen.

      „Du bist also gekommen!“, begrüßte ihn der Weißbärtige. Aus seiner Stimme war Freude und Genugtuung herauszuhören.

      „Hast es dir lange überlegen müssen?“

      „Nein. Keine Minute.“ Singer war selbst überrascht darüber. Er hatte die Absicht seit der Vernissage keinen Augenblick infrage gestellt.

      „Dann bist du schon sehr weit“, lobte ihn Jonas und Singer fühlte sich stolz wie damals, als er in die Jazzband aufgenommen wurde, weil der lange Theisen, den alle nur Ketzek nannten, Singer als echten Jazzer empfahl. Das war ein Lob, das mehr wert war als eine Reihe königlicher Ahnen. Dass er einer der mächtigsten und reichsten Familien des Landes angehörte, zählte unter Jazzern nichts. Wichtiger war es, die richtigen Platten zu haben und zu wissen, was Charly Parker wann gespielt hatte und wer Gerry Mulligan oder Dizzy Gillespie war.

      „Komm“, forderte Jonas ihn auf. „Wir sitzen dort hinten in der Ecke. Friedel erzählt gerade aus seiner Legionärszeit. Wir können die Geschichte bereits singen. Aber es ist die einzige Zeit seines Lebens, auf die er wirklich stolz ist. Deswegen hören wir ihm zu.“

      Singer


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