Aufstand in Berlin. Heinz-Joachim Simon

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Aufstand in Berlin - Heinz-Joachim Simon


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engagierten Vortrag nicht aufmerksam folgte.

      „Ihre Frau führt gerade ein wahnsinnig interessantes Gespräch mit dem Künstler. Umwerfend interessant. Es gibt nur wenige Sammler, die so ein Interesse und Kunstverständnis haben wie Ihre Frau“, lobte der Geschäftsführer.

      Singer nickte höflich. Er kannte diese Gespräche, und er hatte keine Lust, die atemlosen Fragen seiner Frau und die gelangweilten, routinierten Antworten zu hören, die vermessenen Vergleiche mit Max Ernst, Polke und Picasso, und die Mutmaßungen, was diese gedacht hatten, wie man jetzt denken musste und wie man die Gegenwart zu verarbeiten hatte.

      Alle Bilder zeigten Hände. Rote, grüne, gelbe und blaue Hände, manche mahnend erhoben, manche zu Fäusten geballt. Hände, die berührten, streichelten und schlugen. Malen kann er jedenfalls, dachte Singer.

      Helen hatte ihn entdeckt und winkte ihm zu. Es standen viele attraktive Frauen um sie herum, aber sie war sicher eine der auffälligsten. Sie war groß und immer noch schlank und ihr blondes Haar fiel ihr wie ein Wasserfall auf die Schulter. Ihr schmales Gesicht mit der etwas zu langen Nase mit den hohen Backenknochen unter den blauen Augen gab ihr ein aristokratisches Aussehen. Sie sah von hinten aus wie zwanzig und auch von vorn war sie keine Enttäuschung und konnte immer noch als Dreißigjährige durchgehen. Er wusste, wie sehr sie die Männer faszinierte und jeden haben konnte, wenn sie es darauf anlegen würde. Das schönste an ihr war der breite Mund, der oft ein siegesgewohntes Lächeln zeigte, als wolle sie sagen: Gestehe. Ich gefalle dir. Meistens traf es zu. Er wusste nicht, ob sie ihn jemals betrogen hatte. Sie war zu klug dafür oder zu desinteressiert und es reichte ihr die Bewunderung. Einst war er sehr stolz auf ihre Schönheit gewesen.

      Singer wies auf die Bilder und deutete an, dass er sich erst einmal mit den Kunstwerken beschäftigen wollte und sie nickte zustimmend. Doch bald hatte er die Finger satt und beobachtete wieder die Besucher. Vor allem die Frauen. Nur sie waren interessant. Die Männer, viele von ihnen in dunklen Anzügen, einige sogar im Smoking, wirkten in der Regel farblos, unsicher und meist wie abgestellte Beutestücke. Abgesehen natürlich von den Künstlern.

      Singer teilte die Künstler, waren es nun Maler, Aktionskünstler, Filmleute oder Schriftsteller, in drei Kategorien ein. Bei den Arrivierten gab es die, die gnädig ihre Gunst verströmten und so taten, als würden sie dem Club der Unsterblichen angehören, als wäre es eine Gnade, dass sie sich überhaupt mit Menschen abgaben, die nicht jeden Tag ein Meisterwerk schufen. Der andere Typus zelebrierte eine huldvolle Bescheidenheit, sprach leise von den Leiden des Künstlers, von seiner Einsamkeit und seinen Qualen und von der Gnade, die ihm geschenkt worden sei und dass sein Werk nur ein kleiner Beitrag zu der Kunst der heutigen Zeit sein könne. Wenigstens waren sie friedlich. Ganz im Gegensatz zu den professionellen Rebellen, die meist nur finster blickend dasaßen, die Fäuste geballt, und angewidert und mürrisch antworteten. Man ließ es ihnen durchgehen und interpretierte die höhnische Art, wie sie ihre Bewunderer behandelten, als ein Zeichen ihres ungebrochenen Rebellentums. Meistens sahen sie aus wie die Kopie von Rainer Werner Fassbinder.

      Die dritte Kategorie stellte die neu Entdeckten, deren Schüchternheit nicht gespielt war und die sich mit hochrotem Gesicht im Hintergrund hielten und nervös von einem Fuß auf den anderen traten und sich wünschten, dass endlich alles vorbei wäre.

      Sie waren Singer am sympathischsten, weil er sie verstehen konnte. Sie erinnerten ihn daran, wie nervös er früher einmal gewesen war, wenn er den Aktionären die Bilanzergebnisse vorstellen musste und an seine Enttäuschung darüber, dass sie selbst gute Ergebnisse nur mit schwachem Beifall belohnten.

      „Nun, wie finden Sie ihn?“

      Die Preminger. Ihr gehörte die Galerie. Eduard war nur ihr Angestellter. Eine große Frau mit schwarzen lockigen Haaren und grauen Augen, einer leicht gebogenen Nase mit sehr beweglichen Nasenflügeln und einem knutschigen Mund. Ihr dunkler Hautton gab ihr ein fremdländisches Aussehen. Singer hatte anfangs angenommen, dass sie eine Libanesin oder Jüdin sei. Aber Helen hatte dazu gelacht und ihn aufgeklärt, dass der Vater der Preminger ein rumänischer Faschistenführer gewesen war, der in den letzten Kriegsmonaten nach Deutschland geflüchtet sei. Auf jeden Fall war sie eine interessante Erscheinung. Sie mochte um die vierzig sein, aber sie sah jünger aus. Die gestrafften Wangen verrieten, wenn das Licht nicht so günstig war wie hier im Ausstellungsraum, die Arbeit hervorragender Chirurgen.

      „Erstaunlich“, gab Singer verlegen zur Antwort.

      Sie war die Gastgeberin, und er sah keinen Sinn darin sie zu kränken, indem er gestand, dass er sich langweilte. Schließlich war er mehr oder weniger freiwillig hier.

      „Nicht wahr?“, jubelte die Preminger. „Ihre Frau ist auch ganz begeistert. Er verkauft sich irrsinnig gut. Stellen Sie sich vor, sogar Thiel, der große, große Thiel, hat ihn gelobt. Die Komplexität seiner Werke. Seinen Brückenschlag zwischen Renaissance und Moderne. Ich bin sehr stolz, dass wir ihn exklusiv haben.“

      „Ist ja allerhand, sogar der Thiel!“, staunte Singer, obwohl ihm der Name nicht viel sagte. Er wusste nur, dass Helen sich ein Objekt von ihm wünschte.

      „Noch ist Schanek nicht teuer!“, lockte die Preminger.

      Wenigstens ist sie ehrlich, dachte Singer. Sie kommt gleich zur Sache. Schließlich gibt es deswegen den Champagner. Und gar nicht einmal schlechten.

      „Ich denke, er ist so gefragt?“, antwortete er mit ironischem Lächeln. Die Grauäugige warf den Kopf zurück und lachte kehlig, fuhr sich durchs Haar und schüttelte ihre lockige Mähne.

      „Es ist ja gerade die Kunst etwas zu kaufen, bevor es teuer wird. In spätestens einem Jahr wird er Irrsinnspreise erzielen. Da bin ich mir ganz sicher. Warten Sie mal ab, was passiert, wenn erst einmal die Hand auf dem Pariser Platz aufgestellt wird.“

      „Eine Hand?“, fragte Singer irritiert und sah zu den Bildern hinüber.

      „Genau genommen die Hand mit einem ausgestreckten Finger. Die Hand Gottes. Sie kennen doch das berühmte Bild von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle. Gott und Adam. Der ausgestreckte Zeigefinger Gottes. Dieses Bild hat Schanek zu seiner Skulptur inspiriert. Eine Mahnung an die Menschen. Acht Meter hoch. Eine überdimensionale Reproduktion der Hand Gottes mit dem ausgestreckten mahnenden Finger.“

      „Und was soll das Ganze?“, fragte Singer ratlos.

      „Ein Menetekel! Eine Warnung“, hauchte sie bedeutungsvoll und ihre Augen blickten, als sehe sie eine Schrift an der Wand.

      „Wovor?“, fragte er nüchtern.

      „Fragen Sie ihn doch selbst.“

      „Auf Michelangelos Bild spendet der Finger Leben, und Ihr Schanek macht etwas Düsteres daraus.“

      „Um Gottes willen, lassen Sie das nicht unseren Künstler hören. Sie wissen ja gar nicht, wie empfindlich Schanek ist. Überhaupt Künstler, wenn man tagtäglich mit ihnen zu tun hat, erlebt man Dinge, sage ich Ihnen … unfassbare Dinge. Ich bin froh, wenn ich mich mal mit einem normalen Menschen unterhalten kann. Ihr Männer aus der Wirtschaft seid so ganz anders. So gediegen, so zuverlässig.“

      „Ich bin wie jeder andere Mann auch“, sagte Singer verlegen. Die Preminger legte ihm die Hand auf den Arm.

      „Ich finde Sie sehr, sehr sympathisch“, sagte sie und der Druck ihrer Finger verstärkte sich. Singer fühlte sich gegenüber Frauen, die so direkt die Initiative ergriffen, stets hilflos. Er konnte nie einschätzen, wie ernst sie es meinten oder ob es nur eine Pose war, wie es von sich emanzipiert gebenden Frauen als chic empfunden wurde.

      „Sehr gesprächig sind Sie nicht gerade!“

      „Ich gehöre zu den Schüchternen“, gestand Singer.

      Mit einem Lächeln gab er zu erkennen, dass sie dies als Koketterie ansehen sollte. Die Grauäugige nahm die Perlenkette in den Mund und sah ihn scheinbar nachdenklich von der Seite an, als denke sie über die Ernsthaftigkeit seiner Worte nach. Ihre grauen Augen funkelten begehrlich.

      „Ich mag schüchterne Männer!“, flüsterte sie.

      Sie waren


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